Februar 2001

Tödliche Versuche - Forschungsergebnisse eines Bioethikers

Das Versagen von Ethikkommissionen kann tödliche Folgen haben. Warum Ethikkommissionen sehr oft nicht funktionieren, zeigt ein Bioethiker aus München an einem Todesfall in den USA.

Wohl jeder von uns würde sich eine Wunderwaffe wünschen, mit der man schwere Erkrankungen wie AIDS, Krebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes besiegen könnte. Vor zehn Jahren glaubte man, am Ziel zu sein - die sogenannte "Gentherapie" (siehe Kasten) wurde zu einem Zauberwort, das Heilung todbringender Krankheiten versprach. Damals gelang es nämlich erstmals amerikanischen Krebsforschern, fremde Gene in menschliche Zellen einzupflanzen. Bisher unbesiegbare Krankheiten schienen durch Gentherapie heilbar zu sein.

Doch dann kam der Schock: In den USA sorgte ein unvermuteter Todesfall für Aufsehen. Der 18-jährige Schüler Jesse Gelsinger hatte sich freiwillig zu einem Gentherapie-Versuch gemeldet, der in Zukunft dazu beitragen sollte, leberkranke Babys zu heilen. Eine schwere Immunreaktion wurde ihm zum Verhängnis. Bereits wenige Stunden nach der Injektion der als "Genfähren" benutzten Viren zeigte der Körper des Jungen heftigste Reaktionen. Vier Tage später war er tot.

Wie konnte so etwas passieren? Zwei junge Bio-Ethiker aus Deutschland wurden hellhörig und beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Schon lange vermuteten Ulrich Dettweiler (26) [siehe Bild] und sein Freund Perikles Simon nämlich, daß die Gentherapie-Forschung einiges an ethischem Zündstoff enthalten könnte.

Dettweiler, der heute in München am Institut "Technik-Theologie-Naturwissenschaften" (TTN) arbeitet, war zum Studium in die USA gegangen, nachdem ihm sein Freund Perikles Simon von seinen Vermutungen berichtet hatte. Beim Aktenstudium nun fand Dettweiler heraus, daß bereits bei der Genehmigung des Versuches über die möglicherweise tödlichen Folgen diskutiert worden war.

Die Versuchsteilnehmer waren sich offensichtlich nicht alle über das Risiko der Tests bewusst. Sie wussten nicht, dass die Forscher die möglichen Nebenwirkungen der Gentherapie, verändertes Erbmaterial mit Hilfe von speziellen Viren in den menschlichen Körper zu schleusen, immer noch nicht wirklich im Griff haben.

Die amerikanische Kontrollbehörde FDA (Food and Drug Administration) geht nach Prüfung des Falles davon aus, dass mehrere Versuchsteilnehmer die gesetzlich vorgeschriebenen Zustimmungsbögen blanko unterschrieben haben. Der ethische Grundsatz der informierten Zustimmung wird damit zur Farce.

Gelsinger hätte eigentlich gar nicht zu dem Versuch zugelassen werden dürfen, denn er hatte am Morgen zu hohe Ammoniakwerte im Blut. Erschwerend kam hinzu: Bereits vor Gelsinger hatten zwei Testpersonen heftige Immunreaktionen gezeigt: Diese Reaktionen hätte man nach Vorschrift der FDA sofort telefonisch mitteilen müssen. Die Studie wäre dann sofort gestoppt worden. Tatsächlich wurden sie jedoch lediglich in einem Zwischenbericht erwähnt, der dann ungelesen auf einem Schreibtisch liegen blieb.

Solche Verstöße sind kein Einzelfall, stellte die FDA später fest. In 94 % Gentherapiestudien kam es offenbar zu Problemen, die eigentlich eine Unterbrechung der Studie verlangt hätten. In der Regel wurden diese Probleme jedoch verschwiegen - und die Versuche fortgesetzt.

Dettweiler und Simon betonen, dass sich der Todesfall nicht allein durch individuelles Versagen erklären lässt. Vielmehr gebe es grundlegende Fehler im System.

Das Dilemma bestehe darin, dass der forschende Arzt von den Versuchsteilnehmern als Arzt wahrgenommen werde, obwohl er ihnen tatsächlich als Forscher entgegentrete. Einerseits, so Dettweiler, soll er als Arzt das Wohl der Versuchsteilnehmer im Blick haben, andererseits ist er bestrebt, als Forscher gute Ergebnisse zu erzielen.

Dieser Rollenkonflikt wird für die Versuchsteilnehmer jedoch nicht deutlich. Aus gutem Grund. Denn wüssten sie, dass es gar nicht primär um ihr eigenes Wohl, sondern um Forschungsergebnisse geht, gäbe es wesentlich weniger Freiwillige, folgert Dettweiler. Um mehr Teilnehmer für eine Studie zu gewinnen, tendierten viele Ärzte außerdem dazu, die Risiken im Beratungsgespräch zu verharmlosen.

Daher wäre es vorteilhaft, die unterschiedlichen Rollen des forschenden Arztes zu entflechten und den Versuchs-teilnehmern zur Entscheidungsfindung unabhängige Fachleute zur Seite zu stellen, etwa Psychologen oder Sozialarbeiter.

Ein weiteres unlösbares Dilemma zeigt sich in der Zusammensetzung der Ethikkommissionen. Diese müssen in einem öffentlichen Verfahren Versuche an Menschen genehmigen. Diese Öffentlichkeit bereitet jedoch auch Probleme. Denn da die Fachleute in diesen Kommissionen selbst Genforscher sind, kann es zu sogenannten blinden Genehmigungen kommen. Die Fachleute wollen ihrerseits selbst Forschungsvorhaben einreichen und sind davon abhängig, dass ihre Kollegen ihnen wohlgesonnen sind. Im Bereich der Genforschung herrscht zudem starker Druck, da hier besonders Geld und Ruhm eine entscheidende Rolle bei der Mittelvergabe spielen.

Dettweiler und Simon sind weiterhin gut beschäftigt. Sie werden ihre Forschungsergebnisse im Herbst in der Zeitschrift "Bioethics" veröffentlichen. Dettweiler schreibt neben seiner Magisterarbeit über Forschung am Menschen mit einem Kollegen an einem Aufsatz über Humanexperimente im internationalen Vergleich. Außerdem arbeitet er an einem Buchbeitrag über das Ökonomische Prinzip in der Gentechnik und hält immer wieder Vorträge. Seinen bisher größten Auftritt hatte er im letzten Herbst beim World Congress for Bioethics in London.

Gentherapie
Bei der Gentherapie wird ein Trick der Natur benutzt, um veränderte Gene in Zellen einzuschmuggeln. Viren vermehren sich dadurch, dass sie in fremde Zellen einzudringen und diese zu "Virenfabriken" machen. Beim routinemäßigen Ablesen ihrer eigenen Erbinformationen kopieren Zellen danach nicht nur die eigenen Gene, sondern auch die der fremden Eindringlinge. Eine Gentherapie baut auf diesem Mechanismus auf. Dazu werden die Viren so verändert, dass sie zwar Körperzellen befallen, sich aber nicht mehr vermehren können. Statt dessen nutzt man sie als Transporter, mit deren Hilfe man fremde Gene in die Körperzelle schleust. Auf diese Weise kann man zum Beispiel ein defektes Gen beim Patienten gegen ein gesundes austauschen. Es gibt für den Versuch keinen zuverlässigen Tierversuch. Außerdem lassen sich nur schwer Aussagen über die richtige Dosis angeben, da sie von der individuellen Ausprägung des Immunsystems abhängig ist. Es kann zu heftigen Immunreaktionen kommen.

Beitrag von Olaf C. Stier

Links zum Thema

  • www.ttn-institut.de
  • www4.od.nih.gov/oba/124-5-95.htm
  • http://www.hcwk.de/frameset.htm
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