Juni 2001

Freiwillig in den Knast

GefängnisWer geht schon gerne freiwillig ins Gefängnis? Wenn Sie ein angehender Schriftsteller sind, sollten Sie das vielleicht einmal tun.

"In Dienststellen mit hinreichend qualifiziertem Personal dürfen Krippenspiele aufgeführt werden", so hieß es in der Dezemberausgabe der Hauspost der Justizvollzugsanstalt Werl bei Dortmund. Und weiter lautete der Text: "Zum Absingen von Weihnachts- oder anderem geeigneten Liedgut stellen sich die Bediensteten [...] um den Dienstweihnachtsbaum auf. [...] Während des Singens sind die Fenster und [...] Türen des Dienstraumes geschlossen zu halten".

Kunst und Kultur kommen im Knast zu kurz. Das bringen diese Zeilen sehr deutlich zum Ausdruck. Aber manchmal wird den Inhaftierten eben doch kulturelle Abwechslung geboten. Zum Beispiel durch eine Dichterlesung, wie sie Anfang März im Knast von Werl stattgefunden hat. Zugleich war dies einer der Höhepunkte des diesjährigen Treffens junger Autorinnen und Autoren in Arnsberg, ungefähr 40 km östlich von Dortmund. Die 20 Teilnehmer-/innen im Alter von 16 bis 24 Jahren waren Preisträger des Literaturwettbewerbs "Zur Sprache gebracht". Dieser Wettbewerb war unter der Schirmherrschaft von Staatsminister a.D. Michael Naumann ausgeschrieben worden, und fand vom 4.-9.März 2001 in einem einwöchigen Workshop seinen Abschluss, der gemeinsam mit einer hochkarätig besetzten Jury aus Profi-Schriftstellern durchgeführt wurde. Anstelle eines Geldpreises erhielten die jungen Autoren dann die Möglichkeit, ihre Texte vor einem breiten Publikum vorzutragen. Mit auf dem Programm stand eine Dichterlesung im Knast.

Diese Dichterlesung im Gefängnis war als Experiment gedacht. Und sie entpuppte sich als eine Herausforderung an die Autoren und Autorinnen. Schnell war man sich einig: Die Texte mussten sehr behutsam ausgewählt werden - schließlich bestand das Publikum ja aus mehreren Dutzend Straffälliger jeden Kalibers. Und denen wollte man auf keinen Fall mit zu viel Mitleid oder unterschwelligen Provokationen begegnen.

Die Gefangenen plagten derlei Skrupel nicht: Die jungen Schriftsteller ernteten schließlich gleichermaßen Kritik, wie auch nachdenkliche Bemerkungen: "Sie haben ja nicht für uns geschrieben, sondern für die da draußen, für die Gebildeten", warfen viele der Inhaftierten den frisch gebackenen Preisträgern vor. Und dann die etwas überraschende Frage, woher denn die unterschwellige Gewalt komme, die sich durch viele der Texte ziehe? "So ist das Leben", lautete die etwas hilflose Antwort des Autors. Wer schon sieben Jahre Haft hinter sich und noch ebenso viele vor sich hat, ist aber mitunter auch ein sehr sentimentaler Zuhörer. Wer hätte gedacht, dass manch "schwerer Bursche" anlässlich eines harmlosen Gedichts so leicht zu Tränen gerührt sein könnte? Aber in der Tat - ganz offensichtlich ist so das Leben!

Gewiss war dieses besondere Zusammentreffen für alle Beteiligten ein denkwürdiges Erlebnis - zugleich aufwühlend und nachdenklich stimmend. Und viele der jungen Autoren werden nach dieser einzigartigen Veranstaltung die Welt mit neuen Augen sehen - die Grenze zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse, gewalttätig und friedfertig vielleicht neu definieren.

Die gemeinsam bearbeiteten Texte werden ab Herbst als Anthologie im Buchhandel erhältlich sein. Vielleicht werden ja in Zukunft öfter einmal Leute freiwillig in den Knast gehen.

Beitrag von Ulrich Weger

Literatur

  • www.jungeprosa.de
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