Hilfe gegen Lecks und sterbendes Gewebe
Der menschliche Körper muss viele Funktionen für uns erfüllen. Wenn eines unserer Körperteile ausfällt, ist dies ein tiefer Einschnitt in das Leben und mindert in vielen Fällen die Lebensqualität der Betroffenen. Studenten der Fachhochschule München haben unter der Leitung von Prof. H. Wassermann die Problematik der Harninkontinenz untersucht und versucht, neue Lösungen zu finden. Die Arbeit fand im Rahmen eines vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes statt.
Harninkontinenz ist zu aller erst ein medizinisches Problem. Die sozialen Auswirkungen auf die Betroffenen sind jedoch mindestens genauso problematisch. Durch die Unfähigkeit, den Harndrang zu unterdrücken und zu kontrollieren, fühlen sich die betroffenen Frauen und Männer nicht gesellschaftsfähig. Sie machen sich Gedanken über unangenehme Körpergerüche und peinliche Situationen, in welche sie durch die Schwäche ihres Körpers geraten können. Leider sind die Befürchtungen über "Lecks" nicht aus der Luft gegriffen. Um Missgeschicke zu vermeiden, ziehen sie sich oft immer mehr aus der Gesellschaft zurück und isolieren sich von ihrer Umgebung.
Es gibt viele Gründe für Harninkontinenz. Diese können zum Beispiel altersbedingt sein, wie der Verlust der Elastizität des Gewebes am Schließmuskel. Es kann sich um genetisch bedingte Defekte der Nerven handeln, die falsche Signale an das Gehirn leiten oder gar den Signalfluss blockieren. Harninkontinenz kann aber auch durch ungesunde Lebensweise, wie zum Beispiel Stress, oder als Folge von Unfällen auftreten. Weltweit wird die Zahl der an Inkontinenz leidenden Menschen auf 200 Millionen. (davon in Deutschland auf vier Millionen.) geschätzt. Die Dunkelziffer ist jedoch hoch, so dass genaue Angaben nicht gegeben werden können. Ungewollter Harnverlust ist in der Öffentlichkeit immer noch ein Tabu-Thema. Viele Leidtragende gehen aus falscher Scham mit ihrem Problem nicht zum Arzt.
Mit Therapien, Medikamenten und operativen Verfahren kann heute bereits die Lebensqualität von einem überwiegenden Anteil der Erkrankten verbessert werden. Eine Gruppe von Betroffenen, denen bisher nicht zufriedenstellend geholfen werden konnte, leidet an einer Schwäche oder einem Versagen des Musculus Sphinkter externus, des vorderen Schließmuskels der Harnröhre. Bei diesen Patienten versagen alle nicht-invasiven Behandlungsmethoden. Die einzige Möglichkeit, den ständigen Ausfluss von Urin dauerhaft kontrollieren zu können, besteht darin, den Sphinkter durch ein Implantat zu unterstützen oder zu ersetzen. Auf dem Markt befinden sich zur Zeit mechanische Systeme, welche die Harnröhre mit Hilfe eines Cuffs verschließen.
Der Cuff ist ein Ballon, der die Harnröhre umschließt und dem Patienten implantiert werden muss. Der Patient kann die Füllung des Cuffs steuern und damit bestimmen, wie fest dieser die Harnröhre umschließt. Um den Harnausfluss zu unterdrücken, wird die Harnröhre von dem Cuff wie von einem engen Gummi zusammengedrückt. Bei unsachgemäßer Bedienung kann es jedoch zu einem "Abbinden" des Gewebes kommen. Die gequetschten Zellen werden nicht länger durchblutet und sterben schon nach wenigen Stunden ab. Häufig entstehen solche irreparablen Schäden, wenn ein Patient zum Beispiel auf eine Feier geht. Der Cuff wird (zu) stark aufgepumpt, damit ja kein Tropfen Urin verloren geht.
Damit es nicht zu solch einem schmerzhaften Absterben der Zellen kommt, haben die Studenten Alexander Hentschel, Hikmet Günegri, Adel Nibu, Sebastian Schostek und Chi-Nghia Ho sich die Aufgabe gestellt, die bestehenden Implantat-Systeme mit Hilfe eines feinsensorischen Regelkreises erheblich zu verbessern. Durch die Steuerung verschiedener im Körper implantierter Sensoren soll erreicht werden, dass in Abhängigkeit des in der Harnblase wirkenden Drucks stets ein entsprechender Druck im Cuff aufrechterhalten wird. Es kann so automatisch ein Optimum zwischen Verhinderung ungewollten Urinverlustes und Schutz des Gewebes vor fehlender Durchblutung erreicht werden. (> Einzelheiten)
A Guide to Terminology
Induktion: befindet sich eine Stromleitung in einem sich verändernden magnetischen Feld, so fließt in der elektrischen Leitung ein Strom
energetisch autark: keine externen Energiequellen
telemetrisch von außen codiert steuerbar: Steuerung des (im Körper befindlichen) Implantats über eine (außerhalb des Körpers befindliche) Anzeige mittels verschlüsselter Signale
durch Modularisierung individuell adaptierbar: das System kann den persönlichen Maßen des Patienten ohne Aufwand angepasst werden
komplett implantierbar: es sind kein äußeren Anschlüsse für das Implantat notwendig
alloplastische Kapselung mit biokompatiblen Materialien: es wird ausschließlich körperfremdes, jedoch körperverträgliches Material (z.B. Titan, ausgewählte Kunststoffe) zur Umhüllung des Implantats verwendet, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden
Nach der Implantation bekommt der Patient neben vielen Informationen nur zwei Dinge mit auf den Weg. Eine feuerzeuggroße Fernbedienung dient ihm zur Ansteuerung des Implantats. Damit ist es möglich, die sich kontinuierlich füllende Blase selbständig bei Bedarf zu entleeren. Des weiteren erhält der Patient einen Gürtel, an dem sich eine weitere Steuereinrichtung befindet, vor allem aber ein Ladegerät. Die Systeme des Implantats werden durch Energie aus Akkus betrieben. Nur einmal pro Woche müssen die Patienten den Gürtel umschnallen und per Ladegerät die Akkus aufladen. Sowohl Aufladung der Akkus als auch der Datentransfer von und zum Implantat sind völlig schmerzfrei. Den Patienten werden im Rahmen der Operation Magnetspulen unter die Bauchdecke implantiert, in denen durch Induktion der benötigte Strom erzeugt wird.
Der Aufwand, der allein im Rahmen des Studiums betrieben werden konnte, reichte allerdings nicht aus, um das Produkt auf den Weg zur Marktreife zu bringen. Die Studenten Sebastian Schostek und Chi-Nghia Ho engagierten sich auch über das Ausgangsprojekt hinaus für die Lösung der Aufgabe. Der Aufbau des Implantats wurde bereits der Öffentlichkeit auf einer der größten medizinischen Messen, der MEDICA in Düsseldorf, mit Erfolg vorgestellt.
Der erste Prozess der Produktentwicklung, der vollständige Entwurf, ist nun abgeschlossen. Eine Arbeit, die übrigens im Rahmen eines vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes stattfand. Im nächsten Schritt werden alle Komponenten des neu entwickelten Implantats in die erste Phase der Miniaturisierung gebracht. Das Ziel dabei ist, die Ausmaße der Prothese nicht größer als eine Zigarettenschachtel werden zu lassen.
Nachdem im Mittelpunkt der bisherigen Arbeit vor allem grundsätzliche Fragen zur Funktionalität standen, sind die Schwierigkeiten der kommenden Entwicklungsphasen vor allem praktischer Natur. Es gilt, die passenden Werkstoffe zu wählen und die Probleme der Energieversorgung, des Aufladens und der Ansteuerung des Implantats zu klären. Die Anforderungen an ein medizinisches System wie die beschriebene Prothese sind hoch.
Eine energetisch autarke, von außen steuerbare, durch Modularisierung individuell adaptierbare und komplett implantierbare alloplastische Kapselung müssen erreicht werden. Alle verwendeten Materialen müssen biokompatibel sein um keine Abstoßung des Körpers zu provozieren sowie den physikalischen Anforderungen der zu erwartenden Umwelt im Körper standhalten können. Die dennoch relativ kurze, angestrebte Entwicklungszeit (4-5 Jahre) ist nur durch die bereits vorhandenen Arbeiten von Prof. H. Wassermann möglich, auf welche zurückgegriffen werden kann.
Für die Vollendung des Projektes werden noch Gelder benötigt. Daher können sich interessierte Investoren beim Leiter des Projektes, Prof. H. Wassermann oder bei den Studenten Chi-Nghia Ho und Sebastian Schostek melden.
Zur Person
Chi-Nghia Ho (27) ist Student der Fein- und Mikrotechnik mit dem Schwerpunkt Medizintechnik im 7 Semester. Er und Alexander Hentschel haben für die theoretische Ausarbeitung ihrer Arbeit einen dritten Preis beim Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung gewonnen. Die Studenten Chi-Nghia Ho und Sebastian Schostek haben auf Teile des von ihnen entwickelten Systems bereits Patente angemeldet und eine Firma gegründet, um es nach der Fertigstellung in Zusammenarbeit mit anderen Firmen zu vermarkten.
Kontakt:
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Literatur
- Urologie / Hrsg. Richard Hautmann ; Harwig Huland. - 2. Aufl.. Berlin; Heidelberg... : Springer Verl., 2001 (Springer Lehrbuch) ISBN 3-540-67407-1
