Februar 2002

Wenn Warten zur Entwurfsaufgabe wird

Q-Aid: Mobile WartehilfeGibt es noch neue und sinnvolle Erfindungen? Angehende Design-Studenten sind täglich mit dieser Herausforderung konfrontiert. Lennart Behrmann und Michael Richenberg haben mit Ihrer "Wartehilfe" ein Alltagsproblem grandios gelöst ...

Wer kennt das nicht? Man wollte eigentlich nur schnell etwas kaufen, steht dann aber zehn Minuten an der Kasse an. Man will die gepriesene Ausstellung besuchen, was nur möglich ist, nachdem man 2 Stunden auf den Einlass gewartet hat. Man will eigentlich das Konzert des absoluten Superstars hören, bekommt die begehrten Eintrittskarten aber nur, wenn man vorher viele Stunden vor der Konzertkasse Schlange steht.

Warten und Anstehen gehören zu unserem Leben. Nur selten macht es Spaß oder gilt als Erlebnis. Viel häufiger wird Anstehen und Abwarten aber als unangenehm und belastend empfunden.

Da passte es gut, dass sich im Oktober 2000 die Vordiplomsarbeiten des Fachbereiches Industriedesign der HBK Braunschweig alle um das Stichwort "Veranstaltungen im öffentlichen Raum" drehen sollten. Den Studenten blieb es dabei überlassen, sich selbst ein Thema zu suchen. Bei ihrer Recherche fanden Michael Richenberger und Lennart Behrmann schnell heraus, dass das Warten ein fast alle Veranstaltungen umspannendes Ereignis ist.

Warten heißt nicht unbedingt Schlange stehen. Gewartet wird zum Beispiel auch in Pulks, losen Gruppierungen oder nach dem "Fleischermarkenprinzip". Nach Meinung der beiden Studenten wird speziell das Warten in der Schlange als negativ empfunden. Es herrscht Enge (Platzmangel), ein Informationsdefizit (Wie lange muss ich noch stehen? Wäre es besser später zu kommen?) und auch Unterhaltungsmangel. Vor allem aber wird der menschliche Körper beim Anstehen besonders belastet. Bald schon schmerzen Rücken und Beine, keine gute Voraussetzung für ein entspanntes Schwätzchen während der Warterei.

Für Lennart und Michael war damit klar: Sie mussten ein Gerät entwickeln [Bild], dass diese körperlichen Beschwerden des Wartens reduziert. Den letzten Ausschlag gab dann eine gute Bekannte. Ansonsten ganz gesund, leidet sie ab und zu unter (für sie völlig normalen) Schwindelanfällen. Aus Angst, im Zweifelsfall nicht schnell genug Halt zu finden, traut sie sich nicht, sich irgendwo anzustellen. So wie ihr geht es vielen Kranken und älteren Menschen. Da sie den körperlichen Belastungen nicht gewachsen sind, bleiben sie von vielen Veranstaltungen ausgeschlossen.

Die Ansprüche an eine "Wartehilfe" waren hoch. Sie sollte handlich und einfach zu bedienen sein. Sie sollte in Form und Farbe ein "sportlich-frisches" Erscheinungsbild haben und so die Hemmschwelle der potentiellen Benutzer ("ich brauche keine Hilfe") überwinden. Natürlich musste sie ergonomisch sinnvoll sein und nicht als zusätzliches Gepäckstück anfallen.

Tatsächlich gibt es zur Zeit auf dem Markt kein Gerät, was als "Wartehilfe" geeignet ist. Spazierstöcke mit integrierten Sitz sind ergonomisch nicht zu empfehlen. Und auch ihr Design ist sicher Geschmackssache. Kartons, die sich zu einem Sitz falten lassen, sind unhandlich und weichen bei Regen auf. Bügelhilfen sind zwar bequem, aber unhandlich.

Q-Aid in Aktion
Die "Wartehilfe" in Aktion

Die beiden Studenten entwickelten schließlich Q-Aid - eine Wartehilfe, die die Entlastung des Körpers ermöglicht. Das Hauptteil des Gerätes ist ein schlanker, gebogener Stab, der als eine Verlängerung der Wirbelsäule dienen soll. Sichtbar wird das durch ein spezielles "Wirbel-Design" das Lennart und Michael dem Stab gegeben hatten. An dieser Achse befindet sich ein beweglicher und höhenverstellbarere Sitz, der eine Art Sitz-Lehnen unterstützt. Es ist weder nur Sitzen, noch nur Lehnen. Für einen reinen Sitz ist die Sitzfläche zu klein. Sie bietet jedoch genügend Unterstützung, um ein entspanntes und den Körper entlastendes Lehnen möglich zu machen.

Als Material wählten die Studenten faserverstärkten Kunststoff, wie er unter anderem auch bei Snowboards eingesetzt wird. Das Material macht leichte Bewegungen mit und trägt so dazu bei, das Warten weniger langweilig und belastend ist. Zum einen kann man ständig seine Stellung ändern, kippeln oder wippen, ohne die Unterstützung zu verlieren. Zum andern passt sich die Achse automatisch dem natürlichen Stützwinkel jedes Nutzers an. Dadurch wird die optimale Stützwirkung und Entlastung erreicht.

Die anderen Teile - Füße, Griff und Sitz - sind ebenfalls aus Kunststoff, wobei der Sitz zusätzlich gepolstert ist, um auf einen gewissen Komfort (gerade für langes Warten) nicht zu verzichten. Als besonders Feature ist in die Sitzunterseite ein Haken integriert, an den man seine Jacke oder Tasche hängen kann. Denn wenn man die Hände frei hat, neigt man eher dazu, die Wartezeit zu Kommunikation, Information oder Unterhaltung zu nutzen.

Sitz eingeklappt Sitz ausgeklappt Ständer mit Rollen

Um die Kosten für den einzelnen gering zu halten und eine hohe Verfügbarkeit vor Ort zu erreichen, haben Lennart und Michael die Wartehilfe als Pfandsystem konstruiert. Ihre Vision ist, dass zukünftig zum Beispiel bei Großveranstaltungen oder in Museen neben dem Eingang lange Schlangen Q-Aids aufgereiht sind. Ihr Design ist so gewählt, dass man sie problemlos zusammenschieben und platzsparend aufbewahren kann. Kommt ein Nutzer, so kann er gegen eine Pfandmünze eine Wartehilfe entnehmen und auf Rollen hinter sich her ziehen. Wird sie nicht mehr gebraucht, kann man sie an einem beliebigen Depot zurückgeben.

Die Entwicklung der Q-Aid hat weit mehr als ein halbes Jahr Arbeit in Anspruch genommen. Fragt man die beiden Studenten, was das schwierigste war, so ist ein Punkt sicherlich, das machbare abzuschätzen. Wie sie selbst zugeben, haben sie Stunden und Tage damit verbracht über Details zu diskutieren, die heute vermutlich (fast) niemand wahrnimmt. Häufig gaben solche Diskussionen aber auch wieder Energie zum Weitermachen. Lennart: "Für alle Probleme hatten wir im Prinzip eine Lösung. Das Problem lag in der Entscheidung, ob unsere Lösung tatsächlich die praktikabelste und sinnvollste war. Häufig machte es dann plötzlich Klick, und wir wussten wie es sein musste und warum. In solchen Situationen macht die Arbeit einfach nur Spaß."

Die Entwickler
Die beiden kreativen Köpfe Die beiden kreativen Köpfe: Michael Richenberger und Lennart Behrmann

Kontakt:

Schon bei der Entwicklung ihres Projektes bekamen die beiden immer wieder begeisterten Zuspruch, der ihnen zeigte, dass sie tatsächlich eine Marktlücke aufgetan haben. Deshalb versuchen sie nun Partner zu finden, um Q-Aid vielleicht zur Serienreife zu entwickeln. Schade finden die beiden, dass die Hochschule die Innovationen ihrer Studenten so wenig unterstützte. Deshalb haben sie in Eigenregie Broschüren und CDs erstellt und an Verlage geschickt. Die Reaktionen war durchweg positiv, wenn auch leider nicht so, wie sie erhofft hatten. Michael: "Die meisten Briefe und Mails hatten nur einen Inhalt: Wo kann man das Gerät kaufen?. Dazu müssen wir leider sagen, dass es bisher nur unser Modell gibt. Man kann Q-Aid nicht kaufen!" Noch nicht.

Beitrag von Birgit Milius
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