Februar 2004

Zum Job zittern

*Neben Großunternehmen wollen bald auch viele Unis geeignete Bewerber mit Eignungstests herausfiltern. Vielfältige, sich teilweise ausschließende Anforderungen erschweren es dabei den Kandidaten, ihre eigene Leistung richtig einzuschätzen. Der nächste Karriereschritt gerät zur Zitterpartie...

Wer das Abitur oder den Hochschulabschluss in der Tasche hat, freut sich meist, stressige Prüfungszeiten für immer hinter sich gelassen zu haben. „Um allen aussichtsreichen Bewerbern die Chance zu geben, uns ihre Stärken persönlich zu präsentieren...”, so oder ähnlich beginnt dann oft die erste Antwort auf eine mit viel Sorgfalt zusammengestellte Bewerbung. Die Einladung zum Einstellungstest liegt auf dem Tisch.

*Für den Bewerber steht einiges auf dem Spiel, denn klar ist: Nur wer auch diese letzte Prüfung erfolgreich besteht, für den werden sich die Jahre harter Arbeit während des Studiums auszahlen. Fest steht auch, dass bei Einstellungstests wie in jeder anderen Prüfung eine gute Vorbereitung die Erfolgsaussichten verbessert. Worauf aber soll man sich vorbereiten? Nach der Lektüre einschlägiger Ratgeber sieht man den eigenen Stern fast sinken: Ein selbstkritischer Abgleich zwischen eigenem Können und den überzogensten Arbeitgeber-Erwartungen aus dreißig Jahren Bewerbungs-Praxis fördert eine Fülle eigener Unzulänglichkeiten zu Tage. Doch auch wer nicht den schlimmsten Fall zum Maßstab nimmt, beginnt in der ohnehin schon großen Aufregung, sich selbst unangenehme Fragen zu stellen: Wie das zum Faulenzen genutzte Urlaubssemester erklären? Wie sich in einer Gruppendiskussion richtig zu Wort melden, und mit welcher schön klingenden Phrase die eigene Affinität zur Unternehmensphilosophie erfinden? Zu guter Letzt löst auch der Gedanke, sich am anderen Ende Deutschlands durch das Zusammenzählen endloser Zahlenkolonnen für den Traumjob qualifizieren zu müssen, gelegentlich Zweifel aus – an den eigenen Fähigkeiten und an der Fairness der zu Grunde gelegten Auswahlkriterien.

Dass selbst diese Kriterien für den Kandidaten in der konkreten Situation nicht immer durchschaubar sind, erschwert ein erfolgreiches Abschneiden zusätzlich. Wo Rechentests vorwiegend die Arbeitsqualität unter Stress prüfen und vom Mittagessen auf das Sozialverhalten geschlossen werden soll, gerät der Wettbewerb um den Job zur Zitterpartie. Wie sich also verhalten in einer Situation, in der jeder Schein trügen kann, einem jede Mäßigung als mangelnder Ehrgeiz und jeder offen zur Schau gestellte Ehrgeiz als Egoismus ausgelegt werden könnte?

Guter Rat ist teuer, wenn nicht gar unmöglich, und so steht man einige Tage später mit weichen Knien in den heiligen Hallen der Großindustrie oder Medienbranche. Die freundliche Frage des Empfangsmenschen nach dem Zweck des Besuchs beantwortet man mit unsicherer Stimme, irrt anschließend orientierungslos durch ein riesiges Gebäude. Hier, an Ort und Stelle, erscheint die berufliche Zukunft greifbar nah, doch bevor man sich große Illusionen macht, bald dazu zu gehören, drehen sich die Gedanken schon wieder um die bevorstehende Prüfung.

In einem Konferenzraum werden alle Bewerber von Vertretern der Personalabteilung begrüßt. „Gegen die ganzen anderen habe ich sowieso keine Chance”, meldet sich die innere Stimme. Die „herzliche Begrüßung” quittiert man mit dem zynischen Schlucken eines Verzweifelten. Und während die Mitbewerber scheinbar ungerührt darauf warten, bei Rechentest und Rechtschreibprüfung die Chance auf eine gute berufliche Stellung zu nutzen, macht sich im eigenen Kopf Verwirrung breit: Soll man sich erleichtert geben, weil man sich im Moment gar nicht so sehr unter Druck gesetzt fühlt? Oder lieber doch dem Grundtenor des Einstellungstest-Ratgebers folgen: „Nichts ist, wie es scheint, also lassen Sie sich nicht von einer eher entspannten Atmosphäre zu unangemessenem Verhalten hinreißen!” Auf dem Blatt vor einem mahnen die Zahlenkolonnen, jetzt doch endlich zu rechnen. Glücklicherweise lässt die knapp bemessene Bearbeitungsphase keine Zeit mehr, weitere Verhaltensoptionen gegen einander abzuwägen. „Es geht um Alles, also zeig‘ was du kannst!”

Unsicherheit auch beim Mittagessen: Verbirgt sich dahinter gleich die nächste Prüfung? Wenn die gerade überstandene Rechnerei tatsächlich die mathematischen Fähigkeiten überprüfen sollte, könnte jetzt jedenfalls das Sozialverhalten auf dem Prüfstand stehen. Jetzt also zu unverfänglichen Gesprächsthemen wechseln? Zu spät. Die Tischnachbarin erkundigt sich gerade nach dem allgemeinen Eindruck von der morgendlichen Rechnerei. Wie auf so etwas reagieren? Zugeben, dass man auch seine Schwierigkeiten hatte? Das könnte als mangelndes Selbstbewusstsein gewertet werden. Zu viel Gelassenheit allerdings, à la „man muss nicht alles schaffen, und bekommt trotzdem seine Chance” käme wohl auch nicht gut an. Also doch Themenwechsel zum Wetter? Auch dieses unverfänglichste aller Themen fällt in der heiklen Situation aus. Der Einwand diesmal: mangelnde Kreativität. Die Unterhaltung als Balanceakt, in dem jedes Wort zunächst auf die Goldwaage muss: Beunruhigend!

Schließlich lenkt jemand das Gespräch auf das bevorstehende Referat. „Denken Sie daran, dass Sie mit Ihrer Themenwahl und Ihrem Präsentationsstil immer auch etwas über Ihre Persönlichkeit aussagen, und passen Sie diese Aussage der Branche oder angestrebten beruflichen Position an!” mahnt der kleine Einstellungstest-Ratgeber. „Ob ich mit meinen ‚Problemen und Nutzen von Extremsportarten‘ wohl richtig liege?”

Jetzt hilft ohnehin nur noch Daumen drücken. Der Kampf um die Jobs geht weiter. Das Hoffen und Bangen auch: „Und wenn‘s nicht so gut läuft, vielleicht kann ich ja mit den Mathe-Ergebnissen etwas wettmachen? Obwohl, was, wenn es dabei eigentlich ums Sozialverhalten geht ...”

Später Nachmittag. Es ist vorbei. Für heute. Die Nervosität fällt von einem ab, vor dem inneren Auge lässt man den Tag Revue passieren: „In jenem Moment hätte ich souveräner reagieren müssen, und in dieser Situation habe ich meine Fähigkeiten nicht gut genug verkauft”, melden sich Selbstkritik und Selbstzweifel zu Wort. Was, wenn sich die Firma nicht innerhalb der nächsten zwei Wochen meldet, oder man gar eine Absage erhält? Der Gedanke an den nächsten Einstellungstest drängt sich auf: Wieder ungewohnte Aufgaben, andere Stadt, fremde Gesichter. Soll man sich bisher bewiesene Fähigkeiten zur Beruhigung vor Augen führen? Oder sich doch lieber vom Bild der Karriere am seidenen Faden zu Höchstleistungen anstacheln lassen? Über den Vorsatz, sich beim nächsten Mal besser vorzubereiten – worauf eigentlich? – schläft man ein. Denn zunächst einmal gibt‘s nur eins: weiter zittern.

Beitrag von Christiane Zehrer

Links zum Thema

  • Deutsche Gesellschaft für Personalwesen
  • Textaufgaben vom Münchner Abendblatt

Zur Person

Christiane Zehrer (23) studiert in Hildesheim Internationales Informationsmanagement, Politik und BWL.

Literaturliste

  • Hartwig, S. (2002): Bewerbungstipps aus der Chefetage. 50 Personalchefs verraten ihre Auswahlkriterien. München: Goldmann.

    Wenn man weiß, was die lesen, die Prüfungsverfahren durchführen, weiß man oft auch, was einen erwartet:
  • Durnwalder, Kurt (2001): Assessmentcenter. München: Hanser.
zurückdruckenSeitenanfang

Online-Recherche

Online-RechercheSuchmaschinen, Infos, Datenbanken » mehr

Wettbewerbe

WettbewerbeWettbewerbsdatenbank für junge Forscher » mehr

Science-News

Science-NewsMeldungen aus Wissenschaft und Forschung » mehr

Rezensionen

RezensionenBuchrezensionen der sg-Redaktion » mehr

Themen

» Arbeit
» Biologische Vielfalt
» Erziehung
» Hochschule
» Liebe
» Molekulare Therapien
» Netzwerke
» Osteuropa
» Prüfungen
» Retinitis Pigmentosa
» RNA-Interferenz
» Studieren im Ausland
» Studieren in Deutschland

Newsletter


anmelden
abmelden
?

sg intern

Was ist, was will und wer macht sciencegarden?
» FAQ
» Die Redaktion
» Partner & Kooperationen
» sg-Mentoren
» Sciencegarden fördern
» Presse

sciencegarden wird unterstützt von:

Logo Studienpreis

Logo Boston Consulting Group

Space-News

Aktuelle News bei Raumfahrer.net:

» 06. Oktober 2006
Mars-Orbiter fotografiert Marsrover
» 06. Oktober 2006
Mikrometeorit hatte Atlantis getroffen
» 04. Oktober 2006
Rekord-Ozonrückgang über der Antarktis
» 03. Oktober 2006
METOP: Europas neue Wetteraugen
» 02. Oktober 2006
Hubble-Kamera erneut ausgefallen

RSS-Feed

XML RSS 2.0