Soldatenkörper
Ein toter Soldat, verstümmelt. Immer wieder taucht er auf. Immer begleitet vom Schlachtruf einer soldatischen Gelöbnisaufstellung. Immer wieder liegt er am Boden. Und er stört. Denn Soldaten sterben nicht. Jedenfalls nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Das Bild des Soldaten taucht in den Medien kaum noch auf. Opfer des Krieges sind gemeinhin wehrlose Menschen, unschuldige Kinder oder Frauen, nicht jedoch Soldaten. Der Soldat tritt dem Opfer aber auch nicht als Täter entgegen, sondern als rettender Helfer, zum Beispiel in einer Friedensmission. Ohnehin verschwinden Soldaten immer mehr aus der Kriegsberichterstattung, körperlose Kampfmittel treten in den Vordergrund.
Mit der Berliner Republik hat sich das Verhältnis der Öffentlichkeit zum Militär geändert. Besonders deutlich wird das in Berlin, einer Stadt, in der es vierzig Jahre lang kein deutsches Militär gab und in der inzwischen wieder öffentliche Rekrutengelöbnisse stattfinden.
Eines dieser öffentlichen Gelöbnisse hat vier Berliner Studierende dazu angeregt, sich intensiv mit dem Thema Remilitarisierung zu beschäftigen. Im Herbst 2000 bildeten Carolin Behrmann, Henrik Lebuhn, Markus Euskirchen und Stefan Klinker eine Arbeitsgruppe Militärrituale und forschten über die Auswirkungen von Ritualen. Nachdem sie mehreren Gelöbnissen beigewohnt hatten, wuchs bei ihnen der Wunsch, dieses filmisch zu dokumentieren. Inzwischen ist ein langer Dokumentarfilm mit dem Titel "... tapfer zu verteidigen ..." entstanden, der schon mehrfach erfolgreich an Universitäten und bei Stiftungen gezeigt wurde. Ein Zwischenschritt dahin war ein siebenminütiger Kurzfilm, den die vier beim Deutschen Studienpreis einreichten.
found footage, engl.
gefundener Filmmeter. Vertreter der Found Footage Strömung verknüpfen bereits seit den dreißiger Jahren Geschichtserfahrungen aus Nachrichtensendungen und historischen Dokumentationen mit Beiträgen aus der Pop- und Medienkultur zu filmischen Hybridwesen.
Die vier kombinierten in guter alter found footage-Tradition Bilder aus Nachrichten, Kinofilmen und eigenen Aufnahmen in schneller Abfolge und ohne Kommentar. "Auf diese Weise stellen wir die alte Unterscheidung von Fiktion und Realität, Filmen und Dokumentarfilmen in Frage", sagt Henrik Lebuhn, einer der vier Filmer. Es entsteht dabei eine Annäherung an das Thema "Soldatenkörper" aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die allen bekannten Bilder von Zielfindungskameras an amerikanischen Raketen kommen dabei ebenso zum Einsatz wie Ausschnitte aus dem US-Film "Full Metal Jacket".
In vier Sequenzen zeigt der Film, mit welchen Ritualen beim Militär aus einzelnen Körpern ein Gesamtkörper geschaffen wird. Das reicht vom ersten Haarschneiden, bei dem der Rekrut erstmalig physisch an eine militärische Norm angepasst wird, über körperliche Betätigung bis zur physischen Erschöpfung, in der sich individuelle Gewohnheiten und Bewegungsstile verlieren bis hin zum Gelöbniszeremoniell, in dem sich die Truppe erstmals als zusammengehörige Einheit, als ein Körper, der Öffentlichkeit präsentiert.
Durch diese Rituale wird der individuelle zivile Körper umgeformt zu einem militärischen Körper. Gleichzeitig ändern sich auch die moralischen Werte. Gilt für eine Zivilperson ein Tötungsverbot, zielt die militärische Ausbildung gerade darauf, ein Tötungs- und Sterbegebot zu installieren. Doch eben dieses Töten und Sterben erscheint nicht in der öffentlichen Wahrnehmung.
Es ist sogar so, dass in den Medien ein Bild vom körperlosen Krieg vermittelt wird. Soldaten verschwinden in gepanzerten Fahrzeugen, werden eins mit ihrer Waffe und verschwinden in ihr. Wird ein Kampfflugzeug abgeschossen, ist die menschliche Komponente lediglich die abstrakte Zahl der Insassen des zerstörten Waffensystems. Gleitbomben liefern bei sog. chirurgischen Operationen Bilder bis kurz vor dem Einschlag, funktionieren aber nahezu automatisch und zeigen keine Personen. "Bilder von an Gleitbomben befestigten Kameras im Zielanflug auf einen feindlichen Panzer werden zum Emblem der anonymen Militärmacht auf beiden Seiten", betont Henrik Lebuhn.
Nicht ohne Grund ist die letzte Einstellung das Bild einer Zielbildübertragung einer Lenkrakete, gefolgt vom Schlachtruf und einem schwarzen Bildschirm. Der verstümmelte Soldat fehlt.
Links zum Thema
- Exposé: Soldatenkörper (pdf, 366KB) Als ZIP-File (353 KB)
- Kontakt:
Zur Person
- Carolin Behrmann, 26, studiert Kunstgeschichte, Europäische Ethnologie, Kulturwissenschaften und Philosophie an der Humboldtuniversität in Berlin.
- Henrik Lebuhn, 27, studiert Politische Wissenschaft und Öffentliches Recht an der Freien Universität Berlin. In Mexico City hat er über "Demokratisierungsporzesse in Lateinamerika" gearbeitet.
- Stefan Klinker, 29, ist im Projekt für die Technik zuständig und studiert an der Hochschule der Künste in Berlin.
- Markus Euskirchen, 28, promoviert als Politologe an der Freien Universität Berlin über Militärrituale.
Literatur
- Monaco, James: Film verstehen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg: 2000. (Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia.)
