Immunzellen als Fallensteller – Teil 3: Ein Beispiel
Shigellen
sind nahe Verwandte der Salmonellen, kleine Stäbchenbakterien, hochinfektiös, zehn Stück reichen, um einen schweren Darminfekt zu verursachen.
Die Shigellen schwimmen in unsauberem Wasser. Werden sie von einem Menschen getrunken, werden sie einfach mit der Flüssigkeit durch den Magen und in den Darm befördert. Sie sind ganz passiv, lassen sich treiben. Die Bewegung in dem Wasser-Nahrungs-Brei, der sich durch den Darm wälzt, reicht aus. Immer wieder wird ein Bakterium an die Wand gepresst. An einer Zelle bleibt es hängen.
Es bindet an ein bestimmtes Protein. Jetzt fährt Shigella seinen Stachel aus. Eine Art Nadel, mit der es die Zelle ansticht, ihr Signalstoffe injiziert. In der Zelle geht eine Kaskade los. Kreisläufe werden kurzgeschlossen, missbraucht, entfremdet. Hilflos muss die Zelle mit ansehen, wie sie Fortsätze ausbildet, kleine Ausstülpungen, die Shigella umschließen und in die Zelle aufnehmen. Das Bakterium ist in der Zelle. Der ganze Vorgang hat nur wenige Minuten gedauert.

Ein elektronenmikroskopisches Bild von Volker Brinkmann
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Im Gewebe sind die Zellen so dicht gepackt, dass Shigella schnell sein nächstes Opfer findet. Irgendwann aber trifft es auf Widerstand, nämlich wenn es einen schlafenden Polizisten anpiekst: Einen Gewebsmakrophagen. Macrophagen sind – ähnlich wie die Neutrophilen – Perfektionisten im Pacman-Spiel, sie fressen Fremdkörper auf und vernichten sie. Nur dummerweise kennt Shigella das Spiel auch. Es trickst den Macrophagen aus, vermehrt sich in ihm, benutzt ihn, lässt ihn letztendlich sterben. Bei seinem Tod aber schickt dieser noch einen stillen Hilferuf aus. Er entlässt die Botenstoffe „Interleukin 1 beta“ und „Interleukin 18“ ins Gewebe.
Der Invasor lässt sich unterdessen nicht stören. Er injiziert seinen Cocktail der nächsten Zelle und vermehrt sich. Doch mittlerweile schwimmen immer mehr der SOS-Stoffe im Gewebe herum. Einige sind sogar schon bis zu der nächsten Blutbahn diffundiert. Hier fließt nicht nur unser rotes Blut, sondern auch die Zellen des Immunsystems vorbei. So auch die Neutrophilen. Und zwar viele von ihnen. Etwa 50-80 Prozent der weißen Blutkörperchen sind Neutrophile. Sie „riechen“ die Hilferufe. Wie wenn ein Bratengeruchsmolekül in unserer Nase uns in die Küche gehen lässt, so lassen die Moleküle der Makrophagen die Neutrophilen ins Gewebe wandern.
Die von den Forschern neu entdeckte Technik,
Bakterien mit dem Netz einzufangen, bringt vor allem bei sehr beweglichen Bakterien und solchen, die innerhalb von anderen Zellen leben, einen großen Vorteil.
Sie sind extrem flexibel, quetschen sich zwischen den Zellen hindurch, wabern und kriechen zu der Quelle des Notrufes. Zum Schlachtfeld der Shigellen. Hier sind inzwischen schon viele Lücken im Gewebe. Die Neutrophilen sind angekommen. Nur treffen sie keine Bakterien an. Die sind ja in den Zellen versteckt. Und huschen höchstens einmal zur nächsten. Wie soll da ein Neutrophiler einen Eindringling erwischen? Jetzt hilft nur die Spiderman-Taktik. Der Neutrophile wirft seine eigene Erbsubstanz, seine DNS, beladen mit anderen Stoffen als Netz aus. Die Netze sind positiv geladen, die Bakterien negativ. Wie zwei Enden eines Magnetes bleiben sie aneinander kleben. Jetzt können sie Stoffe, die der Neutrophile mit dem Netz ausgeworfen hat, die Shigellen abtöten.
Ausführliches Glossar mit Links zu „Neutrophilen Granulozyten und Immunsystem“
Weiterführende Texte
- Teil 1: Immunzellen als Fallensteller
- Teil 2: Wie ist es, am Mikroskop zu sitzen? Was sieht man auf den Bildern? Was wollen die Forscher weiter untersuchen? Ein Besuch am MPI...
