Schwere Schlitten
Dass Schlittenfahren (meistens) Spaß macht, ist klar. Aber was, bitte schön, ist ein Betonschlitten? Und was hat das ganze mit Forschung zu tun? Diese Fragen beantworten können die 10 Mitglieder des Teams Euroboggan, die an der diesjährigen Great Northern Concrete Toboggan Race (GNCTR) in Kingston/Kanada teilnahmen. Getroffen haben sich die Studenten der Universitäten Braunschweig, Stuttgart und Graz letztes Jahr an der University of Calgary UofC, wo sie ein Austauschjahr im Fachbereich Bauingenieurwesen absolvierten. Dort haben sie auch das erste Mal von GNTCR gehört und im siegreichen Team mitgearbeitet. Was aber genau ist die GNCTR?
Das erste Rennen fand am 1.März 1975 in Red Deer River Valley in Alberta/Kanada statt. Der Wettbewerb wurde durch die Studenten des Bauingenieurfachbereichs der University of Alberta "erfunden".
Aus Beton sollte er sein, damit die zukünftigen Bauingenieure ausreichend Gelegenheit haben, ihre theoretischen Kenntnisse praktisch umzusetzen. Seit dem denkwürdigen ersten Rennen hat sich die GNTCR zu einem alljährlichen, von den Bauingenieurstudenten in ganz Kanada heiß herbeigesehnten Event entwickelt. Ausgetragen wird der Wettbewerb abwechselnd von einer der Universitäten im Osten oder Westen des Landes mit Teilnehmern auch aus den USA oder Europa.
Nach dem erfolgreichen Rennen im letzten Jahr kam bei den europäischen Austauschstudenten Wehmut auf. Bald schon ging es für jeden zurück an die Heimatuniversität und an eine Verteidigung des großartigen Gewinns mit den kanadischen Freunden war nicht zu denken. Im Lauf des Abends mit steigender Stimmung entstand dann die Idee: Wenn schon nicht als Team der UofC, dann könnte man zumindest als eigenes Team teilnehmen. Das Projekt Euroboggan war geboren.
Seit diesem Abend sind viele Stunden dem Design und Bau des Schlittens gewidmet worden. Denn Schlitten ist nicht gleich Schlitten. Die Vorgaben sind streng: Ein maximales Gewicht von 136kg, die Gleitfläche reiner Beton und Platz für 5 Mitfahrer. Nach den Erfahrungen des ersten Jahres, als die Schlitten noch recht unsanft von Heuballen gestoppt wurden, wird nun auch ein zuverlässiges Bremssystem gefordert.
Beton
Beton ist ein Gemisch, das hauptsächlich aus Wasser, Zuschlagsteinen und Zement zusammengesetzt ist. Nach dem Vermischen der Bestandteile reagiert der Zement mit dem Wasser und es entsteht der besonders feste Zementstein. Dieser verbindet die Zuschlagsteine (zum Beispiel Kies) dauerhaft miteinander. Einmal ausgehärtet, erhält man ein Material, welches hervorragend auf Druck reagiert (die Inhaltsstoffe stützen sich gegenseitig ab), das aber schon bei kleinen Zugkräften versagt (der Zementstein reißt von den Zuschlagsteinen ab). Das Verhältnis von ertragbarem Druck zu ertragbarer Zugspannung beträgt immerhin 10:1!
Diese Bedingungen stellen nicht nur die Designer, sondern auch das Material auf eine harte Probe. Da die wenigsten Firmen Auskunft geben können, wie sich welcher Beton auf Schnee verhält, waren die Studenten völlig auf sich angewiesen.
Nachdem verschiedene Entwürfe von futuristisch bis minimalistisch entstanden waren, entschied man sich für eine Sandwich-Konstruktion: Auf eine massive Betonplatte wird ein Aluminium-Hohlkasten geklebt, der mit Schaumstoffplatten gefüllt ist. Dieser Aufbau ist leicht, aber stabil. Die Box wird mit einer weiteren Aluminium-Platte abgedeckt. Darauf kommt eine besonders stabile Aluminiumkonstruktion als Sitzgruppe mit Überrollbügel. Der Clou dieses Aufbaus ist, dass die bei der Schlittenfahrt entstehenden Kräfte im wesentlichen von dem Aluminiumrahmen aufgenommen werden. Die Betonplatte wird so verhältnismäßig wenig beansprucht (vgl. Infobox).
Um sicherzustellen, dass die Konstruktion sich wie gewünscht verhält, wurde der Schlitten mittels der Finite- Elemente- Methode (FEM) analysiert - jedes Teil des Schlittens musste in sehr kleine (virtuelle) Einzelteile zerlegt werden, deren Koordinaten erfasst wurden. Das entstandene System kann vom Computer mit verschiedenen Kräften belastet werden, wobei für jedes einzelne Rasterelement die entstehenden Spannungen berechnet werden. Als Ergebnis erfährt man, welcher Teil des Schlittens bei welcher Belastung reagiert. Nach Abschluss der Analyse konnte der Schlitten dementsprechend überarbeitet und perfektioniert werden.
Doch das perfekte Design ist nicht alles. Mit einer normalen Betonplatte als Gleitfläche würde der Schlitten nicht weit kommen. Obwohl man durch eine intelligente Konstruktion die Belastung minimieren konnte, sind die wirkenden Zugkräfte doch ausreichend, die Platte zu zerstören. Auch wäre die Oberfläche zu rau, um hohe Geschwindigkeiten erreichen zu können. Ziel war es also, einen Beton zu entwickeln, mit dem hohe Festigkeiten, eine möglichst glatte Oberfläche und ein geringes Gewicht (für einen guten Auftrieb) erreicht werden konnte. Auch musste er gut verarbeitbar sein, da die Platte nur eine Dicke von 15 Millimetern haben durfte und wie ein Ski gebogen verlaufen sollte.
Um das Gewicht des Schlittens zu verringern, arbeitete man mit Leichtzuschlägen; eine hohe Festigkeit des Betons erreichte man durch einen geringeren Wasserzementwert - d.h. dem Beton wurde mehr Zement und weniger Wasser zugesetzt. Eine besonders glatte Oberfläche erreichte man durch kleinere Zuschlagkörner (Durchmesser 1 mm) und eine glatte Gießform (Schalung). Zur Besseren Abpufferung von Zugkräften baute man zwei Lagen Glasfasermatten anstelle des sonst verwendeten Stahls ein.
Nachdem der Beton auf dem Papier fertig zusammengestellt war, ging es an praktische Versuche. Verschiedene Betonmischungen mit geringen Modifikationen wurden angemischt und schließlich die beste Mischung für den Bau des Schlittens eingesetzt.
Im Vergleich zu ihren Konkurrenten in Kanada hatte das deutsche Team eine zusätzliche Schwierigkeit zu meistern. Die Heimatuniversitäten der Mitfahrer liegen zu weit auseinander, als das man sich jederzeit sehen könnte. Um dennoch voranzukommen, waren eine konsequente Aufgabenteilung, viele Telefonate und noch mehr e-mails notwendig.
Für ein gutes Ergebnis im Wettbewerb mussten die Teilnehmer außerdem auf einer Ausstellung ihr Vorgehensweise beim Bau des Schlittens präsentieren und erläutern.
Bei allem Spaß geht es bei der GNTCR auch um (ideelle) Preise. Der Gesamtsieger wird durch Addition der Punkte aus Rennergebnis und erfolgreicher Präsentation des Schlittens ermittelt. Daneben gibt es zehn weitere Auszeichnungen für zum Beispiel die höchste Geschwindigkeit, das beste Bremsverhalten und den besten Teamgeist.
Eine ganz besondere Auszeichnung ist die für das originellste Kostüm. Um die Teilnehmer auseinander halten zu können und den Spaß für alle noch zu steigern, müssen alle Teams in Uniform kommen. Für das Team aus Deutschland und Österreich bot es sich an, auf heimatliches zurückzugreifen. Mittels Lederhosen, Dirndl und Lodenhut verwandelten sie sich in (nach amerikanischer Sicht) Urdeutsche.
Wie das Rennen gelaufen, pardon gerutscht ist, kann der aufwendig gestalteten Homepage www.euroboggan.de entnommen werden. Unabhängig vom Ergebnis hatten die zehn Teilnehmer &auf jeden Fall viel Spaß und wissen heute viel mehr über Beton, kraftabtragende Konstruktionen und bayrische Lebenskultur als noch vor zwölf Monaten.
Links zum Thema
- www.euroboggan.de
