Schneller, höher und fernsehkompatibel
Sport lockt als eines der wenigen Medienereignisse Millionen Zuschauer vor die Fernsehgeräte. Der einfache Wettkampf nach dem Prinzip „schneller, höher, besser” verheißt spannende Unterhaltung für alle Altersgruppen. Und natürlich möchte jede(r) von uns gern mit den Siegern jubeln; mit den „tragischen Helden” leiden wir im unerschütterlichen Glauben an das „Gute im Sport”, den Fairnessgedanken.
Sport:
in der Soziologie das gesellschaftliches Teilsystem, in dem sämtliche Handlungen durch den Code Sieg/Niederlage interpretiert werden. Sport zeichnet sich idealtypisch aus durch sportartspezifische Regeln, das Wettkampfprinzip und die Folgenlosigkeit von Handlungen für die außersportliche Welt.
Gehören also Fairness und sportlicher Wettkampf zusammen wie die sprichwörtlichen zwei Seiten einer Medaille? Was das direkte Verhältnis zwischen einer Sportart und den sie ausübenden Sportlern angeht, ist diese Annahme völlig richtig: Die Regeln jeder einzelnen Sportart geben vor, welches Ziel ein(e) Sportler(in) mit welchen Mitteln erreichen muss. Ein Fußballspieler darf zum Beispiel den Ball nicht mit den Händen berühren. Verlässt der Ball das Spielfeld, so wird dieser „Fehler” mit einem „Einwurf” für die gegnerische Mannschaft geahndet.
Regeln im Sport bewirken dreierlei: Sie schränken Raum und Zeit ein, innerhalb derer eine Leistung erbracht werden muss. Sie geben vor, welche Bewegungen und Geräte in dieser Sportart erlaubt sind, und zuletzt sagen die „Wettkampfbewertungsregeln” aus, wie die Einzelleistungen im Verhältnis zu anderen Wettkämpfern einzuschätzen sind. Aus dem Zusammenspiel dieser Elemente ergibt sich für alle Sportarten gleichermaßen: Wer gewinnen will, muss Tempo machen.
Das Fernsehpublikum kann sich darüber eigentlich nur freuen: Immer weniger langweilige Spiele, „Action” im Stadion oder auf dem „Center-Court” in jeder Sekunde. Irgendwann wird das Fernsehen nicht einmal mehr gezwungen sein, die Höhepunkte solcher Spiele nachträglich zusammen zu schneiden. Aber grenzt das nicht irgendwann an Reizüberflutung? Kann man als Zuschauer dann überhaupt noch erkennen, was da auf dem Platz vor sich geht? Und wie soll es mit den Schiedsrichtern weiter gehen, die schon jetzt viele Fouls nicht erkennen?
Die Antwort ist, dass genau an dieser Stelle die Gemeinsamkeiten zwischen Sport und Zuschauerinteresse enden. Einerseits soll Sport spannend sein, darf nicht langweilen, und dabei muss das gesamte Spielgeschehen möglichst medienwirksam auf einem Fernsehbildschirm Platz finden. Anderseits lässt sich zeigen, dass Schauwert – also die Attraktivität einer Sportart – und Regelwerk im Medienzeitalter häufig mit einander in Konflikt geraten, und sich beeinflussen. Denn so schnell, wie manche Athleten „wirbeln”, kann ihnen das Auge des Betrachters nicht folgen. Mit anderen Worten: Den Athletinnen und Athleten wird durch das so genannte „Wettkampfprinzip” die ständige Verbesserung ihrer Leistungen auferlegt. Da dies im Rahmen von Regeln geschehen muss, die entweder Raum, Zeit oder das Repertoire erlaubter Bewegungen einschränken, sind Leistungssteigerungen normalerweise von Beschleunigung begleitet. Das Publikum wünscht sich diese Form von Abwechslung allerdings nur zu einem bestimmten Grad.
Spannungs-Moment- Erkennbarkeit:
Häufigkeit, mit der aus dem Sportgeschehen auf eine Veränderung des späteren Ergebnisses geschlossen werden kann. Trägt zur Attraktivität einer Bilschirmsportart bei, erhöht den Schauwert.
Ein zu geringes Maß an Abwechslung lockt uns gar nicht erst vor den Fernseher. Grund: Trotz permanenter Beschleunigung des Geschehens sind die dargebotenen Reize nicht abwechslungsreich genug, die Wettkämpfe zu lang oder auch mal zu kurz. Tour de France Etappen wurden daher auch auf Druck der Medien kürzer, weil auf langen Strecken die ersten Stunden nur „gebummelt” wird. Für langweilige Abläufe hält der Fersehjargon die Bezeichnung „fehlende Spannungsmomenterkennbarkeit” bereit.
Bietet eine Sportart allerdings fernsehkompatible Spannung, passt sie also nicht nur auf einen Fernsehbildschirm, sondern auch auf ein vergleichsweise kleines Spielfeld, so findet Beschleunigung auch dort statt. Und so ist in optisch attraktiven Sportarten schnell die Schwelle der beobachtungsfreundlichen Geschwindigkeit überschritten. Die Verarbeitung der Reize im menschlichen Gehirn, die uns dabei hilft, nicht ein rundes Ding, das in einen Kasten knallt zu beobachten, sondern uns über das entscheidende Tor zur Europameisterschaft zu freuen, arbeitet nämlich nicht beliebig schnell. Das heißt, die Fähigkeit, in solchen Situationen die richtigen Schlüsse zu ziehen, nimmt mit der Geschwindigkeit des Dargebotenen ab. Ein Problem, dem sich übrigens auch die Schiedsrichter gegenüber sehen.
Ihre Situation ist symptomatisch für den Sport im Medienzeitalter: Langweilt schon der bloße Anblick einer Sportart, wirkt auch die größere Abwechslung durch Beschleunigung nicht. Ist eine Sportart spannend, bedingt durch ihre speziellen Regeln, wird die Beobachtung zunehmend anstrengender – bis zum Ende des Genusses. Tischtennis und Fechten sind fürs Auge oft zu schnell, und erst recht fürs Fernsehen. Das Paradoxe: Auch die Wiederherstellung der Balance durch die Zeitlupenaufnahme verspricht keine dauerhafte Lösung. Denn was bleibt vom Fiebern mit den Helden, wenn das Publikum – in gewisser Hinsicht – mehr weiß als der „Schiri”? Man könnte sagen, der Sport überholt seine eigenen Regeln.
Und wo Wettkämpfe statt „in Zeitlupe” lieber etwas schneller über den Bildschirm flackern sollen, da fällt für manchen Sportler die Ruhepause einfach weg. Die Gesetzmäßigkeiten des Fernsehens beginnen dann die Regeln des Sportes zu bestimmen. Im Modernen Fünfkampf zum Beispiel wurden, weil es für die olympischen Fernsehübertragungen passender ist, die Wettbewerbe in den fünf Sportarten ganz einfach auf einen Tag zusammengepfercht. Da müssen die Athleten zwischen Schießen, Fechten, Schwimmen, Reiten und 4000-m-Geländelauf eben auch mal auf die wohlverdiente Verschnaufpause verzichten, wenn es dem Fernsehen gefällt.
Auf dem Weg nach Athen könnte mancher Sportart also schon durch die Medien die Luft ausgehen ...
Links zum Thema
- Die ganze Faszination des Sprints: Bilder, Weltrekorde, etc. Wer ein bisschen browst, findet auch andere Sportarten
- Sportwissenschaftlicher Hochschultag, Thema ”Sport und Medien”
Zur Person
Christiane Zehrer (22) studiert Internationales Informationsmanagement mit den Nebenfächern Politik und BWL in Hildesheim. Sie ist seit fast 10 Jahren begeisterte Fechterin und neuerdings Langstreckenläuferin. Sie kennt Sport auch aus der Schiedsrichter-Perspektive. Mit einer Studie über den Einfluss der Medien auf den Sport hat sie den Deutschen Studienpreis gewonnen.
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