sciencegarden Blog-Archiv
In Venezuela protestieren Zehntausende von Menschen gegen die Angriffe des Präsidenten Hugo Chávez Frías und dessen Anhänger auf die Pressefreiheit und die bürgerlichen Grundrechte: An vorderster Stelle die Studentenverbände, die sich gegen die sich immer autoritärer gebärende Regierung zur Wehr setzen wollen. Peu à peu wurde in den vergangenen Jahren die Autonomie ihrer Hochschulen beschnitten. Nun droht eine neue Verfassung die ganze Gesellschaft in ein enges Korsett zu fassen. Die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung, wie sie die jetzige Verfassung erfordert, wurde von Chávez bewusst unterlassen. Eine demokratische Debatte um die Zukunft des Landes soll vermieden werden. Die "Reformen" der Verfassung lassen nicht nur die unbegrenzte Wiederwahl des Präsidenten zu, sondern statten ihn im Ausnahmezustand, den er selbst bestimmt, mit beinahe allumfassenden Vollmachten aus.
Chávez hat die Salamitaktik perfektioniert. Nach seinem 1992 gescheiterten Putsch hat er gelernt, wie er mit Zuckerbrot und Peitsche in dem trotz und gerade wegen seines Ölreichtums verarmten Landes sich satte Mehrheiten sichern kann. Demokratische Prinzipien werden scheibchenweise aber genau berechnend außer Kraft gesetzt. Der Dummheit der Opposition, die letzte Wahl zu boykottieren, verdankt der Führer in den "Sozialismus des 21. Jahrunderts" ein widerspruchsloses Kopfnicker-Parlament. Auf der Straße sorgen nicht nur ideologisch militarisierte "Chavistas" für die Einschüchterung des politischen "imperialistischen Feindes". Im Fernsehen überträgt nur noch ein Oppositionssender, dessen Schließung schon mehrfach von "bolivarischen Kreisen" gefordert wurde. Langsam aber sicher wird der Demokratie der Todesstoß gegeben.
Die Studierenden, die sich zur Verteidigung eines demokratischen, rechtsstaatlichen und pluralistischen Venezuelas in Caracas und woanders in den Straßen versammeln, werden vom Innenminister als "Faschisten" beschimpft, als "fünfte Kolonne der Imperialisten". Solche Töne klingen vertraut, und sie lassen Böses ahnen. Im Zuge der Protestmärsche der vergangenen Tage wurden mehr als dreißig Studierende festgenommen, zwanzig verletzt, wenigstens zwei Todesopfer sind zu beklagen.
Wo bleibt eigentlich hier die internationale Solidarität, die viele leichtfertig Chávez entgegenbringen? Wie oft noch muss die "Bolivarische Revolution" ihr wahres Gesicht zeigen, damit auch der Letzte begreift, dass nicht Emanzipation, sondern Autoritarismus, nicht Solidarität, sondern Repression, nicht Demokratie, sondern Alleinherrschaft ihre Ziele sind?
für Petra, Sandra, Stefanie ...
Die ganze Welt ist von der Beschleunigung erfasst ... die ganze Welt? Nein! Eine von unbeugsamen Persionären besetzte Sportstätte hört nicht auf Widerstand zu leisten: das öffentliche Schwimmbad. Für Familien gibt es Event-Bäder. Für richtige Männer Hanteln oder Downhill-Bikes. Aber wohin mit den schönen, kultivierten jungen Damen (also die mit chronischen Rückenproblemem)? Die wollen
schwimmen, aber leider an dem Ort, an dem Pensionäre
baden wollen. Die einen befeuchten die Haut unterhalb des Halses, die anderen wollen ihre Rückenmuskulatur stärken. Das ist etwa so, als würde die Bundesbahn alte Dampflogs und ICE zugleich einsetzten wollen. Nichts ist gesünder als schwimmen -- aber nichts ist widerständiger als Pensionäre. Nichts ist also gesünder als schwimmen -- aber nur für die Pensionäre. Diskutieren zwecklos. Sieben Mal pro Woche von sieben bis neun, sonst werden die krank und vereinsamen (oder umgekehrt). Würden sie weichen, die Welt würde noch schneller. Die jungen Damen müssen es als ZEN-Meditation nehmen, sonst droht Gefahr für Leib und Seele. Nicht aufregen! Die Schwimmbäder könnten aber Warnschilder aushängen: Vorsicht Tratschwellen ...
Seit heute ist das Blog-Portal „Wissenschafts-Café“ (www.wissenschafts-cafe.net) online, ein „Treffpunkt von bloggenden Wissenschaftlern und allen anderen, die an Blogs mit wissenschaftlicher Ausrichtung Interesse haben.“ Auf der Plattform wird eine Sammlung wissenschaftlicher und wissenschaftsbezogener deutschsprachiger Blogs bereitgestellt. Im „Newsticker“ können Teaser der aktuellsten Einträge gelisteter Blogs abgerufen werden – quasi eine Art Meta-Blog. Der Initiator Marc Scheloske war bislang schon als Betreiber des Blogs www.wissenswerkstatt.net in Erscheinung getreten. Meine persönliche Meinung: Tolle Idee! Hervorragend umgesetzt! Eigentlich ein guter Anlass für einen sciencegarden-Artikel bei Gelegenheit, oder?
Manager bekommen 40 Millionen Euro Abfindung, wenn sie den Karren in den Dreck fahren. In Deutschland wird man, wenn man dann vor Gericht kommt, frei gesprochen. Warum will man eigentlich deren Kompetenzen auch außerhalb der Konzerne? Und sogar in der Wissenschaft? Noch schlimmer: Sogar in den Verlagen. In der deutschen Buchkultur werden die Lektoren langsam aber sicher zu "Produktmanagern", also zu Marketingexperten, die dafür nicht ausgebildet wurden. Die denken dann über Geld nach, statt über Texte. Wissenschaftler, die dafür nicht ausgebildet wurden, sollen jetzt Manager werden. Unsinn! Ohne Lektoren gibt es keine guten Bücher, und die unlektorierten Fachbücher, die man in die Hände bekommt, beweisen das auf traurigste Weise. Kein Wunder, dass weniger gelesen wird. Wenn sich die Wissenschaftler der Zukunft mehr mit Maliks Managementphrasen beschäftigen als mit der Wissenschaft, dann haben wir bald gut organisierte Lehrstühle: allerdings ohne Forschungsinhalte. Und die sind dann vollends überflüssig. (Die BWL in St. Gallen natürlich ausgenommen). Wissenschaftler brauchen eine Befreiung von Organisationsaufgaben, die Institute brauchen also Geschäftsführer, die NICHT forschen: Damit die Forscher wieder forschen können.
„Man muss smart sein und mutig. Man muss sich ganz auf das Spiel konzentrieren, und deshalb hilft einem Poker, alle Probleme, die man hat, für ein paar Stunden zu vergessen.“ sagt der amerikanische Schriftsteller Don DeLillo. Er ist 70, in der Bronx aufgewachsen und keiner schreibt besser. Poker ist „in“. Alle Studenten spielen es, sogar mit ihren Eltern. Erst im Spiel, so schrieb Friedrich Schiller, ist der Mensch ganz Mensch. Später kam der Homo ludens hinzu. Aber Hand aufs Herz: wer dachte an Poker? Ein Moralphilosoph würde fragen: Welche Eigenschaften sind nötig, um ein Spiel zu gewinnen? Ein Soziologe: Was sagt es über die Gesellschaft, wenn ein Spiel zur Massenbewegung wird? Um beim Poker zu gewinnen braucht man Beobachtungsgabe, gute Rhetorik und Eiseskälte des Gemüts. Vereinfacht: man muss lügen können. Andere müssen taxiert, hinters Licht geführt und schließlich besiegt werden. Es ist natürlich nur ein Spiel, was einen nicht daran hindert, anderen das Geld abzunehmen. Um das auch noch zu legitimieren gilt eine der unmoralischsten ethischen Regeln: Spielschulden sind Ehrenschulden. (Es ist also kein Spiel!). Poker ist also kein Spiel unter Freunden, deshalb spielt man lieber mit Unbekannten. Also im Internet oder auf Turnieren. Warum wird nicht Schach zum Trend? (Und endlich wieder zum Schulfach?) Nicht Glück, Rhetorik und Geld sind maßgebend, sondern Strategie, Intelligenz und Gedächtnis. Aber halt! Schach war im Ostblock verbreitet, also in Diktaturen. Es machte die Leute klug, und nur sehr kluge Leute überlebten den real existierenden Sozialismus, obwohl sie klug waren. Sie sahen nämlich die Schachzüge der staatlichen Organe voraus. Im Kapitalismus aber ist Klugheit gar nicht nötig um zu erkennen, dass es nur ums Geld geht. Nicht die Stasi bedroht uns, sondern Geldmangel. Und für diese Kultur reicht Poker völlig aus. Smart sein, mutig, vergessen können – die Tugenden von heute.
Ich habe ein interessantes kleines Interview gefunden mit Prof. Dr. Fredmund Malik vom Malik Managementzentrum St. Gallen zur Frage, warum ein Wissenschaftler heute auf jeden Fall über Management-Kompetenzen verfügen sollte. Herr Malik ist aktuell mit dem Aufbau eines Weiterbildungsprogramms bei der Fraunhofer Gesellschaft beschäftigt, dass eben solche Kompetenzen vermitteln soll. Hoffentlich bleiben solche Bemühungen nicht nur auf die großen Forschungsinstitutionen beschränkt! Das ganze gibt es auch als Audio-Datei zum Dowload.
Von meinem Küchenfenster aus schaue ich auf einen Parkplatz. Die letzten Jahre waren die meisten Automobile, die dort standen, silbern. Ein silbernes Auto symbolisierte lange die deutsche Variante der Feigheit. „Da macht man nichts falsch!“ Der Widerverkaufswert sei höher. (Das war der Grund und leider nicht der legendäre Silberpfeil.) Eine Frage der Ästhetik wird also im Lande Friedrich Schillers wieder einmal durch Nützlichkeitserwägungen verhunzt. Meine Eltern wollten vor zwei Jahren einen weißen VW Polo verkaufen. Jeder zweite Anrufer sagte: Nein, ein weißes Auto käme nicht in Frage. Der Wagen ging also unter Wert weg. Jetzt blicke ich auf den Parkplatz und sehe immer mehr weiße Autos. Die Autoverkaufsshows haben den Trend angekündigt: Weiß ist das neue Silber – und zwar bei Limousinen! Ich sah schon: einen Scheingeländewagen von Porsche in weiß, einen großen BMW-Komi, sogar einen großen Mercedes. In Südeuropa fahren die kleinen Leute weiße Kleinstwagen, es ist heiß dort. Aber große Autos haben Klimaanlagen, weiß ist da eigentlich nicht nur unpassend, sondern auch überflüssig. Die Fahrer großer deutscher Autos machen sich also die nächsten Jahre damit lächerlich, dass sie schöne Autos in einer unpassenden Farbe fahren. Porsche, Mercedes, BMW, Jaguar, Lexus, Land Rover, wahrscheinlich bald Ferrari in weiß! Die Farbe suggeriert Reinheit. Ein Auto aber mit 400 PS kann niemals rein sein. (Und wer 100.000 Euro für ein Auto ausgibt, kann keine weiße Weste haben.) Die Waschanlagenbesitzer werden sich freuen! Im Ausland wird man lachen. Menschen ästhetischen Geschmacks, gestern noch über die Monokultur silberne Autos klagend, werden weiter leiden müssen. Schön sind in Zukunft also die Fahrräder, nicht die Autos. Und zu hoffen bleibt, dass nicht bald auch die umweltfreundlichen, reinen, schwarzen (!) Gazelle-Hollandräder in weiß lackiert werden, nur weil Deutsche es wünschen.
"Ilsebill salzte nach.", so der erste Satz von Günter Grass' Der Butt. Es ist, so will es die Jury aus Fersehmoderatorin, Richterin, Handballtrainer und anderen, der schönste erste Satz der deutschen Literatur. Völlig berechtig, egal, wer in der Jury sitzt. Die, die Grass nicht mögen, hassen meist die auf Krawall gebürstete "öffentliche Person". Aber ein Blick in seine Romane, wenn sie ihn wagen würden, wird auch sie in Verzücken setzen. Es hätte aber dennoch auch ein anderer Satz werden können, es gibt sehr viele schönste erste Sätze. Patricia Highsmith hat nicht ohne Grund über die Energie, die Schriftsteller eigens für den Romaneinstieg verwenden, einen schönen Essay verfasst. ("Der erste Entwurf" in Über Patrica Highsmith, Diogenes, Zürich: 1980) Aber egal welcher Satz nun prämiert wurde, der Wettbewerb schleift vor allem Kulturpessimisten die Schneidezähne ab. 17.000 Menschen haben sich beteiligt und Begründungen eingereicht. Ja, Sie lesen richtig: Siebzehntausend lesen und lieben nicht nur die deutsche Literatur, sie schreiben sogar darüber. Sehr schade, dass es dazu am Ende dann doch eine FERNSEH-Gala geben musste, aber was solls. Auch Fernsehzuschauer können dann nicht mehr ignorieren, dass andere lieber nicht verpassen, was sie verpassen würden, wenn sie das Fernsehen einschalten. Große erste Sätze zum Beispiel in endlos vielen grandiosen deutschen (!) Romanen. Wie den von Irmgard Keun aus Nach Mitternacht von 1937, ein Exilroman: „Einen Briefumschlag macht man auf und zieht etwas heraus, das beißt oder sticht, obwohl es kein Tier ist.“ Hätte auch gewinnen können, oder? Aber doch gut, dass Grass gewonnen hat, es ist nämlich überfällig, endlich über sein Werk und nicht nur über seine Person reden, lesen und schreiben zu können. (Für Grass Fans ist der gerade erschienene Briefwechsel mit Uwe Johnson empfehlenswert.) Günter G. ist der einzige deutsche Autor nach Goethe und Thomas Mann, der im Chor der Weltliteratur laut mitsingt. Das wird jeder nachempfinden, der mehr als die Zeitung und mehr als den ersten Satz liest. Im Butt geht es nämlich weiter: "... Bevor gezeugt wurde, gab es Hammelschulter zu Bohnen und Birnen, weil Anfang Oktober. Beim Essen noch, mit vollem Mund sagte sie: 'Wolln wir nun gleich ins Bett oder willst willst du mir vorher erzählen, wie unsre Geschichte wann wo begann?' Ich, das bin ich jederzeit. ..." Also auch noch der beste zweite Satz, usw.
Der Deutsche an sich hat bekanntlich ein Faible für Melancholisches im Weltmaßstab und Untergangsszenarien aller Art. Da darf ein vorzeitiger Nachruf auf die deutsche Universität, die sich gerade anschickt, zur Elite aufzusteigen, nicht fehlen.
Wer nämlich abseits der Lobreden auf die neuerdings wie Pilzflechte erblühende akademische Exzellenz in unserem Land schaut, traut seinen Augen nicht: Die jungen Nachwuchskräfte verlassen die Universität in Scharen, besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Überall und ganz gleich, mit wem man spricht: Die Ernüchterung ist groß. Und es sind - vorsichtig formuliert - nicht die Schlechtesten, die der Alma Mater spätestens nach der Promotion entsagen, um ihr Glück (und ein halbwegs gefülltes Bankkonto) andernorts zu suchen. Nicht, weil man in Deutschland grundsätzlich keine gute Forschung (mehr) betreiben könnte. Sondern vor allem, weil der einst so attraktive Beruf des Hochschullehrers - für welche anderen Berufe haben Menschen je so große Entbehrungen auf sich genommen? - zunehmend überfrachtet wird: mit bürokratischem Papierkram, Gremiensitzungen und Managementaufgaben. Auf der Strecke bleibt wie immer das Wesentliche. Und die Gehälter sind auch nicht gerade gestiegen (sondern, unter dem Deckmantel der Flexibilisierung nur notdürftig kaschiert, für viele eher abgesackt).
Fazit: Wenn wir nicht Acht geben, wird der dramatische Aderlass der deutschen Universitäten alsbald in einem veritablen Untergangsszenario münden. Und das dürfte nicht nur dem zarten Exzellenzpflänzchen überhaupt nicht gut bekommen.
Am Kiosk gibt es viele Zeitungen, früher hat man (vielleicht aus Gewohnheit) auch DIE ZEIT gekauft. Das ist leider vorbei. Zum einen gibt es die FAS -- darin finden sich lesenswertere Beiträge. Zum anderen bin ich zu jung geworden. Die 80-jährigen haben die ZEIT übernommen, angeführt von Helmut Schmidt. Der doziert und schreibt nur über sich. Das ist interessant, aber nicht im redaktionellen Teil. Und nicht jede Woche. Dann sind da noch andere Redakteure, die geistig-habituell 80-jährige imitieren: also auch nur noch über sich selbst schreiben. Oder über ihre großartige Zeitung. Da ich die Autoren nicht persönlich kenne, hat das aber keinen Mehrwert. Die Aussage, wie unglaublich wichtig DIE ZEIT ist, bleibt schließlich leer. "Beschreiben, nicht behaupten!" lautet doch eine journalistische Tugend. Ich wollte eine Sammlung dieser selbstbezüglichen ZEIT-Passagen angelegen, aber die wächst so schnell, dass ich wieder aufgeben musste. Der Leser ist ein Gewohnheitstier: ich traure der ZEIT also auch nach. (Dieter E. Zimmer oder Gunter Hoffmann, beide sehr lesenswert!) Aber Dreizwanzig für eine versteckte, informative Spalte des Redaktionspraktikanten? Einen Text in einer Zeitung suchen, der nicht in den ersten vier Absätzen den Autor selbst thematisiert (und in den folgenden die ZEIT lobt)? Nein, nein -- die ZEIT lese ich erst wieder, wenn ich alle Redakteure persönlich kennen gelernt habe, dann lassen sich Selbstaussagen zuordnen. Früher war der RHEINISCHE MERKUR keine ernsthafte Konkurrenz, inzwischen ist es aber die anregendste Wochenzeitung, die am Kiosk ausliegt. Vielleicht erscheint dort eines Tages der Nachruf auf die ZEIT ...