Pech gehabt
Eines – jung, schön, fotogen – erinnert sich: “Als ich aus dem Krankenhaus kam, ging ich zu meinem Arzt und fragte ihn, warum er mich nicht schon vor einem halben Jahr zu einem Spezialisten geschickt hat, als der erste Verdacht im Ultraschall auftauchte. Er sagte: "Sie sind noch so jung. Ich habe einfach nicht geglaubt, dass es bei Ihnen ernst ist. Da haben sie einfach Pech gehabt‘”.
Jede neunte Frau erkrankt
Erinnern Sie sich an Ihre Schulklasse. Unter dreißig Schülern waren so etwa 15 Frauen, oder? Von diesen wird rein statistisch mindestens eine Brustkrebs bekommen. In Deutschland erkrankt jede neunte Frau an diesem Tumor.
Pech bedeutet in diesem Falle Brustkrebs. So ungewöhnlich diese Krankheit bei Aktmodellen sein mag, so absolut durchschnittlich ist sie jedoch für den Rest der Bevölkerung: Brustkrebs trifft eine von neun Frauen in Deutschland, in den USA sind es sogar eine von acht. Jährlich erkranken etwa 46000 Deutsche an dieser Tumorform. 19000 von ihnen sterben. Das bedeutet: Jeden Tag nimmt eine Krankheit, die bei frühzeitiger Erkennung heute wirklich kein Todesurteil mehr sein muss, 52 Frauen in Deutschland das Leben.
Nicht selten liegt dies an einer unzureichenden Früherkennung-Untersuchung. Die Künstlerin Katharina Mouratidi hat viele solcher Geschichten gehört – von ihren Modellen, aber auch von den Ärzten und Hilfsvereinigungen. “Die Früherkennung in Deutschland ist katastrophal, viele Frauen bekommen sowohl positive, als auch negative Falschbefunde” sagt sie. “Das hat mich so wütend gemacht, dass ich angefangen habe, mich fotografisch mit Brustkrebs auseinander zu setzen”.
Das Ergebnis ist eine bewegende Ausstellung, die gerade im Museum der Arbeit in Hamburg zu sehen war und jetzt weiter durch Europa tourt. Wenn Sie die Gelegenheit haben: Gehen Sie hin. Reden Sie drüber. Fragen Sie Ihren Arzt. Damit die Geschichten von Katharina Mouratidis Models ungewöhnlicher werden.
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Ein Interview mit Katharina Mouratidi
sg: Frau Mouratidi, wie sind Sie auf das Thema gekommen?
KM: Ich habe mich 1997 während meines Studienaufenthaltes in Barcelona mit den Themen Körper, Gesundheit, Krankheit und Tod auseinandergesetzt. Dabei bin ich auf das Thema Brustkrebs gestoßen.
sg: Also gar nicht durch persönlichen Kontakt...
KM: Nein.
sg: Wie sieht denn so eine künstlerische Themensuche genau aus?
KM: Ganz einfach: da sitzt Du eben in der medizinischen Bibliothek und guckst von A wie Augenproblem bis Z wie Zahnchirurgie nach - und da bin ich eben bei B hängengeblieben. Ich fand es einfach auffallend, dass die Abbildungen, die man da sieht, nur den Oberkörper zeigen. Einfach nur die amputierte Brust. Oder eben die Narbe. Das hat dann gar nichts mehr mit der Persönlichkeit der Frauen zu tun.
sg: Dann haben Sie sich weiter über das Thema informiert...
Brustkrebs bei Männern
Auch Männer erkranken an Brustkrebs, allerdings viel seltener: Nur 0,5 Prozent aller bösartigen Tumoren des Mannes betreffen seine Brust.
(Deutsche Krebsgesellschaft)
KM: Genau. Und dabei erfahren, wie furchtbar wirklich die Zustände bei der Früherkennungs-Untersuchung in Deutschland sind. Wir sind da heute immer noch nicht auf dem EU-Standard. Und da habe ich beschlossen, etwas dazu beizutragen, dass dieser Missstand verändert wird. Zumindest, soweit ich das in meinen Mitteln kann.
sg: Wie ging es dann weiter?
KM: Für den ersten Teil meines Projektes porträtierte ich die Gesichter betroffener Frauen in Nahaufnahme. Die Fotografien wurden dann mit Interviews ergänzt, in denen die Frauen über die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens und Überlebens mit Brustkrebs sprechen. Der zweite Teil besteht aus 22 großformatigen Halbaktfotografien, von denen einige als Plakate in 90 Berliner U-Bahnhöfen zu sehen waren.
sg: Wie finden Sie Ihre Modelle?
KM: Durch Anzeigen in der Berliner Tagespresse. Ich wähle die Modelle nicht aus, sondern akzeptiere sie in der Reihenfolge der Anrufe.
sg: Viele der Frauen lächeln ja auf den Fotos. Ist das nicht auch ein etwas positives Bild der fröhlichen Brustkrebspatientin?
Früherkennung
“Durch eine Brustkrebsfrüherkennung nach den EU-Richtlinien könnte die Brustkrebssterblichkeit in Deutschland um 35 Prozent gesenkt werden” sagt Angela Spelsberg, Leiterin des Tumorzentrums Aachen. Zu diesem Ergebnis ist das internationale Krebsforschungsinstitut der WHO (IARC) nach internationalen Mammographiestudien gekommen.
KM: Ich werde oft deswegen angegriffen. Aber ich habe den Frauen nicht gesagt, wie sie sich zeigen sollten. Sie hatten nur die Vorgaben, dass es ein Halbakt vor weißem Hintergrund sein sollte und sie in die Kamera schauen sollten. Alles weitere war den Frauen überlassen. Viele wollten zeigen: “Hier sind wir. Uns gibt es. So sehen wir aus. Wir haben die Krankheit überlebt und sind trotzdem noch positiv. Diese Krankheit kann man überleben, wir müssen und nicht für unsere Körper schämen.” Die Frauen waren auch am Entscheidungsprozess beteiligt und haben die fertigen Bilder gesehen. Sie konnten bei jedem Schritt sagen “So nicht”.
sg: Wenn die Frauen ihre eigenen Bilder sehen, wie reagieren sie? Fühlen sie sich entstellt? Und: Wie viele sind während des Entscheidungsprozesses abgesprungen?
KM: Bisher ist nur beim zweiten Projekt eine Frau abgesprungen. Durch die Krankheit entstellt fühlen sich fast alle, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Trotzdem haben die Frauen beschlossen, mit ihren Körpern an die Öffentlkichkeit zu gehen um anderen Frauen Mut zu machen.
Links zum Thema
- Das Radiologisches Zentralinistitut der Städtischen Kliniken Esslingen liefert Informationen zu Untersuchungsmethoden
- Der Verein “Brustkrebsinitiative” bietet ein breites Informationsangebot.
- Ein Lexikon erklärt die Fachbegriffe
- Viele Infos und eine weltweite Linkliste finden sich auf dieser Britischen Brustkrebs-Website.
- Die Infobroschüre zum Thema Brustkrebs der Deutschen Krebshilfe kann man sich als PDF-Datei herunterladen
- Die Deutsche Krebshilfe empfiehlt Zentren für familären Brustkrebs
- Das Tumorzentrum Aachen
Zur Person
Die 31-jährige Berlinerin Katharina Mouratidi studierte an der Kusthochschule Berlin Weißensee und begann 1997, sich künstlerisch mit dem Thema Brustkrebs auseinanderzusetzen. Damals war sie in Barcelona auf einem Austauschjahr und suchte nach einem neuen Thema für ihre Fotografie. Über die Themen Tod und Krankheit kam sie schließlich zum Brustkrebs. Vier der in ihrer jetzigen Ausstellung gezeigten 22 Portraits wurden im Oktober 2000 in 90 Berliner U-Bahn Stationen gezeigt. Für Ihre Arbeit bekam die Künstlerin den 2. Preis des Deutschen Studienpreises.
Literatur
- Brustkrebs - Wissen gegen die Angst. Ein Handbuch
Lilo Berg, Antje Kunstmann Verlag, München 2000 - Brustkrebs-Früherkennungs-Untersuchung
Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser, Brigitt Höldke, Kirchheim-Verlag, Mainz 2000 - Der Knoten über meinem Herzen
Ursula Goldmann-Posch, Karl Blessing Verlag, München 2000 - Das Brustbuch - Was Frauen wissen wollen
Dr. Susan M. Love, Karen Lindsey, dtv 1998 - Krebsbewältigung und Lebenssinn - Gespräche mit Patienten und Ärzten
Dr. Renate Kreibich-Fischer, Beltz-Verlag, Weinheim und Basel 1994 - Brustkrebs - Porträts betroffener Frauen
Katharina Mouratidi, Paperback, 64 Seiten mit zahlreichen Interviews betroffener Frauen + 18 SW Abbildungen. Preis 10.- Euro + Versand.
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