Archive - 2008
Lesen!
Ab heute sind die ersten Bände der neuen "edition unseld" im Handel
erhältlich. Inhaltlich ist den acht Werken gemein, dass sie als Dialoge der
Geistes- und Naturwissenschaften geschrieben sind. Die Deutungshoheit rein
technischer und naturalistischer Weltsichten darf hinterfragt werden.
Schubladendenken wird Vorgebildete eher im Lesefluss hindern; kreatives
(Neu-)Denken ist gefordert, nicht Einordnen in Altbekanntes.
Streitschriften sind dabei und Verteidigungsschriften. Zum
Beispiel ein pro-sozialistisches Manifest von Dietmar Dath, das wir in der
nächsten Ausgabe von sciencegarden ausführlicher rezensieren, und wenn es als
Maßstab für die anderen Titel der Edition gelten kann, verspricht diese viel
Zündstoff zu wichtigen Themen.
Wie es sich für Streitschriften gehört, sind die Bücher bezahlbar
(10 Euro), transportfähig (Maße: 11x17,5 cm) und mit höchstens 130 Seiten auch zügig (das heißt zwischen Jonathan Littell und Raoul Schrott,
nicht erst danach) lesbar.
Wer den Streitschrift-Schreiber Daht vorab persönlich für
den Sozialismus kämpfen sehen will, der schalte den Fernseher ein: Literatur im
Foyer „68 und kein Ende?“, sehr schön moderiert von Thea Dorn, wird am Freitag,
25. April um Mitternacht vom SWR und am Sonntag, 18. Mai, 10.15 Uhr von 3sat
ausgestrahlt. Unter anderen liefern sich Dath und Daniel Cohn-Bendit einen
erfrischenden Schlagabtausch (keine
lahme Gesprächsrunde). Letzterer tritt auf als paternaler Altehr-68er und
tut den Sozialismus als „völligen Unsinn“ ab...
Annekathrin Ruhose
Video: Tour durch das "Computer History Museum"
Das folgende Video zeigt eine kurze Tour durch das Computer History Museum in der Nähe von San Francisco. Dabei gibt es unter anderem Googles ersten Rechner-Verbund zu sehen, der quasi in Heimwerkerbauweise entstanden ist. Und natürlich Bilder eines wunderschönen Cray-1-Großrechners aus den 70er Jahren. Wer schon einmal einer solchen Maschine gegenübergestanden hat, weiß wie ästhetisch Computertechnik gestaltet sein kann...
Insgesamt kurzweilig und eher etwas für Liebhaber.
Interessant ist auch die umfangreiche Website des Museums: www.computerhistory.org
2. Halbzeit...
Die Hörisch-Affäre ist in die zweite Halbzeit gegangen. Nach Jochen Hörischs Antwort auf Burkhard Müllers Antwort auf die offene Mail Hörischs hat nun wiederum Burkhart Müller - eher versöhnlich - auf Hörisch geantwortet.
Eine amüsant zu lesende, pointierte Version dieser ganzen unschönen und kuriosen Angelegenheit bietet inzwischen auch das Gesellschaftsmagazin Dummy in seinem Blog - im Stil einer Fußballreportage.
Und die Moral von der Geschicht'? Nicht nur, dass wieder einmal (auch mit diesem Blogeintrag) eindrucksvoll bestätigt worden ist, wie selbstreferenziell das Internet ist. Das liegt nun einmal in der Natur der Sache. Nein, Hörisch und Müller haben einem ernsthaften und berechtigten Anliegen, der lange überfälligen Eröffnung eines Forums für Kritikerkritik, mit ihrer Debatte mindestens so genutzt wie geschadet.
Der Ton, den die beiden Kontrahenten anschlagen, und der oft besserwisserische, ja fast kindische Streit um philologische, literaturwissenschaftliche und sonstige (In-)Kompetenzen weckt schlimmste Befürchtungen. Beides erinnert an die unsäglichen, persönlich diffamierenden Auseinandersetzungen, nein: Kindereien in Teilen der (gehobenen) Bloggerszene. Dort wird auf harsche Kritik erschreckend rasch und gedankenlos mit Beleidigungen reagiert und auf sachlich angemessene Vorwürfe mit Ignoranz. Ein flüchtiger Blick in beliebige Ausschnitte der Blogosphäre genügt, um sich von dieser Art der Diskussionsführung und Meinungsbildung abschrecken zu lassen.
Wenn also schon ein Forum für Kritikerkritik, dann bitte eins mit Türsteher, der die Debattanden davor schützt, das Internet als Medium zu missbrauchen, in dem beinahe alles gesagt werden darf. Sonst haben wir in der Sache keine Gegenöffentlichkeit, sondern nur die Fortsetzung des Feuilletonkriegs mit anderen, womöglich noch drastischeren Mitteln.
Megastädte...
...sind zutiefst verwundbar. Das erfuhr die japanische Stadt Kobe, gemeinsam mit Osaka die nach Tokio zweitgrößte Metropole Japans, am 17. Januar vor dreizehn Jahren schmerzlich, als die Region an der Osaka-Bucht 20 Sekunden von einem gewaltigen Erdbeben heimgesucht wurde. Die Bilanz: über 6.000 Tote und 44.000 Verletzte, 300.000 Obdachlose und 100.000 völlig zerstörte Gebäude. Geschätzter Schaden: 100 Mrd. US-Dollar.
Und das war Glück im Unglück: Denn als das Beben um 05:45 Uhr Ortszeit tobte, steckten tausende Menschen noch in den Federn - und nicht bereits in Büros, Schulen, Ministerien... Unvorstellbar die Katastrophe, hätte es sich zwei, drei Stunden länger Zeit gelassen.
Zu den mittelbaren Folgen des Bebens gehörte übrigens auch der Zusammenbruch der Barings Bank, deren Mitarbeiter Nick Leeson hohe Summen auf Nikkei-Optionen gesetzt hatte. Als der Nikkei-Börsenindex am Tag des Bebens um 1000 Punkte fiel, verlor Leeson 400 Millionen britische Pfund. Wenig später ging die traditionsreiche britische Investmentbank mit Verlusten von insgesamt 1,4 Mrd. US-Dollar Pleite.
Wer mehr über die Megastadt Kobe und ihre Probleme als Millionenmetropole erfahren will, kann sich in einem ausführlichen Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung informieren - oder am besten gleich einen eigenen Beitrag zum sciencegarden-Schreibwettbewerb verfassen. Am 30. April ist Einsendeschluss!
Die Hörisch-Affäre...
...köchelt weiter. Gestern antwortete der preisgekrönte Buchautor Georg Klein auf den offenen Brief, den Jochen Hörisch als Reaktion auf die Rezension seines neuesten Buches durch den Literaturkritikers Burkhard Müller in der Süddeutschen Zeitung (nachzulesen bei buecher.de) per Mail an alle möglichen Kulturjournalisten verschickt und zur beliebigen Veröffentlichung freigegeben hat. Nun hat sich auch Müller selbst zu Hörischs harschem Brief geäußert.
Was zunächst wie ein berechtigtes Aufbegehren gegen die nicht immer gewissenhafte, manchmal selbstherrliche und egozentrische Kritikerkaste aussah und als Appell zu mehr Sachlichkeit und weniger persönlichen Angriffen auch meine Zustimmung fand, zeigt nun mehr und mehr befremdliche Züge.
Natürlich gibt es unter Kritikern schwarze Schafe, und nicht selten läuft die Herde den publizistischen Leithammeln nach, so dass anders lautende Bewertungen kaum mehr durchdringen. Das ist für den Autor bedauerlich.
Ein paar kritische Fragen an denselben drängen sich im konkreten Fall, der sich zur Affäre ausgewachsen hat, aber doch auf: Mindestens die, ob es klug war, in so scharfer Weise auf eine Buchkritik zu antworten, und das dann sowohl via Mailverteiler als auch durch die Aufzählung vermeintlicher Fehler des Rezensenten, die als Bumerang zurückkommen mussten - handelt es sich bei Müller doch durchaus um einen sachkundigen Sprachwissenschaftler!
Auch hat der für seine Polemik gefürchtete, aber meist geschätzte Hörisch den Ton schon besser getroffen. Ein astreines Eigentor hat er mit der Bezugnahme auf eine vier Jahre zurückliegende SZ-Kritik geschossen, die ebenfalls seinen Unmut hervorrief. Souveränität sieht anders aus.
Fazit: In der webbasierten Wissensgesellschaft ist Gegenwehr möglich, aber auch gefährlich. Das Internet vergisst nichts. Schlechte Kritiken genauso wenig wie missratene Reaktionen. Hörisch weiß, dass gerade die Wissenschaft von öffentlichen Diskussionen lebt. Daraus kann man in diesem und anderen Fällen nur den Schluss ziehen: Wer sich ihr in Buchform aussetzen will, sollte seine Gedanken mehr als bisher in Freundes- und Kollegenkreisen durchsprechen, bevor er sie drucken lässt. Darüber hinaus hilft nur Gelassenheit.
Kreativität setzt sich durch
Das langweilige BA-Studium provoziert mit seinen schulischen Vorgaben und Pflichtseminaren die Kreativität junger Studierender. Man will sich eben trotzdem gestalterisch einbringen, man will selbst etwas leisten. Daher macht sich ein neuer Trend der Beteiligung breit: Malen und Zeichnen, Hauptsache der Tintenkiller fehlt nicht im Mäppchen. Und ganz selbständig bahnt sich diese studienreformerische Kreativität ihren Weg: immerhin schafft sie es bis auf die Klotüren. (Gesehen an einer Hochschule im Rheinland.)
Wer kontrolliert die Kontrolleure?
Autoren kämpfen gern gegen Verrisse ihrer Bücher. Wer mit den Autoren selbst spricht, der versteht warum: sie sind den Journalisten ausgeliefert und müssen auch persönliche Beleidigungen über sich ergehen lassen. Juli Zeh sagte einmal, dass sie sich über begründete Verrisse manchmal sogar freue. Wenn sich ein Fachjournalist ernsthaft auf ihr Buch einlasse und darlegt, was er misslungen findet, dann bereichert das Autoren und Leser. Der Kampf der Zeitungen gegeneinander und Antipathien gegen Autoren, die im Kulturbetrieb nicht mitspielen wollen, führen aber zu etwas anderem: persönliche Diffamierung, Beleidigung und vor allem sachliche Fehler erzeugen niederträchtige Buchkritiken. (Buchverlage kennen inzwischen sogar Anrufe der Anzeigenredaktionen, in denen angedeutet wird, dass positive Kritiken auch mit dem Schalten von Anzeige im Zusammenhang steht.) Gegen diffamierende Kritik wehrt sich nun entschieden der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch. Dankenswerter Weise bietet der Perlentaucher ein Forum für die neue Textgattung, in der Autoren die Kritiker kritisieren dürfen. Es könnte sogar sein, dass der Perlentaucher eine neue Art Pressedienst wird: einer, der die Macht der Großen durch seine unabhängigen Kommentare bedroht. Damit zeigt sich, dass das Internet ein Segen sein kann -- für Leser und Autoren. Journalisten hingegen zwingt es zur Sachlichkeit, weil eine Gegenrede möglich ist: www.perlentaucher.de/artikel/4562.html
Video: Verkehrsstaus als Naturphänomen
Für manchen Verkehrsstau scheint es keine ersichtliche Ursache zu geben. Kein Unfall, keine Baustelle, keine Straßenglätte – und trotzdem steht der Autoverkehr. Im Englischen wird dieses Phänomen auch „Phantom Jam“ genannt.
Japanische Wissenschaftler haben in einem Experiment anschaulich gezeigt, dass Verkehrsstaus eventuell automatisch ab einer gewissen Verkehrsdichte entstehen können. Ist die Dichte von Autos auf der Straße zu groß und sind die Abstände zwischen den Fahrzeugen zu gering, führen im Experiment schon geringe Verzögerungen einzelner Verkehrsteilnehmer zu massiven Stauungen im Verkehrsfluss. Ein Video zeigt das Phänomen eindrucksvoll:
> Zur Studie
Mit moderner Technik gegen Bewegungsmangel
Viele Schüler bewegen sich zu wenig – und merken es nicht einmal. Abhilfe schaffen kann da Mark Plischke von der TU Braunschweig mit seiner Doktorarbeit. Das dahinter stehende Konzept heißt cybermarathon. Kleine, am Körper befestigten Sensoren registrieren dabei die körperliche Aktivität der Jugendlichen. Das Besondere: auch die Betroffenen selbst können die gesammelten Daten einsehen. Plischke hofft, dass seine Probanden dadurch ein besseres Gefühl für das eigene Bewegungsverhalten entwickeln – und so zu mehr körperlicher Aktivität animiert werden. Für seine Arbeit erhielt er den „Preis für bürgernahe Anwendungen von Informations- und Kommunikationstechnologien“ der Integrata-Stiftung.
Ist Schönheit messbar?
Das 12. Berliner Kolloquium der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung befasst sich am 7. Mai in den Räumen der Konrad Adenauer-Stiftung (Tiergartenstraße 35) mit der Frage, ob sich Schönheit wissenschaftlich messen und bestimmen lässt. Mit von der Partie sind zahlreiche akademische Disziplinen. Manfred Spitzer bestreitet den Abendvortrag zum Thema aus der Sicht der Hirnforschung.
Studierende zahlen 25 Euro Tagungsgebühr.
Wer sich vorab informieren möchte, sollte dazu den sciencegarden-Artikel über Blondinen lesen.
