Logo: sciencegarden - Magazin für junge Forschung

Magazin für junge Forschung

Zum Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung
Berichte & Reportagen Ausgabe Juli 2001

Sind Delfine wirklich Wunderheiler?

Eine Diplomarbeit unter Sonne und Palmen? Was einige Professoren schlicht als Wissenschaftstourismus bezeichnen, ist in Wirklichkeit ein hartes Stück Arbeit. Karsten Brensig und Katrin Linke überwanden alle Hindernisse und erforschten Delfine unter der Sonne Floridas.

 

Sarah durchbricht mit ihrem Kopf die Wasseroberfläche. Etwa zweimal in jeder Minute muss sie auftauchen, um Luft zu schöpfen. Feine Wassertropfen glitzern dann in der warmen Luft. Seit nunmehr 14 Jahren lebt das Delfinweibchen im Freigehege des Dolphins Plus auf Key Largo, einer Insel der Florida Keys. Das 27 Meter lange und 20 Meter breite Becken teilt sie sich mit vier weiteren Delfinen. Je nach Ebbe und Flut können die Tiere, die in der Fachwelt auch als Große Tümmler (Tursiops truncatus) bezeichnet werden, drei bis fünf Meter tief tauchen.

Sarah treibt gemächlich im Wasser, bewegt sachte ihre Brustflossen, dreht sich auf die Seite und blickt hinüber zu der neun Jahre alten Katharina, die in einer roten Schwimmweste auf sie zukommt. Ihr Vater unterstützt sie dabei, denn Katharina ist durch spastische Lähmungen seit ihrer Geburt gehbehindert. Als das Mädchen bis auf etwa zwei Meter heran ist, taucht Sarah ab.

Mehrmals täglich bekommen die Delfine im Dolphins Plus Besuch von Menschen. Die hautnahe Begegnung mit den Tieren soll besonders für kranke Kinder hilfreich sein. Im Dolphins Plus werden pro Woche sechs Kinder therapiert, die meisten sind autistisch oder gelähmt. In der Regel verbringen sie zwei Wochen auf Key Largo.

Berichte über die heilende Wirkung derartiger Therapien gibt es viele, wissenschaftliche Studien jedoch kaum. Ebenso wenig untersucht ist die Frage, ob die Delfine wirklich so sehr an einem Kontakt mit Menschen interessiert sind.

Um dies zu ergründen, reiste ein junges Forscherpaar aus Deutschland nach Florida. Hier, im "Dolphin Plus" beobachteten Karsten Brensig von der Freien Universität Berlin und Katrin Linke von der Universität Kiel das Verhalten der Tiere mit und ohne Menschen im Wasser. Die beiden hatten in Kiel zusammen studiert und während dieser Zeit war die Idee des gemeinsamen Forschungsprojektes gewachsen. Schließlich, als es um Doktor- und Diplomarbeit ging, konnten die beiden ihre Idee verwirklichen. Im Rahmen von Brensigs Doktorarbeit und Linkes Diplomarbeit blieben sie neun Monate in Florida und untersuchten die Reaktion der Delfine während der Therapie körperlich und geistig behinderter Kinder.

"Wir wählten speziell diese Delfingruppe, da sie untrainiert ist, das heißt, die Tiere bekommen ihr Futter zu festen Zeiten und nicht als Belohnung für erbrachte Leistung", berichtet Brensing. Somit stehe es ihnen frei, ob sie mit den Menschen, die zu ihnen ins Becken kommen, Kontakt aufnehmen oder nicht.

Mit Videokameras und Unterwassermikrofonen überwachten die Biologen die Delfingruppe - sowohl wenn sie unter sich war, als auch wenn sich gesunde oder kranke Menschen im Wasser befanden. Zur Auswertung der Videoaufnahmen nutzten sie ein Computerprogramm, das vom GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht entwickelt wurde.

Mit dieser speziell für die Delfine entwickelten Überwachungstechnik bestimmten die beiden Biologen die Position jedes Tieres und jedes Schwimmers im Sekundentakt. Damit ließ sich genau berechnen, wie schnell die Delfine schwammen, wie tief sie tauchten und wie häufig sie zum Atmen an die Oberfläche kamen.

"Mit hilfe der ermittelten Positionen konnten wir zudem bestimmen, welchen Abstand die Tiere untereinander einhielten, wie groß die Distanz zu Menschen war, wie häufig sie Kontakt zu den Schwimmern suchten und wie lange dieser dauerte", sagt Brensing. Er wollte herausfinden, ob sich die Tiere in Gegenwart von Menschen anders verhalten, als wenn sie unter sich sind

Die Forschungsergebnisse zeigten, dass alle Delfine schneller schwammen, sich in tieferen Bereichen des Beckens aufhielten und häufiger atmeten, wenn sich Menschen im Wasser aufhielten. Meist versuchten sie zu den Menschen einen größtmöglichen Abstand einzuhalten; im Durchschnitt zwischen acht und zehn Metern.

Nach Meinung des Meereszoologen Dieter Adelung vom Institut für Meereskunde der Universität Kiel deutet diese erhöhte körperliche Aktivität der Tiere auf Stress hin, dem sie bei ihren Ausweichmanövern ausgesetzt sind. Suchten die Delfine den Kontakt zu den Menschen, so war dieser meist von sehr kurzer Dauer. Während einer halben Stunde Therapiezeit näherte sich beispielsweise Delfin Sarah durchschnittlich lediglich 2,5 Minuten den Patienten.

"Allerdings", so Brensing, "zeigten die Tiere eine eindeutige Präferenz für Kinder". Dabei hätten einige gesunde, andere behinderte Kinder bevorzugt. "Sarah zum Beispiel schwamm sogar einige Male unter ein behindertes Kind und drückte es aus dem Wasser", berichtet Brensing. Gegenüber gesunden Schwimmern verhielt sie sich jedoch wie alle anderen Tiere und versuchte, ihnen auszuweichen.

Forscher beobachteten in der Vergangenheit, wie Delfine ein solches "soziales" Verhalten gegenüber ihren Artgenossen oder auch anderen Spezies zeigten, sogar gegenüber verletzten Haien. Zumindest einige der Tiere scheinen also zu spüren, ob ihr Gegenüber in Not ist, und versuchen, ihm zu helfen. Bekannt ist auch, das Delfinweibchen während der Geburt ihren Neugeborenen beistehen, um sie zum Atmen an die Oberfläche zu drücken, falls sie nicht selbstständig nach oben schwimmen.

Der Verhaltensbiologe Dietmar Todt von der Freien Universität hat in Eilat (Israel) ebenfalls beobachtet, dass einige Delfine individuelle Vorlieben haben und sich Leute "herauspicken", zu denen sie Kontakt aufnehmen. "Das ist ein Phänomen, das wir noch nicht erklären können." Im Prinzip könne aber jedes hoch entwickelte Säugetier in ähnlich besonderer Weise auf Menschen reagieren.

Delfintherapien wie in Florida oder Eilat wurden in den vergangenen Jahren weithin bekannt. Von "Doc Delfin", "Arzt in Grau" und "Wunderheiler" ist in vielen Medien die Rede, von einem hilfsbereiten Tier, das den Menschen liebt. "Wissenschaftlich ist jedoch nicht erwiesen, ob eine Delfintherapie medizinisch und psychologisch so hilft, wie viele hoffen", sagt Todt.

Mitarbeiter seines Instituts haben jetzt begonnen zu untersuchen, was zwischen Tier und Mensch im Wasser abläuft. Sie haben Versuchspersonen vor und nach einem solchen Kontakt Blut abgenommen, um zu sehen, ob sich bestimmte Parameter - etwa so genannte Sozialhormone wie Oxytocin - verändern. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Eine Kommerzialisierung der Delfintherapie - etwa in Delfinarien mit trainierten Tieren - lehnt der Verhaltensbiologe ebenso wie viele Tierschützer ab. Dafür führt er vor allem ethische Gründe an. Außerdem stünde der Effekt nicht in Relation zum Aufwand. "Es ist zu überlegen, ob nicht beispielsweise bei autistischen Kindern eine Pferdetherapie den gleichen Nutzen hat", gibt Todt zu bedenken. Denn im Prinzip könnten Menschen derart "besondere Beziehungen" auch zu anderen hoch entwickelten Säugetieren knüpfen.

Interview
mit der Delfinforscherin Katrin Linke

sg: Wie bist Du auf die Idee mit den Delfinen gekommen?

KL: Karsten und ich wollten schon immer mit Delfinen arbeiten und bei einem Urlaub in Florida haben wir einige Delfinzentren besucht. In einem dieser Zentren habe ich mich dann für eine Semesterarbeit beworben - daraus entstand die Kooperation für die Diplomarbeit.

sg: Wie haben die Professoren und andere auf Eure Idee reagiert?

KL: Viele Professoren bezeichnen so was ja als "Wissenschaftstourismus", das hört sich dann so an, als würde man in die Ferien fahren. Forschungsarbeiten im Ausland oder überhaupt an anderen Instituten werden oft nicht unterstützt, denn für die Professoren bedeutet eine externe Diplomarbeit eben mehr Aufwand in der Betreuung. Meiner Meinung nach ist das den Studenten gegenüber unfair, denn für die sind Auslandserfahrungen ein wichtiger Bestandteil ihrer Ausbildung. Wir hatten da richtig Glück mit unseren Professoren. Dietmar Todt und Dieter Adelung waren sehr hilfsbereit und haben uns voll unterstützt.

sg: Was waren die schwersten Hürden für Euch?

KL: Die Finanzierung hat uns schon eine Menge Sorgen bereitet. Im Grunde haben wir da eigenes Geld reingesteckt, aber das hat sich auch gelohnt. Außerdem hatten wir Schwierigkeiten mit der Sprache, denn da wir beide im Osten aufgewachsen sind haben wir in der Schule kein Englisch gehabt. Abgesehen davon war es natürlich viel Arbeit, das ganze Projekt zu entwerfen, Karsten hat die Kameras organisiert und an dem Computerprogramm mitgearbeitet. Diese ganze Überwachungstechnik mit Kameras, Ultraschall und Computern ist schließlich nur für unsere Versuche entwickelt worden. Auch die Zusammenarbeit mit den Amerikanern zu organisieren war gar nicht so einfach. Aber die Erfahrungen, die wir gemacht haben, wiegen alle Mühe wieder auf.

sg: Wir bedanken uns für das Interview.

Das Interview führte Sina Bartfeld.

Beitrag von | Beitrag empfehlen

. zurück

 

 

.
 

© 2000/2002 sciencegarden - Magazin für junge Forschung | | Impressum & Disclaimer