Januar 2002

Versicherungen und Genforschung

"Wenn alle alles über alle wissen, sind Versicherungen ungerecht. Wie man gerechte Versicherungen entwickelt, beschäftigt einen Forscher aus England.

Günter, Karin und Werner streiten sich um das rote Bauklötzchen. Als sich der Streit gelegt hat, ist ihre kleine Welt wieder in Ordnung. Was sie nicht wissen: Wenn sie erwachsen sind, könnten sie auch Streit miteinander haben. Karin und Werner sind nämlich krank, nur wird ihre Krankheit erst in Jahrzehnten ausbrechen. Werners Eltern haben an Werner einen Gentest machen lassen und wissen Bescheid, Karins Leiden ist bisher unbekannt.

Was für Auswirkungen Gentests auf Krankenversicherungen haben, beschäftigt einen bayrischen Doktoranden, der gerade in Cambridge studiert. Der 26-jährige Andreas Jobst untersucht die Situation, in der Günter, Karin und Werner eine Krankenversicherung abschließen wollen. Der gesunde Günter sollte weniger Prämie zahlen als die beiden anderen, denn es ist absehbar, dass Karin und Werner höhere Kosten verursachen werden.

Ungewöhnlich ist das nicht. Schon heute zahlen Frauen in einer privaten Krankenversicherung mehr als Männer, dafür aber bei der Autoversicherung weniger. Jobst sieht allerdings die Gefahr, dass Menschen mit erheblichen Erkrankungen kein Versicherungsschutz mehr gewährt werden kann, wenn die Aussagekraft genetischer Diagnostik weiter steigt, denn wenn jeder für seine eigenen Kosten selbst aufkommen muss, wird eine Versicherung absurd.

Werner könnte sein Wissen ausnutzen und sich insbesondere für die Gesundheitskosten besonders gut versichern, die ihn betreffen werden. Damit verschafft er sich einen Vorteil gegenüber den beiden anderen, er nutzt aus, dass er mehr über seine Risiken weiß als andere. Doch auch den umgekehrten Fall gibt es. Da Versicherungen die individuellen Risiken nicht genau genug kennen, sind sie gezwungen, eine Mischvertrag zu entwerfen, der das durchschnittliche Risiko abdeckt.

Der gesunde Günter würde in diesem Fall mehr bezahlen als für ihn individuell angemessen wäre. Wüsste Günter, dass sein individuelles Risiko geringer ist, würde er sich eine Versicherung suchen, die ihm weniger Geld abverlangt. Der Vorgang nennt sich dann adverse Selektion und sorgt dafür, dass die Versicherung, aus der Günter ausscheidet, für alle anderen die Preise erhöhen muss. Damit aber kommen wieder andere in die Situation von Günter, suchen sich eine neue Versicherung und das Spiel beginnt von vorne. Letztlich würden eigene Günter-Versicherungen, eigene Katrin- und eigene Werner-Versicherungen entstehen.

Aufbauend auf die frühen Arbeiten von des Wirtschaftsnobelpreistägers Stiglitz entwickelt Jobst Handlungsalternativen für das Gesundheitswesen. Er unterscheidet fünf Fälle. Im ersten Fall wäre es strikt verboten, Informationen aus Gentests für die Prämienberechnung zu berücksichtigen. Werner hätte in diesem System einen echten Vorteil, weil er einen für sich günstigen Tarif auswählen kann, das System ist ineffizient.

Im zweiten Fall dürften Informationen aus Gentests berücksichtigt werden, wenn die Versicherten diese Daten von sich aus offen legen. Werner würde also nichts sagen, der gesunde Günter könnte überlegen, ob er einen Gentest durchführt, um weniger Prämien zu zahlen, das System kann effizient sein, weil es einen Anreiz für Gentests gibt und alle Werners und Karins höhere Prämien zahlen müssten.

Man könnte auch verlangen, dass Versicherte durchgeführte Gentests offenbaren, unabhängig davon, welche Auswirkung das auf die Prämien hat. Das wäre ein negativer Anreiz für einen Gentest für Karin und Günter, da sie sich durch einen Gentest ihre Prämie nur verschlechtern könnten.

"Versicherungen könnten auch bisherige Testergebnisse in die Prämienkalkulation einbeziehen und zudem weitere Tests verlangen", sagt Jobst. Damit könnte die Informationsasymmetrie fast ausgeglichen werden, das System sei aber ineffizient, da Gentests heute noch recht teuer seien. Die Erfahrung zeige zudem, dass Versicherungsunternehmen die Vorteile dieses Systems nicht in vollem Maße ausschöpften. Der weitest gehende Fall besteht darin, dass der Gesetzesgeber die Verwendung von Gentests in der Prämienkalkulation bindend vorschreibt. Dieser Fall hat den Vorteil, dass Informationsasymmetrie ausgeschlossen wird und Prämien somit sehr differenziert veranschlagt werden können.

Andreas Jobst geht davon aus, dass es ein Modell gibt, in dem alle glücklich werden. Zunächst ist es ihm wichtig, dass es eine Grundversorgung unabhängig von Risikobetrachtungen gibt. Diese Grundversorgung sollte staatlich sein. "Dadurch kommt es zu einer größeren Solidarisierung gegenüber dem Einzelschicksal durch gezielte gemeinschaftliche Kompensation", verspricht sich Jobst.

Wichtig ist nun, dass jeder Bürger sich zusätzliche Versicherungsleistungen einkaufen kann, die dann voll von privatwirtschaftlichen Versicherungen nach ökonomischen Prinzipien angeboten würden. Doch wie hoch sollte die Grundversorgung sein? Jobst bedient sich zur Beantwortung der Frage eines Gedankenexperiments. Wenn man annähme, dass jeder Bürger einer Gesellschaft gleich viel Geld verdienen würde, dann gehört zur Grundversorgung alles das dazu, was allgemein von den Bürgern gekauft würde, wenn sie nicht versichert wären. Natürlich ist damit nicht ganz geklärt, was wirklich versichert sein sollte, aber der erste Schritt wäre gemacht.

Beitrag von Olaf C. Stier

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Zur Person

Andreas Jobst, 26, ist nach seinem Abitur in Deutschland zum Studieren nach England gegangen. Mit der Bundeswehr ist er als Fallschirm- und Feldjäger in Italien, Frankreich und im Kosovo gewesen. Arbeitserfahrung hat er unter anderem auf einer Kaffeeplantage, bei der Lufthansa und der FAZ gesammelt.

Literatur

  • Rothschild, M., Stiglitz, J. E., 1976, Equilibrium in competitive insurance markets: an essay on the economics of imperfect information, In: Quarterly Journal of Economics, 90, 629-649. Dieser Artikel ist die Urschrift der ökonomischen Darstellung des Versicherungsmarktes. Ein besonders zugänglicher Text, der es auch Nichtökonomen erlaubt, einen intuitiven Zugang zu dieser Materie zu finden.
  • Wilson, C., 1977, A model of insurance markets with incomplete information, In: Journal of Economic Theory, 16, 167-207. Wilson erweitert die Aussage von Stiglitz in seinem Paper dahingehend, dass er die Möglichkeit teilweiser Marktsubventionierung auch unter Existenz verschiedener Versicherungsverträge für unterschiedliche Risiken einführt. Dies stellt eine wesentliche Neuerung des Stiglitz-Rothschild Modells dar und entspricht einer besseren Wiedergabe der Realität.
  • Dionne, G., Doherty, N. A., 1992, Adverse Selection in Insurance Markets: A Selective Survey. In: George Dionne (ed.), Contributions to insurance economics, Kluwer Academic Publishers, 97-140. Dionne und Doherty geben einen umfassenden Überblick verschiedener Versicherungsmarktmodelle und bieten in technisch anspruchsvoller Art und Weise eine Grundlage zu einer komparativen Betrachtung des Themas.
  • Strohmenger, R., Wambach, A., 1998, Adverse selection and categorical discrimination in health insurance markets: The effects of genetic tests, Journal of Health Economics 19, 197-218, 2000. Ein essentieller Bestandteil der neueren Literatur zum Versicherungswesen in der Gesundheitsökonomie. Leicht verständlich verfasst.
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