Das gläserne Herz
Seit der Verteidigung seiner Doktorarbeit am 30. August ist es besiegelt. Jan ist jetzt Dr. Jan Huisken. Am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) ist der 29-Jährige schon ein alter Hase. Seitdem seine Arbeit über das Supermikroskop SPIM in Science veröffentlicht wurde, rufen unaufhörlich Journalisten bei ihm an. Immer wieder muss er erklären, wie das Gerät funktioniert, das er mitentwickelt hat. "Mit SPIM lassen sich viele Entwicklungsprozesse nun erstmals live mikroskopisch verfolgen", sagt Jan.
Dr. Jan Huisken
wurde 1974 in Göttingen geboren und blieb auch erst einmal dort, um sein Abitur und das Vordiplom in Physik zu machen. Danach ging er nach Heidelberg, studierte zu Ende und ging für die Diplomarbeit ans EMBL. Inzwischen hat er dort auch seine Doktorarbeit gemacht und es mit seiner Veröffentlichung bis in das renommierte Fachmagazin Science (Vol 305, S.1007-1009, 13.08.04) geschafft.
In Biologenkreisen ist das eine Sensation, denn viele hatten bisher ein großes Problem: Wenn sie Entwicklungsprozesse unterm Mikroskop beobachten wollten, mussten sie ihr Versuchstier dafür töten – und damit war auch die Entwicklung beendet. Wollte man zum Beispiel wissen, wie sich das Gehirn einer Taufliege entwickelt, musste man dafür ein Taufliegenembryo nach dem anderen zersägen – in verschiedenen Stadien der Gehirnentwicklung natürlich. Legte man die Aufnahmen solcher Schnitte nebeneinander, ließ sich ungefähr erahnen, wie der Fliegengrips entsteht. Jetzt kann man die Embryos lebend unters Mikroskop legen und das Wachstum tagelang verfolgen.
Dr. Jochen Wittbrodt leitet eine Arbeitsgruppe am EMBL, die das Gehirn und die Augenentwicklung von Wirbeltieren erforscht. Ihr Versuchstier: Embryonen des Japanischen Reiskärpflings (Oryzias latipes). Wittbrodt war nicht nur der erste, der SPIM in der Praxis anwendete – er war es auch, dem die zündende Idee für ein solches Mikroskop beim Mittagessen kam: "Ich hatte von einem ähnlichen Gerät gehört, mit dem Forscher in Edinburgh bereits tolle Erfolge erzielt hatten. In der Mittagspause sprach ich Prof. Ernst Stelzer an, der am EMBL fürs Mikroskopieren zuständig ist. Der war gleich Feuer und Flamme und setzte einen Diplomanden auf die Entwicklung eines noch besseren Fluoreszenzmikroskops an", erzählt der Gruppenleiter. Dann kam Jan Huisken ins Spiel und entwickelte SPIM innerhalb kurzer Zeit zu einem Gerät weiter, dass direkt in den Labors angewendet werden kann.
"Mir war es besonders wichtig, in meiner Doktorarbeit etwas zu machen, was man auch in der Praxis gebrauchen kann", sagt Jan. Jochen Wittbrodt ist begeistert davon, was aus seinem Geistesblitz beim Mittagessen geworden ist: "Mit normalen konfokalen Mikroskopen ist die Eindringtiefe in eine Probe begrenzt – mit SPIM kann man voll durch den Fischembryo durch und erhält ein komplettes dreidimensionales Bild: Es dauerte höchstens 10 Minuten, das ganze Objekt zu scannen". Da SPIM in sehr kurzer Zeit gute Bilder macht, müssen die Tiere nicht lange unter der Linse ausharren – ein weitere Grund für ihr Überleben. Wittbrodt kann dank SPIM das Herz seiner Fischembryos schlagen sehen – und da schlägt auch das Forscherherz höher: "Früher musste man den Embryo herunterkühlen, um ihn unters Fluoreszenzmikroskop legen zu können – und dann schlägt auch das Herz nur noch ein paar Mal pro Minute. Jetzt, mit einer Zeitauflösung von 14 Bildern pro Sekunde, die man von dem in natürlichem Tempo schlagenden Herz machen kann, sind konkrete Aussagen über die Physiologie möglich.", erklärt der Biologe und Chemiker. Zwar gab es früher schon einige konfokale Mikroskope, mit denen man dreidimensionale Aufnahmen machen konnte, aber mit SPIM kann man viel weiter ins Innere des Gewebes schauen und erhält die bislang schärfsten Bilder.
Im Moment wird in Wittbrodts Arbeitsgruppe gerade die Augenentwicklung der Fischembryonen untersucht. "Das Auge entwickelt sich vom Dotter abgeschirmt und war bisher deshalb nicht zu beobachten", erklärt der Chef. Mit SPIM kann man die Entwicklung des Auges über mehrere Tage hinweg beobachten – denn das Gerät schaut einfach durch den Dotter hindurch.

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Jan Huisken hat mit seiner Doktorarbeit viele Forscher glücklich gemacht. Bereits auf der Suche nach einem interessanten Thema für die Diplomarbeit war er beim EMBL gelandet – hauptsächlich ein Arbeitgeber für Biologen, aber für die Entwicklung neuer Technologien werden auch Physiker und Informatiker gebraucht. Jan blieb beim EMBL und bekam einen der begehrten Plätze im "International PhD Programm". Immerhin 400 Leute bewerben sich jedes Jahr – und nur rund 40 davon bekommen eine Stelle. Er ist begeistert von den Möglichkeiten, die ihm dort geboten wurden: "Das Tolle ist, dass alle Doktoranden nach dem Predoc-Kurs gleichzeitig in den verschiedenen Arbeitsgruppen anfangen. Wenn man dann später mal ein Problem hat, kennt man in jeder Arbeitsgruppe jemanden, den man ansprechen kann", sagt er und fügt hinzu: "Am EMBL herrscht eine außergewöhnlich jugendliche und dynamische Atmosphäre". Und auch während der vier Jahre, in denen man versucht, die Daten und Ergebnisse für das persönliche Mammutwerk zusammenzutragen, wird man dort offensichtlich nicht im Stich gelassen. Einmal im Jahr muss sich jeder Doktorand einem Komitee aus drei Arbeitsgruppenleitern stellen. Dann heißt es "Hosen runter" und vortragen, wie weit man bisher gekommen ist – schummeln ausgeschlossen. "Das ist eine wichtige Motivationshilfe und eine Chance, Fehler rechtzeitig zu erkennen und zu beheben", sagt einer, der es schon hinter sich hat.
Jan wird noch bis nächsten Sommer am EMBL bleiben, um das "Finetuning" am SPIM zu machen. Außerdem wird er in der Gruppe von Jochen Wittbrodt selbst Embryos von Japanischen Reiskärpflingen unter die Lupe nehmen, um die praktische Anwendung des Supermikroskops zu erproben. Dass er danach arbeitslos sein könnte, befürchtet er nicht: "Ich hatte großes Glück, dass meine Entwicklung sehr anwenderfreundlich und relativ leicht zu erklären ist, denn solche Themen haben bessere Chancen, veröffentlicht zu werden. Durch den Science-Artikel bekomme ich jetzt viele Jobangebote". Außerdem war Jan zur richtigen Zeit am richtigen Ort. "Vor fünf Jahren hätte sich niemand für SPIM interessiert, weil man damals noch auf zellulärer Ebene beschäftigt war", sagt Jans neuer Gruppenleiter Wittbrodt. Jetzt reißen sich die Forscher weltweit um SPIM. "Jeder der unsere Daten sieht, will das Ding haben – die Japaner und Amerikaner wollten Jan einfliegen lassen, damit er ihnen ein SPIM aufbaut", erzählt Wittbrodt begeistert – und man hat nicht den Eindruck, dass er Jan gehen lassen will.
"Ich finde es fast erschreckend wie viel in der Forschung davon abhängt, ob du die Öffentlichkeit mit deiner Arbeit erreichst", meint der Jungforscher selbst und fügt hinzu: "Andere machen auch tolle Sachen, die einfach komplizierter und auf den ersten Blick uninteressanter sind – und diese Leute bekommen dann keinen Platz in Science oder Nature."
Links zum Thema
- Infos zu Jan Huiskens Arbeit
- Das "International PhD Programm" des EMBL
- Jochen Wittbrodts Arbeitsgruppe
Zur Person
Dagny Lüdemann studierte Biologie und Französisch in Deutschland und Frankreich. Als freie Wissenschaftsjournalistin schreibt sie für verschiedene Magazine und fürs Internet.
Kontakt
, European Molecular Biology Laboratory (EMBL)
Literatur
- Dittrich Petra: Konfokale Floureszenzspektroskopie in Mikrostrukturen – Detektion, Analyse und Sortierung von Zellen und Partikeln. Cuvillier Verlag 2003
