Von guten und schlechten Wörtern
Richtig ist beides. „Der Braunschweiger Ansatz ist jedoch völlig anders als das Vorgehen der Frankfurter” erläutert uns Thorsten Griesbach, Doktorand am Seminar für deutsche Sprache und Literatur der TU Braunschweig. „Natürlich geht es auch uns darum, Unwörter zu ermitteln, doch eigentlich ist das nur ein Bonus.” Das schöne am Wort „Unwort“ ist, so berichtet er, dass dieser Begriff so unspezifisch und bedeutungsoffen ist. Beinahe jeder versteht darunter etwas anderes, das gemeinsame Merkmal ist immer nur, dass mit „Unwort“ ein Wort bezeichnet wird, das einen stört. Jeder nimmt seine eigene sprachkritische Vorstellung und projiziert dies auf „sein” Unwort. „Wenn ich jemanden mit Vorbehalten gegen Fremdwörter nach seinem Unwort frage, so bekomme ich nicht nur ein Wort, sondern ich erfahre implizit auch, welche sprachkritischen Schwerpunkte diese Person setzt”, macht Thorsten Griesbach deutlich. Diese Chance, bei Fragen nach einem Unwort einen Einblick in die sogenannte laienlinguistische Wortkritik zu erhalten, wird von den Frankfurter Sprachforschern nicht ausgenutzt.
Linguistik
Sprachwissenschaft; Bezeichnung für die moderne Sprachwissenschaft, die vor allem Theorien über die Struktur der (gesprochenen) Sprache erarbeitet und in weitgehend deskriptiven Verfahren empirisch nachweisbare Ergebnisse anstrebt.
(Meyers großes Taschenlexikon in 24 Bänden, Ausgabe 1995.)
Während in Braunschweig nur aufgefordert wird „Nennen und begründen Sie uns ihr Unwort des Jahres”, geben die Frankfurter Jurymitglieder um Professor Dr. Schlosser Definitionen vor, was sie unter einem Unwort verstehen. Wessen Unwort als ernsthafter Vorschlag durchgehen soll, muss der gegebenen Definition, „dem moralischen Kriterium”, entsprechen. Folgerichtig wird auch nicht notwendigerweise das am häufigsten genannte Wort zum Unwort das Jahres erkoren, sondern vielmehr ein Wort, welches den Vorstellungen der Frankfurter Wissenschaftler entspricht. Aufgrund dieser Unterschiede sehen sich die Forscher in Braunschweig auch nicht als Konkurrent zu den Frankfurtern, sondern vielmehr als Ergänzung.
Laienlinguistische Wortkritik
Die Bezeichnung Laienlinguistische Wortkritik bezieht sich auf die Sprachbewertung von linguistischen Laien. Das Forschungsgebiet ist dabei nicht neu, aber dennoch wurde bisher wenig Basisarbeit geleistet. Das Unwortprojekt ist eines der ersten Projekte, bei dem tatsächlich Wortkritik aus der Bevölkerung systematisch erforscht wird. Bisher wurde zumeist nicht bei der Bevölkerung selbst angesetzt, sondern auf einer höheren, sekundären Ebene, beispielsweise durch die Auswertung von Zeitungsbeiträgen oder Sprachratgebern.
Dass Thorsten Griesbach Feuer und Flamme für sein Projekt ist, sieht man ihm an. Während er Details seiner Arbeit erläutert, strahlt sein Gesicht. Seine Begeisterung springt mühelos auf den Gesprächspartner über. Dass sein Kaffee über die Zeit kalt wird, stört ihn nicht. Eigentlich war es Zufall, dass er sich nun mit Linguistik beschäftigt. Studiert hat er Deutsch und Geschichte auf höheres Lehramt, durch seine Hiwi-Stelle im Rahmen der Neubearbeitung des „Deutschen Wörterbuchs” von Hermann Paul am Seminar für deutsche Sprache und Literatur begeisterte ihn dann aber die Linguistik immer mehr. Nun, nach abgeschlossenem Studium, widmet er sich ganz diesem Fach und der Unwortforschung, die ihn auch nach drei Jahren immer noch Spaß bereitet. Nachdem er in seiner Examensarbeit die Ergebnisse der ersten „Unwörter”-Aktion im Jahr 2000 ausgewertet hat, versucht er nun im Rahmen seiner Dissertation die zweite Ebene, die sprachkritische Einstellung der Bevölkerung, anhand der Ergebnisse aus den zwei „Unwörter”-Aktionen zu ergründen.
Sein eigenes, ganz persönliches „Unwort des Jahres” will Thorsten Griesbach übrigens nicht nennen: „Da kann ich nicht unvoreingenommen herangehen. Natürlich gibt es Wörter, die ich einfach nicht mag. Aber dann meldet sich der Sprachwissenschaftler in mir, der das alles rationaler zu sehen verlangt.”
Ein weiteres Braunschweiger Projekt: Ein Wörterbuch für kritische Wörter
Die „Soziolinguistik” ist eine spezielle Ausrichtung der Linguistik, bei der das Sprachverhalten gesellschaftlicher Gruppen erforscht wird. In Braunschweig erfolgte dies in der Vergangenheit z.B. in Gestalt der Untersuchungen Helmut Hennes zur Jugendsprache. Ein aktuelles Forschungsprojekt betreibt Priv.-Doz. Dr. Jörg Kilian, der Doktorvater von Thorsten Griesbach: Ziel ist es, ein Wörterbuch für „kritische Wörter” zu erstellen. Dort werden kontrovers eingestufte Wörter aufgeführt und beschrieben, in welchen Situationen diese nicht gebraucht werden sollten und in welchen sie wiederum durchaus ‘gefahrlos’ benutzt werden können. Damit will das Wörterbuch gerade auch Deutschlernenden helfen, die beim Erlernen von Wörtern nicht wissen können, in welchen Situationen sie diese besser nicht verwenden. So ist beispielsweise der Begriff Neger als Bezeichnung für eine farbige Person in einem politischen Dialog zu vermeiden, während es im Schutz des Kompositums Negerkuss unverdächtig ist (als Benennung für die bekannte Schokoschaumspeise).
Links zum Thema
- Informationen zu den Unwörtern des Jahres 2000
- Informationen zu den Unwörtern des Jahres 2002
- Webseite der Frankfurter Unwortforscher
- „Unwörter im Visier“ – ein Beitrag der Braunschweiger Unwort-Forscher (.pdf)
Zur Person
Thorsten Griesbach hat an der Technischen Universität in Braunschweig Deutsch und Geschichte studiert. Seit 2003 arbeitet er am Seminar für deutsche Sprache und Literatur der TU Braunschweig an seiner Dissertation zu einem Thema aus der Unwortforschung.
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