April 2003

Bei Limbachs zu Hause

Jutta LimbachWie man es schafft, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bekommen – persönliche Erfahrungen von Frau Prof. Dr. Jutta Limbach.

Frauen, aber auch zunehmend Männer, stehen heutzutage vor einer Zwickmühle. Karriere ja – aber dafür auf Familie verzichten? Familie ja – aber dafür auf Karriere verzichten? Gerade weibliche Vorbilder, die beides geschafft haben, sind selten; Frau Prof. Jutta Limbach, ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgericht, ist eine von ihnen.


sg: Frau Limbach, Sie waren Ihr ganzes Leben lang berufstätig – freiwillig. Warum wollten Sie berufstätig sein? Woher kam ihr Vertrauen, beides – Familie und Berufstätigkeit – zu schaffen?

JL: Das liegt bei mir in der Familie. Schon meine Urgroßmutter war berufstätig – trotz vier Kindern. Ihr Mann war schon früh verstorben, und so ernährte sie mit einem kleinen Ladengeschäft die Familie und ermöglichte den Söhnen sogar ein Studium. Da habe ich mir gedacht, dass ich das auch schaffen müsste! 1955 – das war ungefähr meine Zeit – da waren ja die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel besser. Ich hatte im Grunde genommen auch nie Skrupel: ich wollte berufstätig sein, aber ich wollte auch nicht auf Kinder und Familie verzichten.

sg: Wie haben Sie und Ihr Mann Ihr Leben organisiert?

JL: Mein Mann und ich haben nach dem Motto gelebt: erst die akademische Ausbildung, also auch die Referendariate und Staatsexamina, dann heiraten und dann Kinder bekommen. Wir haben stets eines unserer Gehalte für ein Kindermädchen eingesetzt und uns auf diese Weise die Möglichkeit verschafft, beide berufstätig zu sein.

sg: Sie haben drei Kinder?

JL: Ja, das erste, meine Tochter, ist 1964 geboren, das letzte, der zweite Sohn 1969.

sg: Wie sah Ihr normaler Tagesablauf mit den damals kleinen Kindern aus?

JL: Wir haben stets gemeinsam gefrühstückt. Dann gingen die Kinder in Kindergarten und Schule bzw. das Kindermädchen war da. Nachmittags kam dann mein Mann. Er ist Jurist wie ich und war als Beamter im Innenministerium tätig. Er hat das Kindermädchen abgelöst und dann in der Küche das Abendbrot vorbereitet. Dann saßen alle um ihn herum – wir haben eine große Wohnküche – und erzählten und unterhielten sich.

sg: Ihre Kinder gingen also trotz Kindermädchen in den Kindergarten?

JL: Alle Kinder sind ab dem dritten Lebensjahr im Kindergarten gewesen, alle drei! Gerade was sich im Kindergarten ereignet, ist so wichtig für sie! Dass sie mit anderen Kindern auskommen müssen, lernen müssen, mit ihnen zu kooperieren, sie für ein Spiel zu gewinnen. Das hat meinen Kindern nur genutzt, als sie in die Schule kamen. Da hatten sie bereits ihr erstes Beziehungsgefüge im Kindergarten aufgebaut und waren überhaupt nicht erschrocken, als sie dann in einer Klasse mit 20 oder 30 Kindern gesessen haben.

sg: Kindermädchen, Kindergarten - haben Sie auch durch den Arbeitgeber Unterstützung erfahren?

JL: Nein, überhaupt nicht. Das gab es zu meiner Zeit noch nicht. Man war darauf angewiesen, das Problem privat zu lösen. Zunächst mit den Großeltern, doch wir waren der Meinung, dass diese ihren Teil geleistet hatten. Darum haben wir uns gesagt: Lieber bescheidener leben und dafür ein Kindermädchen bezahlen. Das hat sich auch immer als gut erwiesen. Vor allem, weil wir ein Gegenprogramm gewählt haben. Wir haben junge Kindermädchen ausgesucht, die etwas ruhiger waren als die Mutter.

sg: Sie haben eine qualitativ hochwertige Erziehungsarbeit durch die Eltern gefordert. Wenn Sie stets berufstätig und außer Haus waren: Wie hoch schätzen Sie dann Ihren Anteil an der Erziehungsarbeit ein?

JL: Wie gesagt, wir haben mit den Kindern gefrühstückt und Abendbrot gegessen, mit ihnen gesprochen und ihnen vorgelesen. Die intellektuelle und moralische Erziehung war uns sehr wichtig und sie war intensiv. Vielleicht intensiver als bei so manchem anderen Elternpaar. Das wird ihnen jedes meiner Kinder bestätigen. Aber auch die Schule der Kinder und die Münstergemeinde in Bonn, in der unsere Kinder eingebunden waren, haben ihr Übriges getan. Es ist ein Irrglaube, dass nur die Mutter oder der Vater die Kinder erziehen kann, der den ganzen Tag mit ihnen zusammen ist.

sg: Ihre Freizeit gehörte also den Kindern – inwieweit blieb da noch viel Zeit für andere Kontakte?

JL: Sicherlich, als unsere Kinder klein waren, haben wir nicht viele gesellschaftliche Kontakte gehabt. Da sind wir nur hin und wieder ins Theater gegangen - am liebsten in das Konzert für Kinder und Jugendliche, das es in Bonn sehr häufig gab. Wir hatten uns sehr aufeinander eingestellt.

sg: Wann hätten Sie ernsthaft bezweifelt, dass Berufstätigkeit und Kinder vereinbar sind?

JL: Wenn eines der Kinder krank und behindert gewesen wäre. Dann hätten wir sicher darüber nachdenken müssen, ob und wie wir das schaffen. Aber wie ich meinen Mann kenne, wäre er auf jeden Fall damit einverstanden gewesen, dass jeder von uns berufstätig sein darf. Jeder hätte sich entsprechend eingeschränkt.

sg: Haben Sie nie gedacht: Wäre ich doch lieber zu Hause geblieben?

JL: Nein, nie. Unter diesem Gefühl habe ich nicht eine Minute gelitten, nicht eine! Ich war immer gern berufstätig, habe immer gern Verantwortung übernommen. Sollte ich, nur weil ich der weibliche Teil der Ehe war, zu Haus bleiben?

sg: Vielleicht weil Männer keine Kinder stillen können?

JL: Natürlich habe ich die Kinder gestillt, trotz meiner Arbeit! Ich war damals zunächst als Akademische Rätin an der Universität tätig, danach habe ich habilitiert. Dadurch konnte ich mir meine Zeit gut einteilen. Erziehungsurlaub gab es damals noch nicht – ich hätte ihn vermutlich auch nicht in Anspruch genommen. Aber gewiss habe ich die Wochen des Mutterschutzes gehabt, so dass ich in der aller ersten Zeit auch ganztags zu Haus war.

sg: Waren Sie für Ihre Umwelt die Rabenmutter?

JL: So direkt nicht. Aber natürlich stellte man mir Fragen der Art „Wie machen Sie das nur...?“ und das mit einem Unterton der Kritik. Aber ich war stets mit so einer Selbstverständlichkeit berufstätig, dass ich wenig Angriffsfläche bot. Meine Kollegen jedenfalls, und je höher meine Position war, desto weniger Kolleginnen gab es, sahen das eigentlich als selbstverständlich an. Das hatte auch damit zu tun, dass ich – als Frau unter vielen männlichen Professoren – eine Ausnahme, eine Orchidee, war. Für sie stellte ich noch keine ernsthafte Konkurrenz dar.

sg: Welche Auswirkungen Erziehung hat, zeigt sich vor allem langfristig. Denken Sie, dass Ihr Erziehungsmodell erfolgreich war?

JL: Ja, alle Kinder haben eine qualifizierte Berufsausbildung und sind mit Freuden berufstätig. Mein Mann und ich waren immer gespannt, wie unser Modell auf die Kinder wirken würde. Es scheint also nicht abschreckend gewesen zu sein. Meine Tochter ist berufstätig und Mutter dreier Kinder. Meine beiden Söhne sind mit berufstätigen, hochqualifizierten Frauen verheiratet. Aber ich hoffe, dass auch da unser und besonders das Vorbild meines Mannes wirken.

Das Interview führte Birgit Milius

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