Februar 2004

Die Angst vor dem Blackout

*Angst vor gefährlichen Situationen ist überlebenswichtig, vor einer Prüfung ist sie allerdings sehr kontraproduktiv. Warum ein eigentlich nützliches Gefühl in einer Prüfungssituation so negative Folgen haben kann...

Der Student geht unruhig vor der Tür des Professors auf und ab. Gleich ist er an der Reihe. Das Herz klopft, die Hände schwitzen, im Bauch ist ein mulmiges Gefühl. Nervös geht er noch einmal im Kopf die wichtigsten Dinge durch, die er sich bis zuletzt nicht richtig merken konnte. Prüfungsangst – jeder hat sie schon erlebt. Ob als Schüler vor einer Klausur, vor der Führerscheinprüfung oder einem schriftlichen Einstellungstest. Quälende Gedanken schießen durch den Kopf. Wird mir alles einfallen, was ich gelernt habe? Habe ich überhaupt das Richtige gelernt? Wie wirke ich auf den Prüfer? Was ist, wenn ich mich blamiere? Wie würden meine Eltern, Freunde und Verwandten reagieren, wenn ich durchfalle? Solche belastenden Gefühle und Gedanken treten jedoch nicht nur vor Prüfungen auf, sondern auch vor einem Vorstellungsgespräch, einem Referat oder einer Ansprache vor Publikum. Schauspieler und Musiker kennen diese Symptome als Lampenfieber.

*Die Tür geht auf. Der Professor tritt heraus und begrüßt den Studenten mit einem Handschlag: „So, bitte treten Sie ein!“ Der Student atmet tief durch. „Bitte setzen Sie sich!“ Das Herz klopft jetzt noch schneller, das Blut steigt in den Kopf, der Mund ist auf einmal trocken. Die Prüfung beginnt. In diesem Zustand soll der Prüfling zu geistiger Hochform auflaufen. Er muss das, was er gelernt hat, aus seinem Gedächtnis abrufen können. Er muss beweisen, dass er das Gelernte auf neue Situationen anwenden kann. Er muss seine Antworten sprachgewandt formulieren und obendrein noch einen souveränen und sympathischen Eindruck machen. Die Angst ist für solche Höchstleistung eine denkbar schlechte Voraussetzung.

Biologisch gesehen ist Angst eine sehr nützliche Emotion. Sie hilft dem Menschen, Gefahrensituationen möglichst schnell zu verlassen oder von vornherein zu vermeiden. Unsere Vorfahren im Pleistozän, die keine Furcht vor Säbelzahntigern, Giftschlangen oder steilen Abgründen empfanden, hatten schlicht eine geringere Lebenserwartung als ihre ängstlicheren und vorsichtigeren Zeitgenossen. Angst in einer kritischen Situation versetzte ihren Körper in einen Zustand, in dem sie hervorragend vorbereitet waren auf die beiden sinnvollsten Verhaltensweisen, nämlich Flucht oder Angriff: entweder möglichst schnell vor dem Säbelzahntiger davonlaufen oder – wenn es dafür schon zu spät war – ihn selbst angreifen.

Auch heute reagiert unser Körper nicht anders als vor mehreren zehntausend Jahren. In einer Prüfungssituation wird dies für uns allerdings zum Handicap. Vor dem Prüfer zu flüchten oder ihn zu erschlagen scheidet als Option in der Regel aus. Stattdessen ist die Gefahr nur zu bannen, indem man Begriffe definiert, Theoriegebäude erläutert oder mathematische Theoreme beweist. Statt körperlicher Kraft und Ausdauer ist geistige Höchstleistung gefragt. Kein Wunder also, dass man in manchen Fällen einen „Blackout“ bekommt. Dem Prüfling fallen selbst einfache Antworten nicht mehr ein, der Schauspieler weiß im Text nicht mehr weiter, der Musiker stockt plötzlich an einer Stelle, „verliert den Faden“ und muss einige Takte überspringen oder an einer anderen Stelle noch einmal einsetzen. Physiologisch gesehen kommt es tatsächlich zu einer funktionellen Blockade des Gehirns – der Abruf von Inhalten aus dem Langzeitgedächtnis ist plötzlich gehemmt. Begleitet ist ein Blackout in der Regel von starker Erregung und Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit.

*Der völlige Blackout als extreme Form von Angst während einer Prüfung ist jedoch zum Glück die Ausnahme. In der Regel erreicht die Angst in den ersten Minuten der Prüfung ihren Höhepunkt und nimmt dann ab. Ein guter Prüfer unterstützt diesen Prozess, indem er dem Prüfling durch einfache Fragen zu Beginn ein Erfolgserlebnis verschafft und ihm so Selbstvertrauen gibt. Das größere Problem für die meisten Prüflinge ist vielmehr die Angst in der Zeit der Prüfungsvorbereitung. Angst verhindert die optimale Aufnahme des Lernstoffes und beeinträchtigt dadurch die Lernphase. Bei manchen Personen kommen Symptome wie Schlafstörungen, Alpträume, Übelkeit, Durchfall oder Depressionen hinzu.

Prüfungsangst hat jedoch auch positive Aspekte: In der Lernphase kann sie beispielsweise zu einer besseren Vorbereitung und damit zu besseren Leistungen führen. Auch während der Prüfung kann sie zu einer Leistungssteigerung beitragen – Voraussetzung ist jedoch, dass sie nicht überhand nimmt. Der Satz: „Ein bisschen Aufregung ist ganz gut“, der nervösen Prüfungskandidaten eher als plumper Aufmunterungsversuch bekannt ist, stimmt tatsächlich. Das bereits seit über hundert Jahren bekannte und nach ihren Entdeckern benannte „Yerkes-Dodson-Gesetz“ besagt, dass die besten Leistungen bei einem mittleren Erregungsniveau (= Angst) erzielt werden. Hohe oder niedrige Erregung senkt dagegen die Leistung. Was jedoch die wenigsten wissen: Das optimale Erregungsniveau sinkt mit der Aufgabenschwierigkeit. Bei leichten Aufgaben kann Angst daher sogar leistungsförderlich sein; Angst wirkt sich vor allem bei schwierigen Aufgaben negativ auf die Leistung aus.

Was tun bei Prüfungsangst? Da das Problem so weit verbreitet ist, gibt es eine Menge an Ratgeberliteratur, die für den Prüfungsangstgeplagten eine Menge nützlicher Tipps bereithält. Die unten genannten Titel sind eine Auswahl empfehlenswerter Bücher – damit die Vorbereitungsphase nicht zur Qual und die Prüfung nicht zum Reinfall wird.

Beitrag von Martin Gründl

Links zum Thema

  • Tipps bei Prüfungsangst
  • Prüfungsangst bei Studenten

Zur Person

Martin Gründl studierte Psychologie und promoviert zur Zeit an der Universität Regensburg.

Literaturliste

Zum Thema Prüfungsangst gibt es ein breites Angebot an Ratgeberliteratur.
Hier eine Auswahl an empfehlenswerten Büchern:

  • Baker, R. (1998). Wenn plötzlich die Angst kommt. Panikattacken verstehen und überwinden. Wuppertal: Brockhaus.
  • Ceh, J. (1993). Keine Angst vor Prüfungen. In Leistungssituationen souveräner werden. Augsburg: mvg Verlag.
  • Knigge-Illner, H. (1999). Keine Angst vor Prüfungsangst. Strategien für die optimale Prüfungsvorbereitung. Frankfurt: Eichborn.
  • Kossak, H.-C. (1992). Studium und Prüfungen besser bewältigen. München: Quintessenz.
  • Metzig, W. & Schuster, M. (1998). Prüfungsangst und Lampenfieber. Bewertungssituationen vorbereiten und meistern. Berlin: Springer.
  • Weiß, H.-J. (1997). Prüfungsangst. Wie entsteht sie? Was richtet sie an? Wie begegne ich ihr? Würzburg: Krick Fachmedien.
  • Wolf, D. (1996). Ängste verstehen und überwinden. Gezielte Strategien für ein Leben ohne Angst (11. Aufl.). München: PAL.
  • Wolf, D. & Merkle, R. (1995). So überwinden Sie Prüfungsängste. Psychologische Strategien zur optimalen Vorbereitung und Bewältigung von Prüfungen (4. Aufl.). Mannheim: PAL.
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