Mai 2001

homo ludens digitalis

Counter Strike - das virtuelle SchlachtfeldSind Computerspiele virtuelle Trainingslager für Amokläufer oder bringen sie uns bei komplexer zu denken? Die Computerspiele-Forscherinnen an der FH Köln sind auf der Suche nach differenzierten Antworten ...

Als in den 30er Jahren Johan Huizinga sein Buch Homo ludens veröffentlichte, war das für Pädagogen ein großes Ereignis: hier erklärte ein Autor, "daß menschliche Kultur im Spiel als Spiel aufkommt und sich entfaltet". Schnell wurde das zur frohen Botschaft, daß Spielen für die Menschheit überaus notwendig und wertvoll sei. Konservative Pädagogen möchten Computerspiele allerdings nicht in diesem Zusammenhang sehen, ihnen erscheint die virtuelle Variante als Reinform der Barbarei. Am Erfolg der Computerspiele ändert das allerdings nichts.

Homo ludens
Homo sapiens bedeutet "der einsichtige Mensch". Die VWL/BWL betrachtet den Menschen als homo oeconomicus, als wirtschaftendes Wesen. Homo faber meint den "Menschen als Verfertiger", Max Frisch hat ihn 1957 in seinem Roman dargestellt. Homo ludens bezeichnet den "spielenden Menschen".

Die begründeten Ängste über Zusammenhänge von Computerspielen und Gewalt werden im Forschungsbereich "Wirkung virtueller Welten" an der FH Köln erst einmal in seriöse Forschungsfragen verwandelt. Von den Wänden des Büros blicken einen Monster aus der virtuellen Welt an, auf einem Tisch steht das Mikrophon für die Probanden und ein Teller Kekse für die Atmosphäre.

Auf der Suche nach wissenschaftlichen Antworten auf die vermuteten Gefahren interessieren Heike Esser, Shahieda Ibrahim und Tanja Witting nicht der Skandal, sondern die Empirie. Im Gegensatz zum Mainstream der Computerspieleforschung werden hier qualitative Methoden bevorzugt. Die drei Sozialpädagoginnen arbeiten an der FH Köln und Heike und Tanja promovieren an der Universität Bielefeld. Das Land NRW fördert solche Kooperationen zwischen FHs und Universitäten und ermöglicht deren besten Absolventen so die Promotion.

Gunman - ein absolutes BallerspielWas macht Computerspiele so attraktiv? Die Antworten hierauf sind verblüffend. Im virtuellen Raum hat man, was wir in der realen Welt immer mehr verlieren, nämlich Macht, Herrschaft und Kontrolle. Die Figuren, in die man schlüpft, tun, was man will ohne Einschränkung und Rückfrage. Wenn man sich gerade danach fühlt, darf man Leute abknallen. (Wer kennt dieses Gefühl nicht?) Noch ein Vorteil gegenüber der realen Welt: man muß nicht überlegen, was gut und böse ist, Spiele verteilen diese Rollen eindeutig. Und wo wir heute in allen Lebensbereichen emotionale Intelligenz brauchen, um nicht anzuecken im Computerspiel ist sie nicht nötig. Man darf zur Erholung eine empathiefreie Zone betreten, in der man sich in keinen einfühlen und auch keine Kompromisse machen muß. Man darf unglaublich gemein sein oder den eigenen Rennwagen mit 200 km/h gegen die Wand fahren. Wo darf man das sonst?

Um die Ängste praktisch tätiger Pädagogen aufzugreifen, haben Tanja und Heike die Transferprozesse im Computerspiel untersucht: färbt ballern die ethischen Maßstäbe, die an die reale Welt angelegt werden? Wie sieht der emotionale oder handlungsorientierte Transfer aus? Gibt es überhaupt einen Transfer zwischen den Welten? Diese Fragen zeigen schon, in welche Falle die gehen, die Computerspiele mit einem Vorbereitungscamp für Amokläufer verwechseln: hierzu müßte man virtuelle und reale Welt nicht mehr unterscheiden können. Die Forschungsergebnisse zeigen andere Tendenzen: Die Mehrzahl der Spieler läßt für die virtuelle Welt ganz andere Maßstäbe gelten, als für die reale Welt. Die Lizenz zum töten erteilt also nur das Computerspiel und endet auch mit ihm. Die Spieler, die ähnliche ethische Vorstellungen für beide Welten haben, lehnen die Gewaltspiele kategorisch ab. Aus diesen Untersuchungen sind die Fragestellungen für das aktuelle Forschungsprojekt von Heike, Tanja und Shahieda entstanden. Derzeit beobachten und befragen sie SpielerInnen nach der Bedeutung von Inhalten der Spiele, über die es bisher nur Vermutungen gibt.

Die SimsDas gut ausgestattete, aber für vier Forscherinnen etwas kleine Büro, hat noch mehr Schreibtische. Nadia Kraam-Aulenbach beschäftigt sich nicht damit, was man böses aus der virtuellen in die reale Welt mitnehmen könnte. Die umstrittenen "Ego-Shooter" ;machen nur ein kleines Marktsegment aus, verbreiteter sind andere Spielgattungen wie Adventure- und Strategiespiele. Nadias Forschung hat daher eine ganz andere Richtung: Sie hat die Denk- und Problemlösungsprozesse untersucht, die während der Spieltätigkeit ablaufen. Theoretischer Hintergrund dieser Forschung sind die Ergebnisse moderner Gehirnforschung und die konstruktivistische Erkenntnis- und Medientheorie. Wer zum Beispiel anspruchsvolle Adventurespiele spielt, dem werden bestimmte kognitive Kompetenzen abverlangt. Diese komplexen Spiele zwingen den Spieler zu ständigem Umdenken und Strategiewechseln, eventuell ist sogar thematisches Vorwissen hilfreich. Der Gedanke ist naheliegend, dass diese kognitiven Fähigkeiten gezielt gefördert werden können, wenn man sie genau freilegt. Für die pädagogische Praxis sind Nadias Ergebnisse sehr interessant, da bewusst eingesetzte Spiele die Kompetenzen bestimmter Zielgruppen spielerisch trainieren können.

Für die abgebildeten Spiele werden erfahrene Testpersonen gesucht, Kontakt:

Das Computerspiele nicht prinzipiell schädlich sind, sondern dass sich im Idealfall Spaß und sinnvolle Lerneffekte verbinden, diese Ergebnis sind vielleicht für Traditionalisten ein Albtraum. Huizinga hielt das Spiel "an sich weder (für) böse noch gut." Was er in den 30er Jahren behauptete, gilt heute wohl auch für den virtuellen Raum des homo ludens digitalis, nämlich das im Computerspiel "das Gefühl des Eingebettetseins des Menschen im (virtuellen) Kosmos seinen ersten, höchsten und heiligsten Ausdruck findet.".

Beitrag von Frank Berzbach

Links zum Thema

  • Forschungsberichte und Projektbeschreibungen

Literatur

  • Heike Esser / Tanja Witting: Transferprozesse im Computerspiel. Was aus der Welt des Computerspiels übertragen wird. In: Jürgen Fritz / Wolfgang Fehr (Hg.): Handbuch Medien: Computerspiele. Theorie, Forschung, Praxis. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn: 1997
  • Nadia Kraam: Computerspiele - Formen und Funktionen. In: Fundevogel Nr. 129 (1998), S. 44-53.
  • Search & Play Plus. Interaktive Datenbank für Computerspiele. CD-ROM.
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