März 2004

Schwerstarbeit unter Wasser

Trockeneis-VerfahrenIn den nächsten 20 Jahren gehen mehr und mehr Kernkraftwerke vom Netz. Altersbedingt, versteht sich. Was übrig bleibt, ist eine Baustelle für Spezialisten. Das Zerlegen der Meiler fordert Ingenieuren Einfallsreichtum und höchstes Können ab.

Aus ungefähr 200 000 Tonnen Material besteht ein Kernkraftwerk. So viel wie rund 500 Einfamilienhäuser. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass ein Kraftwerk nicht einfach mit Bagger und Radlader abgerissen werden kann. Dieses Unterfangen ist eine Mammutaufgabe für Ingenieure, die dafür spezielle Techniken einsetzen und entwickeln müssen.

Kernkraftwerk
Ein Kernkraftwerk (Abkürzung KKW) oder auch Atomkraftwerk (Abkürzung AKW) ist eine Anlage, in der Strom gewonnen wird, indem Atomkerne gespalten werden. Gerade beim Spalten großer, schwerer Atome wie Uran wird sehr viel Energie frei.

Meterdicke Betonwände und zentimeterdicke Stahlstrukturen im Herzen des Reaktors können nicht auf einfache Weise mit Säge und Meißel zerlegt werden. Dringen die Ingenieure und Arbeiter in das Innere des Reaktors vor, nimmt die Radioaktivität ständig zu. Für Mensch und Umwelt wächst die Gefahr beim Zerlegen. Daher wird der Kern des stillgelegten Reaktors – das Reaktordruckgefäß und seine Einbauten – mit Wasser geflutet und unter Wasser zerlegt. Radioaktiver Staub entsteht so beim Auseinanderbauen erst gar nicht. Ins wasser darf freilich niemand. Zu groß ist dort die Strahlung der Bauteile. Alle Maschinen werden mit Kameras überwacht. Ein Robotersystem lenkt sie an den Arbeitsplatz.

Diese anspruchsvolle Situation kann im Institut für Werkstoffkunde an der Universität Hannover nachgestellt werden. „In unseren beiden Versuchsbecken können wir die Zerlegetechniken eins zu eins unter Wasser ausprobieren und optimieren“, erklärt der Ingenieur Ralf Versemann. Das größere Becken ist sechs Meter tief und mit einer Fläche von fünf Mal zehn Metern ebenso groß wie ein echtes Brennelementbecken. Über Bullaugen können die Mitarbeiter am Institut, das Geschehen unter Wasser verfolgen.

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Tauchbecken des Institutes für Werkstoffkunde in Hannover
 

Generalprobe im Becken der Hannoveraner Forscher: Ein Stück Blech wird im Wasserbecken befestigt. Behutsam lässt Ingenieur Harald Bienia den Roboter mit einem Schneidbrenner abwärts sinken. Im Bullauge erscheint das Blech, durchs Wasser nur verzerrt zu sehen. Mit ein paar gekonnten Bewegungen am Steuerpult richtet Bienia den Brenner am Blech aus.

Das Gerät ist ein Plasmaschneidbrenner. Der Brenner wird das Metall mit einem Gasstrahl von mehreren 10 000 Grad Celsius punktuell zum Schmelzen bringen. Auf Knopfdruck entsteht ein greller Lichtstrahl zwischen dem Bauteil und dem Brenner: der Lichtbogen. Ein lautes Brummen erfüllt die gesamte Laborhalle. „An der Luft macht der Brenner einen Lärm wie beim Starten eines Düsenflugzeuges, unter Wasser ist er deutlich leiser“, kämpft Versemann gegen den Krach an.

Knapp zehn Zentimeter dicke Metalle können mit dem Gerät unter Wasser problemlos durchtrennt werden. „Wir versuchen das System jetzt für noch dickere Metallbleche fit zu machen. Außerdem wollen wir es auch in Tiefen von vier Metern unter Wasser einsetzen“, berichtet Bienia. Bedingungen von bis zu zehn Metern Tiefe können die Ingenieure in einer speziellen Druckkammer in ihrem Labor testen. Die Kammer erinnert an einen mannshohen Dampfdruckkochtopf, in dem Maschine und Bauteil gemeinsam Platz haben.

Brennelement
Das spaltbare Material wird in Tablettenform gepresst und in Rohre gefüllt. Ein solches Rohr heißt Brennstab. Mehrere Brennstäbe werden mit Abstandshaltern als Bündel angeordnet. Je nach Reaktortyp sind diese Bündel in runder, rechteckiger, mehreckiger oder Plattenform zu so genannten Brennelementen zusammengefasst.

Bei allen Arbeiten steht für die Ingenieure die Sicherheit im Vordergrund. Schnell und effektiv soll das Werkzeug schneiden, ohne Staub oder Funken zu erzeugen. Gleichzeitig soll das Verfahren möglichst preiswert sein.
Eine Handvoll Techniken werden diesen Anforderungen gerecht. Eine ganz junge darunter ist das Schneiden mit einem Wasserstrahl. Dabei wird ein hauchdünner Wasserstrahl auf mehrfache Schallgeschwindigkeit beschleunigt und mit Granatsand vermischt auf das Werkstück gerichtet. Wie ein warmes Messer durch Butter gleitet der Strahl durch Beton oder Metall. Auch dies proben die Hannoveraner bis zur Generalprobe an der Luft und im Tauchbecken. Je nach Material und Aufgabe wird mit unterschiedlichen Feststoffteilchen beschossen. „Es gibt Fälle, da werden sogar klein geriebene Walnussschalen benutzt“, berichtet Ingenieur Frank Pude.

Mit Raffinesse und Tricks versuchen die Ingenieure das Zerlegen immer weiter zu perfektionieren. Vor allem soll der Berg an radioaktivem Schrott für die Endlagerung so klein wie möglich gehalten werden. „Zwar könnte man im Inneren ganze Komponenten als radioaktiven Abfall entnehmen, doch dann wäre die Entsorgung nicht zu bezahlen“, erläutert Peter Wilk.

In Teilbereichen des Reaktors sind die Werkstoffe vor allem an der Oberfläche belastet. Diese Schichten werden in mühsamer Kleinarbeit abgetragen. Der übrige, unbelastete Rest an Beton wandert unter anderem in den Straßenbau. Mit solchen Methoden bleiben am Ende nur 1,8 Prozent des gesamten Bauschuttes für die Endlagerung.

Plasma
Ein Plasma ist ein ionisiertes Gas. Das heißt den Atomen darin fehlen zumindest teilweise die Elektronen. Plasmen kommen nur bei sehr hoher Temperatur vor. Beispiele für Plasmen finden sich in der Sonne oder zu geringem Anteil in einer Kerzenflamme.

Gerade das biologischen Schild des Kernkraftwerks wird in „radioaktives“ und „nicht-radioaktives“ Material getrennt. Das biologische Schild diente einst dazu, dass Personal des Kraftwerkes und die Umwelt während des Betriebes vor gefährlicher Strahlung zu schützen. Dementsprechend ist es bis zu mehreren Metern dick, aus hochverdichtetem Beton. Nur die obersten Zentimeter gelangen in die Spezialbehälter für die Endlagerung.

Seit 1998 arbeitet das Institut in Hannover an einer besonders eindrucksvollen Methode, die strahlenden Schichten millimetergenau abzutragen: Mit Reiskörnchen aus gefrorenem Kohlendioxid, dem so genannten Trockeneis, wird der Beton beschossen. „Mit einer Geschwindigkeit von 250 Metern pro Sekunde prallen die Körnchen auf den Beton“, schildert der Mitarbeiter Pascal Brüggemann. Trockeneis hat eine Temperatur von -78 °C. Trifft es auf zimmerwarmen Beton, verdampft es in Bruchteilen einer Sekunde und dehnt sich dabei auf das 700-fache seines Volumens auf. Es explodiert sozusagen. Dabei wird der Beton Stück für Stück abgetragen. Wird der Beton zudem mit einem Laser vorgewärmt, ist die Miniexplosion noch heftiger und effektiver.
Im Laufe des Jahres planen die Forscher die Premiere für diese Technik im Kernkraftwerk in Gundremmingen. Zudem steht die Methode mittlerweile kurz vor der TÜV-Abnahme beim Forschungszentrum Karlsruhe.

Beim Rückbau des Meilers in Greifswald hilft derzeit das Plasmaschneiden beim Zerlegen. Am Standort Würgassen wird unterdessen die 20 Meter hohe Kuppel des Druckbehälters aus Stahl mit dem Sand-Wasserstrahl abgetrennt.
Auf die Ingenieure warten weitere Kernreaktoren, die in den nächsten Jahren stillgelegt werden. Jeder Reaktor hat seine Eigenheiten und ist deshalb anders klein zu bekommen. „Die Arbeit geht uns so schnell nicht aus“, da ist sich Versemann ganz sicher.

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Druckkammer: Hier lassen sich Tiefen bis zu 10 Meter unter Wasser nachstellen
 

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Links zum Thema

  • Forschung des Institutes für Werkstoffkunde der Universität Hannover
  • „Nach der Kernkraft die grüne Wiese“ von Max Rauner, Neue Züricher Zeitung, 21.05.2003: Hintergrundbeitrag zum Rückbau des AK Würgassen
  • Seite des Produktionstechnischen Zentrums der Universität Hannover: Derzeit zieht das Institut für Werkstoffkunde in das Zentrum.
  • Seite der Hauptabteilung Dekontaminationsbetriebe des Forschungszentrums Karlsruhe

Zur Person

Susanne Donner ist freie Wissenschaftsjournalistin und Chemikerin. Sie schreibt seit fünf Jahren für verschiedene Printmedien.

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