Wenn „Jugend forscht“-Preisträger baden gehen
Nieselregen. Der Bus arbeitet sich langsam die kurvenreiche Waldstrecke entlang. Jeder hat eine Tasche mit Wechselklamotten dabei, man kann ja nie wissen. Schließlich taucht links ein langgestreckter See schemenhaft zwischen den Bäumen auf, wir sind am Ziel. 40 Leute steigen aus, es liegen Seile, Holzbretter und riesige aufblasbare Gummischläuche bereit. „Dann baut mal schön eure Flöße,“ ruft einer der Betreuer. Er trägt eine Baseball-Kappe. Und er trägt eine Sonnenbrille, bestimmt um sich gegen den Nieselregen zu schützen.
Eine Stunde später sind wir alle in eine Seeschlacht ungeahnten Ausmaßes verwickelt, Paddelteile treiben im Wasser, die Floßbretter biegen sich, manch einer geht mehr oder weniger unfreiwillig baden, kurzum: Wir sind bis auf die Haut durchnässt.
Ein harmloses Zeltlager für verzogene Söhne und Töchter? Oder doch eher einer jener Manager-Guru-Workshops, in denen einem Teamgeist zwangsverordnet wird? Weit gefehlt! Die Seeschlacht ist Teil des Programmpunkts „Risiko erleben“ im Rahmen des 6. Perspektiv-Forums für ehemalige „Jugend forscht“ - Preisträger. „Jugend forscht“ - hat das nicht etwas mit unbequemen Quängelköpfen, verrückten jungen Erfindern, und Nickelbrillenträgern zu tun? Nun, vielleicht gilt es da einiges gerade zu rücken.
Das Einmaleins der Skepsis
Gerd Gigerenzer stellte auf dem PerspektivForum sein neues Buch „...über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken“ vor. Seine These: „Wenn man mündige Bürger haben will, muss man ihnen drei Dinge beibringen: Lesen, Schreiben und - statistisches Denken.“
Die sogenannten „PerspektivForen“ werden einmal pro Jahr von der Stiftung Jugend forscht und der DaimlerChrysler AG für ehemalige Teilnehmer des Bundeswettbewerbs „Jugend forscht“ angeboten. Ziel ist es, interessierte und interessante junge Leute zusammenzuführen und ihnen somit auch über die Wettbewerbsteilnahme hinaus ein eigenes Forum zu bieten. Hier werden Kontakte geknüpft und Ideen ausgetauscht. Und DaimlerChrysler lässt sich die Elitebildung etwas kosten: Ranghohe Persönlichkeiten werden eingeladen, um stimulierende Fachvorträge zu halten, es gibt Podiumsdiskussionen, Workshops, und natürlich immer mindestens eine Party. Die Qualität der Vorträge und Themen ist so hoch, dass einen die Rückkehr an die Uni anschließend nur frustriert. Bildung und Geld haben scheinbar doch etwas miteinander zutun.
Franz-Josef Hutsch
...stammt eigentlich aus Buxtehude und ist seit 1995 als freier Kriegsberichterstatter für deutsche Tageszeitungen und Rundfunksender in den Krisenregionen der Welt unterwegs. Er arbeitet an zwei Büchern, die seine Erlebnisse in Bosnien-Herzegowina in unzensierter Form beschreiben.
Das 6. PerspektivForum fand Ende August 2003 in Bonn statt - ungefähr 80 Leute waren aus ganz Deutschland angereist, um unter dem Motto „Risiko! Der Umgang mit Chance und Wagnis“ fünf Tage lang zu tagen. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Gerd Gigerenzer, war ebenso als Gastredner geladen, wie Joachim Treusch, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich, aber auch Ernst Ulrich von Weizsäcker, 3Sat-Moderatorin Angela Elis, der Koordinator der Bundesregierung für den Bundesnachrichtendienst oder der Kriegsberichterstatter Franz-Josef Hutsch.
Fast jeder Vortrag mündete in ausgedehnte Diskussionen - denn wenn man von ehemaligen „Jugend forscht“ - Teilnehmern („Jufos“) eines behaupten kann, dann ist es, dass sie nicht schnell klein zu kriegen sind. Was geschah wirklich in Srebrenica? Welche Rolle hatten die „embedded journalists“ im Irak-Krieg? Oder: Warum verschwinden Umwelt-Themen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit? Fragen wie diese wurden kritisch beleuchtet und führten noch weit über die offizielle Diskussionszeit hinaus zu nächtelangen Debatten unter den Teilnehmern. Nicht wenigen fehlte schon nach dem ersten Abend die Stimme - ein Zeichen dafür, dass das Perspektiv-Forum seinen Zweck mehr als erfüllt hat. Dass ganz nebenbei auch noch neue Kontakte zwischen Ost und West, Süd und Nord, Physikern und Biologen, Mathematikern und Chemikern entstanden, ist in einer sehr auf Fächergrenzen bedachten Universitätslandschaft ein Novum, das viel öfter praktiziert werden sollte. Nicht nur auf internen „Jugend forscht“ - Foren, sondern an jeder Universität. Das wäre ein Risiko, das sich nicht nur lohnen, sondern letzten Endes auch in barer Münze bezahlt machen würde.
Juforum e.V.
ist ein von Ehemaligen ins Leben gerufenes Netzwerk von „Jugend forscht“-Teilnehmern. Jedes Jahr wird ein eigener Kongress ausgerichtet. (Siehe link-Liste unten).
Links zum Thema
- Stiftung Jugend forscht e.V.
- Juforum e.V.
- Max Planck Institut für Bildungsforschung
Zur Person
Christoph Scherber promoviert im Fach Biologie an der Friedrich-Schiller Universität Jena auf dem Gebiet der Biodiversitätsforschung.
Literatur
Gigerenzer, Gerd (2003): Das Einmaleins der Skepsis. Berlin.
