Archive - 2008

Datum

In love with your brother

Was haben die wohl in ihrer Kindheit gehört? Die schwedischen Geschwister von The Knife klingen, als hätte man die Depression von Joy Division abgezogen, Depeche Mode eine Sängerin verpasst, als hätten die Pet Shop Boys die Avantgarde entdeckt oder als sei New Order nie britisch gewesen. Und alles das trifft es nicht: The Knife klingen eigen; aber zugleich vertraut. Vor allem sind sie geheimnisvoller als alle Fremdeinflüsse. Was Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer fabrizieren, ist über Vergleiche nicht zu fassen. Das Duo kommt aus Schweden, da ist es düster genug, depressiv ist ihre Musik nicht. Aber auch nicht sonnig; sie ist artifiziell, nicht naturverliebt und cross gender. Elektronisch, aber nicht kalt oder identitätslos. The Knife sollte tagsüber in der Schublade bleiben. Abends aber bewegen die Songs, sie sind tanzbar -- nur zuhören geht aber auch. Und eine flirrende Erotik geht von den Klängen aus, durch die man nicht durchsehen kann. Es geht um Musik, nicht um die Personen, daher verbergen sich die Geschwister hinter Masken. Sie zu sehen (wie im Clip zu pass this on) hilft aber auch nicht: Durchsicht und Verstehen haben nichts gemeinsam. The Knife hinterlassen elektronische Bedeutungslücken, aber eben an den richtigen Stellen. Und zwar an denen, die Sigmund Freud interessiert hätten, könnte er noch über Postmodernes nachdenken.

(c) Kerstin Gerhards / www.sk23.de / ecosign Akademie Köln 2007

Persepolis im Kino

Nur aus schlechten Büchern könne man gute Filme machen, meinte Jean-Luc Godard einmal. Aber gilt das auch für Comics? Sicher nicht: Marjane Satrapi hat ihre Autobiographie in einem Comic erzählt, und diesen nun zu einem Film gemacht. Einen Comic zu verfilmen hat den Vorteil, keine neue Bildwelt erfinden zu müssen, die dann die Imaginationen der Leser zerstört. Der Film zeigt die Bildwelt der Comic-Autorin und keine kommerzielle Filmfantasie. Die Bilder sind eben nur bewegt und zudem um die Akustik bereichert. Wenn die Protagonistin im Kinderzimmer zu Iron Maiden abrockt, so ist das jetzt auch hörbar. Einem Comic durch bewegte Bilder das Laufen beizubringen, verleiht der Geschichte erstaunlicher Weise noch mehr Tiefe. Keiner Umsetzung der Marvel-Comics kann das gelingen, weil da die Vorlagen bloß Fantasie-Quatsch sind. Persepolis ist aber purer Realismus. Diese Kindheit im Iran einer 1969 geborenen Frau beschönigt nichts, zeigt die Irrungen und Wirrungen des Landes ebenso wie der Einzelpersonen (der Autorin eingeschlossen); und doch, wie ein Wunder: der Humor geht nicht verloren. Und würde man die Handlung knapp nacherzählen, dann ist es erstaunlich, wo zwischen Revolutionen, CIA, Islamisten, Diktatur, Krieg, Verfolgung, Foltergefängnissen und einem unglücklichen Exil überhaupt noch Raum zum Lachen ist. Aber der Mensch ist nicht unter zu kriegen -- und schon gar nicht diese Protagonistin. In Deutschland stellt sich manchen bei Comics leider die Frage, ob das eine Geschichte für Erwachsene oder Kinder ist. Sie erübrigt sich: Persepolis ist große politische Literatur und nun ein großer politischer Film. Dafür ist man nicht zu alt oder zu jung, sondern nur reif oder unreif.

Aktion Schönere Sprache 2008

Mal ehrlich: Wer von uns, der in Studium, Beruf oder Freizeit den Umgang mit Worten pflegt, klagt nicht gelegentlich über grassierenden Sprachverfall? Damit wir alle in diesem Jahr einen Beitrag dazu leisten, dass es besser (oder nicht noch schlimmer) wird, ein unterhaltsamer und inspirierender Linktipp für den Schreibe-Alltag: Verben für die Welt (Für Verbliebhaber: Man kann sogar Mitglied werden und darf dann genau einen eigenen Vorschlag einreichen).

Großer Stil

Die Edition Akzente des Hanser Verlages ist eine Buchreihe im "großen Stil", soviel steht fest. Der gleichnamige Band mit den (wieder abgedruckten) Essays von Karl Heinz Bohrer ist zwar keine zusammenhängende, systematische Studie; aber sie machen deutlich, dass der Autor ein textübergreifendes Projekt verfolgt. Wie zu erwarten kommen die Deutschen nicht gut dabei weg, wenn der Autor, meist ausgehend von Friedrich Nietzsche, über Stilfragen nachdenkt. Karl Heinz Bohrer, der in Paris und London lebt, sieht seine Landsleute durch ein "Unvermögen zur Form" gekennzeichnet. Dies macht er auch an witzigen Beispielen deutlich, vor allem aber spürt er in der Literaturgeschichte bei den wenigen Ausnahmen nach, bei Heinrich Heine, bei Johann W. Goethe, Clemens Bretano und, immer wieder, Friedrich Nietzsche. Den Bohrer Fans ist dieser immer gleiche Kosmos des ästhetischen Denkers sehr vertraut; und sie genießen den eigenen Stil des Essayisten. Er schreibt zu provozierend für die Geisteswissenschaft, zu intellektuell fürs Feuilleton, steht Quer zu den politischen Lagern -- hat, um es kurz zu sagen: wahrscheinlich nur wenig Freunde. Aber seine Texte haben gerade deshalb eine treue Fangemeinde. Jeder wahre Leser kann von Bohrer viel lernen. Und durch die Lektüre seiner scharfsinnigen Essays, die auf den Zeitgeist keine Rücksicht nehmen, überwindet sich das Mittelmaß -- zumindest schon einmal im Lesesessel. Bei Bohrer zählt die Ästhetik, nicht die Moral. Die wenigen deutschen Autoren, die Bohrer gelten lässt, sind bald gelesen. Es bleibt also anschließend nur der Weg in die Buchhandlung; die französischen und englischen Autoren mit "großem Stil" sind da leicht zu erwerben: sogar in deutscher Übersetzung. Und wer auf Essays nicht verzichten will, der nimmt noch den Merkur mit.

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