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Magazin für junge Forschung

Zum Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung
Berichte & Reportagen Ausgabe März 2001

Fotografiert was ihr wollt!

Der Berliner Politologie-Student Philipp Abresch fliegt in den Krieg, verschenkt Einwegkameras an Kinder und kommt mit 1500 Fotos zurück.

 

Manche Studenten sind schwieriger ans Telefon zu bekommen als hochdekorierte Professoren. Nicht weil sie ständig in Kneipen hängen und kein Handy besitzen, sondern weil sie Projekte auf die Beine stellen, auf die selbst mancher Lehrstuhlinhaber nur neidvoll blicken kann. Philipp Abresch ist so einer und er hat kein Sekretariat, welches die Post sortiert und Anfragen beantwortet. Seine Studentenbude ist gleichzeitig das Büro des Vereins "Maikäfer flieg", dessen Mitbegründer er ist. Dort zeichnet nicht nur ein Anrufbeantworter sämtliche Telefonate auf, sondern hier ist auch sein Archiv untergebracht: Philipp Abresch besitzt ca. 1500 Fotografien, zahllose Interviews und Bilder von Kindern aus dem Kosovo.

Wie kam es dazu? Philipp hat seinen Wehrdienst nicht nur auf schlammigen Übungsplätzen verbracht, sondern bei "Radio Andernach", dem Radiosender der Bundeswehr. Dort wird journalistisch gearbeitet und die Tätigkeit führte ihn mit der SFOR nach Sarajevo. Im Sommer 1999 besucht er, jetzt wieder Zivilist, ein Flüchtlingslager in Mazedonien an der Grenze zum Kosovo, er verschenkt dort Papier und Stifte und bittet albanische Kinder Bilder zu malen. Die Kinder sind Opfer des Krieges, sie bringen auf Papier was sie kennen: Leichen in einer Wohnung, während noch der dampfende Suppentopf auf dem Tisch steht, Zerstörung, eigene Träume. Es entstehen etwa 400 Bilder - doch sie sind ganz anders, als sie Kinder im friedlichen Deutschland malen würden. Philipp will den passivsten Teilnehmern des Krieges, denen, die wirklich nur Opfer sind und nicht Täter, die Möglichkeit geben, sich auszudrücken.

Mehr zufällig, in einer Berliner Kneipe, mitten im Frieden, kommt ihm eine geradezu geniale Idee: Er schreibt an den Fuji - Konzern, schildert sein Vorhaben und kurze Zeit später bringt ihm die Post eine Kiste mit 100 Einwegkameras, die ihm kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Philipp tritt die dritte Reise in den Krieg an, er kann mit einer Bundeswehrmaschine in den Kosovo fliegen. Er verteilt in Prizren, Djakova und Pristina zusammen mit einem kosovarischen Künstler die Kameras an Kinder. Die jüngsten sind acht, die älteren bis 14 Jahre alt. "Fotografiert was ihr wollt" ist die einzige Vorgabe und es gibt die Möglichkeit eine weitere Kamera zu bekommen, wenn eine vollgeknipst ist. Das Experiment gelingt, der Rücklauf ist gut und die Qualität der Einwegkamera-Fotografien erstaunlich. Philipp kommt mit 1500 Fotografien zurück, die ein einmaliges Dokument darstellen. Kinder, deren sprachliche Fähigkeiten noch nicht voll ausgeprägt sind, konnten über das Medium Fotografie ihre Perspektive sichtbar machen. Durch eine Kamera haben sich Opfer in Beobachter und Interpreten verwandelt und diese Momente sind fixiert. Die so entstandenen Bilder sind viel wertvoller als das Bildmaterial, das von profesionellen Fotojournalisten stammt. Kinderaugen sehen die Wahrheit, und so sind Fotos entstanden, die Philipp Abresch selbst als "berührend, komisch, bunt, ironisch" beschreibt . Hier lachen Kinder, fahren Rollschuh, gießen Blumen, stapeln ihre Spielzeuge in einer Zimmerecke, spielen auf den Trümmern einer zerstörten Kirche, porträtieren eine KFOR Soldatin beim Pizza holen oder ihre Freunde auf einer Blumenwiese. Philipp hat der Ausstellung der Fotografien den wohl treffendsten Namen gegeben: "Mit anderen Augen". Sie war inzwischen in verschiedenen Städten zu sehen und die Fachhochschule Köln hat die Fotos mit einem zweitägigen, interdisziplinären Symposium begleitet.

Die Realisation dieses Kunst- und Kulturprojektes im Kosovo hat jedoch mehr als dokumentarischen Charakter. Der von ihm gegründete Verein "Maikäfer flieg" ist gerade damit beschäftigt, in Prizrin, einer Stadt im deutschen KFOR Sektor, einen Kindergarten aufzubauen. Nachdem mit den Fotos die Perspektive der Kinder visualisiert wurde, erschien ihm die direkte Aufbauarbeit als natürlicher nächster Schritt. Inzwischen hat er weitere Institutionen mobilisiert und für sein Projekt eingebunden: an der Bauhaus Universität in Weimar arbeiten angehende Architekten und ihr Professor in einem Entwurfsseminar an ausführbaren Vorschlägen für den Kindergarten. An der FH in Köln beschäftigen sich angehende Sozialpädagogen mit der pädagogischen Dimension und dem Konzept für den entstehenden Kindergarten.

Deswegen ist Philipp Abresch telefonisch schwer zu erreichen. Wenn er nicht für seinen Verein arbeitet, verknüpft er seine Projekterfahrung mit seinem Politologie - Studium an der FU Berlin. Dort arbeitet er gerade an seiner Diplomarbeit. Er stößt bei Professoren auf viel Interesse und wird wohlwollend unterstützt. "Meine Erfahrung hilft mir, die Seminare über internationale Politik besser zu verstehen." meint Philipp Abresch, wenn man ihn zur Uni befragt. Er versteht sein Projekt als politisches Handeln, welches notwendiger Weise auf Fachwissen angewiesen ist. Er stößt zum Glück auf Professoren, die sich in der Rolle sehen, genau dieses Wissen zu vermitteln.

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Kontakt:
Maikäfer flieg e.V.
c/o Philipp Abresch
Revaler Str. 14
10425 Berlin

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