Immunzellen als Fallensteller – Teil 2: Besuch am MPI
Ein Blick auf den Bildschirm und Volker Brinkmann hat den roten Faden vor Augen. Unser Innerstes, das, was uns ausmacht: die DNS. Auf dem Monitor des Mikroskops leuchtet die Erbsubstanz dank einer Färbung grellrot auf. Auf ihren 30 000 Genen steht geschrieben, wie groß wir sind, welche Augenfarbe wir haben und vieles mehr. Aber Brinkmann ist kein Genetiker, sondern Infektionsbiologe. Er hat entdeckt, dass DNS noch eine weitere Funktion hat: Bakterien fangen.

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Besuch im Max-Plack-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. In dem schicken Neubau aus Glas, Beton und roten Backsteinen, verschanzt hinter mehreren Türen, die man nur mit Chipkarte passieren kann, wird an Tuberkulosebakterien, Salmonellen und anderen gefährlichen Erregern geforscht. Brinkmann – schwarze Lederhose, graues, ausgeblichenes Ripp-Shirt, kurz geschorene Haare – hat sie alle schon mikroskopiert. Seit seiner neuesten Veröffentlichung im Fachmagazin „Science“ steht sein Telefon nicht mehr still. Eine Zeitschrift will Bilder von ihm abdrucken. Dann ruft die Bildzeitung an. Das ZDF will filmen.
Schließlich gibt er das Telefon ab. Er widmet sich seinen Kollegen. Heute gibt er Doktoranden eine Einweisung in das Konfokale Mikroskop. Dieses Schmuckstück kann dank Lasertechnik eine Zelle in Scheiben schneiden – optisch zumindest. Es fährt mit seinem Laser die einzelnen Ebenen innerhalb einer Zelle ab und sendet die Bilddaten an einen Computer. Hier kann man die Schichten ansehen, kann in einem kleinen Filmchen optisch durch die Zelle durchfahren oder 3D-Modelle basteln.
Behutsam klappt den oberen Teil des Mikroskops zurück, zeigt, wo das Laserlicht durchgeht. „Mit dem Linsen putzen muss man aufpassen.“ Er weist auf eine Box Taschentücher. „Ab und zu erwische ich einen, der hat andere Tissues mitgebracht. Die sind viel zu rau. Nehmt immer nur die hier“. Bis die Doktoranden jeden Knopf erklärt bekommen haben – vor allem die, an denen sie nicht drehen sollen – sind zwei Stunden vergangen. Schleppenden Schrittes gehen sie zurück in ihre Labore, Brinkmann in sein Büro.
Wie könnte es anders sein, auch hier steht ein Mikroskop. Aber nur ein „normales“. Es ist eingerahmt von zwei Computern (ein Mac, ein PC), dazwischen wilde Haufen von Artikeln, Zeitschriften, Büchern. Auf einem Extratischchen die Espressomaschine. Brinkmann sinkt in seinen Stuhl, dreht sich zum PC, Lehne wippt zurück, Bildschirm geht mit einem leisen Geräusch an. Er ruft Bilder auf, die er zuvor am Mikroskop gemacht hat.
Auf dem Monitor erscheinen kleine Kügelchen und Fäden, ein Netz. Jeweils das gleiche Bild einmal in Blau, in Grün und in Rot. Mit den drei Farben hat Brinkmann drei verschiedene Stoffe angefärbt, alles in der gleichen Probe. Dass sie auf dem Bildschirm das gleiche Bild ergeben, heißt, dass die drei Stoffe in der Probe ziemlich genau an der gleichen Stelle gewesen sein müssen. Wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man, dass die Bilder nicht vollkommen identisch sind. Das Netz ist beispielsweise in der Grünfärbung etwas größer und die Kugeln sehen größer aus.
Brinkmann erklärt: Die Kugeln sind die Neutrophilen. Das Netz wurde von ihnen abgegeben. Grün ist hier ein Stoff namens Elastase angefärbt. Das ist ein Enzym, das Bakterien angreift. Es wird in den Neutrophilen produziert. Die Neutrophilen lagern die Elastase in kleinen Depots innerhalb der Zelle. Daher ist das Grün in den Kugeln gleichmäßig verteilt. Blau ist die DNS angefärbt, Rot die Histone. Langsam. DNS ist Desoxyribonukleinsäure, der Stoff, in dem unsere Erbsubstanz gespeichert hat. Jede Zelle in unserem Körper trägt viele lange Fäden DNS in sich. Histone sind die Proteine, die die DNS stützen. Die DNS-Stränge sind um sie herum gewickelt, das Ganze sieht wie eine Perlenschnur aus.
Also sind DNS und Histone recht nah beieinander. Genau das ist auf den Bildern auch zu sehen, das blaue und das rote Bild sind sehr ähnlich, wenngleich auch die Rotfärbung viel schwächer ist. Die kleinen Kugeln, die Neutrophilen sind hier nicht gleichmäßig gefärbt, sondern jeder Neutrophile hat zwei, drei oder vier kleine Kugeln im Inneren. Das ist der Zellkern, in dem die DNS mit den Histonen gelagert sind. In anderen Zellen sehen Zellkerne rund und gleichmäßig aus, die Neutrophilen haben aber einen solchen charakteristischen, von den Wissenschaftlern als „polymorph“ also vielgestaltig bezeichneten Kern.
Mit dieser Färbung hat Brinkmann gezeigt, dass Neutrophile Netze aus DNS, Histonen und Elastase abgeben. Andere Bilder zeigen, wie Bakterien hierin gefangen sind und sterben. In Zukunft wollen die Forscher aufklären, wie die Netze die Zellen verlassen. „Außerdem wollen wir herausfinden, wann die Natur die Netze erfunden hat“, so Brinkmann. Dafür will er die Zellen von verschiedenen anderen Arten untersuchen.
Interessant ist auch die Frage, ob die Netze vielleicht im Zusammenhang mit der Entwicklung von Autoimmunkrankheiten stehen. Beim so genannten „Systemischen Lupus Erythematosus“ produziert das Immunsystem Antikörper gegen DNS und Histone und richtet damit großen Schaden an. Bis jetzt ist es ungeklärt, in welcher Situation und warum die Zellen angeregt werden, Antikörper zu bilden. Die Exposition von DNS und Histonen in den Netzen könnte hier eine Rolle spielen, vermuten die Forscher.
Weiterführende Texte
- Teil 1: Immunzellen als Fallensteller
- Teil 3: Der Kampf unseres Körpers gegen seine Feinde. Ein Beispiel: Es war einmal Shigella...
