Spaß am Finden und Erfinden
sg: Nach Ihrer Promotion sind Sie nicht in der Forschung geblieben, sondern Schriftsteller geworden. Was hat Sie zu diesem Schritt veranlasst?
Kegel: Da kam vieles zusammen: Das Ende eines Projektes für die Berliner Umweltbehörde, eine zoologische Bestandsaufnahme aller West-Berliner Naturschutzgebiete, und der Erfolg meiner ersten beiden Romane, die parallel zu meiner Arbeit als Wissenschaftler entstanden und plötzlich eine Alternative aufzeigten. Ich hatte Jahre zuvor schon einmal mit Wissenschaftsjournalismus geliebäugelt. Es war auch eine Entscheidung gegen ein Leben als überarbeiteter und unterbezahlter Wissenschaftsglobetrotter, Postdoc etc.
sg: Durch Ihre Tätigkeit als Schriftsteller sind Sie ja selbst halb Natur- und halb Geisteswissenschaftler. Sind das nicht letztlich zwei völlig gegensätzliche Welten?
Kegel: Ich fühle mich in erster Linie als Naturwissenschaftler. Das habe ich inklusive Studium zwanzig Jahre betrieben. Im Mittelpunkt aller meiner Bücher steht die Biologie, die Natur, ihre Faszination und ihre Gefährdung. Dazu kommt nicht der Geisteswissenschaftler, sondern der Künstler, der ich immer auch war, als Musiker. Es geht um den Spaß am Finden und Erfinden, in der Wissenschaft und beim Schreiben. Manchmal hauen sich Wissenschaftler und Künstler allerdings gegenseitig auf die Finger.
sg: Viele Naturwissenschaftler betrachten Ihre Arbeit heute als reine Denksportaufgabe, ohne gesellschaftliche Verantwortung zu spüren. Wie könnte man diesem Problem Ihrer Meinung nach begegnen?
Kegel: Wissenschaftsgeschichte und - philosophie müssen obligatorischer Inhalt jeder naturwissenschaftlichen Ausbildung sein, eine uralte Forderung. Jeder Physiker, Biologe, Arzt oder Chemiker sollte in Schule und Studium einmal intensiv darüber nachgedacht haben, wie wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen und sich durchsetzten, und daß sich Wissenschaft nicht im luftleeren Raum, sondern vor einem gesellschaftlichen Hintergrund abspielt und Interessen dient.
sg: Der Weg bis zur Doktorarbeit oder gar Habilitation in Deutschland ist lang. Wie würden Sie sich die "ideale" Ausbildung junger Wissenschaftler vorstellen?
Kegel: Bildungspolitik ist eine meiner schwachen Seiten. Letztlich, glaube ich, hängt es immer an Individuen. Es braucht gute Lehrer und interessierte Studenten. Wer das Glück hat, in seinem Studium wissenschaftlich wie menschlich herausragenden Persönlichkeiten zu begegnen, wird davon profitieren. Aber die sind rar, egal in welchem System. Ein idealer Wissenschaftler ist neugierig, offen, kritisch und verantwortungsvoll. Eine ideale Ausbildung bietet den nötigen Raum, damit sich diese Eigenschaften entwickeln können und nicht verschütten werden.
sg: Manche Entwicklungen, zum Beispiel in der Biotechnologie, erscheinen vielen Menschen heute furchteinflössend. Was würden Sie sich von den wissenschaftlichen Vereinigungen in Deutschland wünschen, um solchen Bedenken zu begegnen?
Kegel: Manche Entwicklungen sind in der Tat furchteinflössend. Gesunde, informierte Skepsis scheint mir angebracht, nicht nur aber besonders gegenüber der Biotechnologie. Die etablierte Wissenschaft neigt dazu, jede Einmischung und Kritik als Wissenschaftsfeindlichkeit abzuqualifizieren. Von den großen Wissenschaftsorganisationen erwarte ich Ehrlichkeit, Transparenz und eine wirksame Kontrolle. Weniger Forschungslobbyismus und Gejammer über den Wissenschaftsstandort Deutschland, mehr aktives Engagement für die enormen Probleme und Herausforderungen der Zukunft.
sg: Viele Biologen wollen heutzutage nichts mehr von Käfern, Pflanzen und Vögeln wissen - man kann Biologie quasi "im Betonbunker" studieren. Welche Gefahren sehen Sie in dieser auf Molekularbiologie fokussierten Ausrichtung?
Kegel: Was da "im Betonbunker" studiert wird, ist bestimmt nicht Biologie, sondern Biochemie. Moleküle sind tot, nur Organismen leben. Wer mit Käfern, Pflanzen und Vögeln nichts anfangen kann, sollte auch die Finger von Restriktionsenzymen und Sequenzierern lassen. Biochemische Reaktionsketten sind eben keine wertfreien Denksportaufgaben, sondern Lebenserhaltungssysteme von Organismen. Sie machen nur Sinn, wenn man die Lebewesen in ihren ökologischen und evolutionären Zusammenhängen betrachtet. Andernfalls wird das Bild immer unvollständig bleiben. Es wimmelt heute von Molekularbiologen, echte Kenner von Tier- und Pflanzengruppen sterben aus. Aber die Systematik ist die Grundlage jeder Biologie.
sg: Wissenschaftliche Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, ist sicher keine leichte Aufgabe - manche sprechen sogar von einer Vermittlungs- oder Verständniskrise. Was waren für Sie die einschneidendsten Erlebnisse im Dialog mit Ihren Lesern?
Kegel: Tatsächlich begegnet man manchmal erschreckender Unkenntnis. Da hilft nur geduldiges Erklären. Nach meinem Geschmack wird die vermeindliche Vermittlungskrise allerdings überbetont. Dahinter steckt der Glaube, man müsse nur richtig erklären, dann erhielte man automatisch Zustimmung. Das ist ein Fehlschluß. Wissenschaft und Technik bewegen sich heute etwa in der Reproduktionsmedizin auf derart heiklem Terrain, daß eine kritische Öffentlichkeit als Korrektiv unbedingt erforderlich ist. In Wirklichkeit ist der Zugang zu Information noch nie so leicht gewesen wie heute. Die Bevölkerung ist vermutlich (trotz PISA) die bestausgebildetste, die es jemals gab.
sg: Vielen Menschen sind "Umweltthemen" wie Artensterben und Klimaveränderung egal, oder sie sind dieser Themen bereits überdrüssig geworden. Wie kann man solchen Leuten trotzdem zeigen, dass die Beschäftigung mit diesen Themen wichtig ist?
Kegel: Wenn ich das wüßte ... ich versuche es mit spannenden Geschichten. Man muß zeigen, dass es bei all diesen Themen um uns geht, die Welt, in der und durch die wir leben, unser Sicherungsnetz. Es ist dumm, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt, und mit uns zahllose Tier- und Pflanzenarten. Und wer will schon gerne als dumm gelten. Das schlechte Image der Umweltthemen - technikfeindlich, gepflastert mit Verzicht und Verboten - ist eine Katastrophe und gehört auf den Müll. Ökologisch sinnvolles Handeln, Nachhaltigkeit, all das kann nur durch Intelligenz und Innovationen erreicht werden, und das sind gleichzeitig Motoren des Wachstums. Allerdings: Wer bis heute nicht begriffen hat, was eine Veränderung des globalen Klimas für die Menschheit bedeutet, dem ist fast nicht mehr zu helfen.
sg: Wer heute als junger Wissenschaftler etwas gesellschaftlich relevantes tun möchte - was würden Sie so jemandem raten?
Kegel: Ohne Verbissenheit, aber unbeirrt von Moden und Trends, von denen auch die Wissenschaft heimgesucht wird, seinen Weg gehen, Kontakt zu interessanten Menschen suchen, und bei alldem nicht vergessen zu leben ... mein Gott, wenn ich das immer beherzigt hätte ...
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- Leseproben, Presserezensionen undHintergrundinformationen zu Bernhard Kegel
Zur Person
Bernhard Kegel (48) studierte Chemie und Biologe an der FU Berlin und promovierte 1991 zum Thema "Freiland- und Laboruntersuchungen zur Wirkung von Herbiziden auf epigäische Arthropoden, insbesondere der Laufkäfer (Coleoptera: Carabidae)". Er ist Gitarrist und Jazzmusiker und brachte fünf CDs heraus. Bekannt wurde er insbesondere als Wissenschaftspublizist, der sich dem Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verpflichtet fühlt. Heute lebt er als freier Schriftsteller inBerlin und Brandenburg.
Literatur
- Kegel, B. (1996): Das Ölschieferskelett. Ammann Verlag, Zürich.
- Kegel, B. (1997): Wenzels Pilz. Ammann Verlag, Zürich.
- Kegel, B. (1999): Die Ameise als Tramp. Von biologischen Invasionen. Ammann Verlag, Zürich.
- Kegel, B. (2001): Sexy Sons. Ammann Verlag, Zürich.