Mai 2005

Die unendliche Suche nach dem Supercomputer

David und Gregory Chudnovsky sind Helden einer unendlichen Geschichte: der Suche nach der Zahl Pi. Als junge Wissenschaftler verließen sie ihre Heimat Russland, heute entwickeln sie Supercomputer in New York.

Anfang der 90er Jahre bauten die Brüder einen Supercomputer in Gregorys Apartment – aus einfachen, handelsüblichen Einzelteilen. Der Computer, der mit seinen Chips und Kabeln in alle Winkel der Wohnung waberte, konnte sich damals mit zig-mal so teuren, kommerziellen Supercomputern messen. Mit seiner Hilfe stellten die Chudnovskys einen Weltrekord auf: Sie berechneten 4 Milliarden Nachkommastellen von Pi. Heute sind die beiden Russen Professoren der Polytechnischen Universität in Brooklyn, New York. Ihr neuestes Projekt wird wieder alle Rekorde brechen: Der leistungsstärkste Rechner der Welt.

Die Gebrüder Chudnowsky © Polytechnische Universität Brooklyn
Die Brüder Chudnovsky im Hörsaal ihrer Uni. Der im Rollstuhl sitzende Gregory leidet unter einer Immunkrankheit.
© Polytechnische Universität Brooklyn

Das Büro der Chudnovskys liegt im Hauptgebäude „Rogers Hall“ im zweiten Stock, am Ende eines Flures mit blauen Metallspinden. Ein zusammengeklappter Rollstuhl lehnt an der Wand. David Chudnovsky legt Wert darauf, dass man das Office nicht vorschnell betritt. Langsam. Er langt in das Regal hinter der Tür, zieht blaue Platstiküberzieher heraus und stülpt sie sich über die Schuhe. Erst dann betritt er den Raum. Gleiches gilt für Besucher. „Der Fußboden ist ein Kunstwerk, wir wollen es nicht zerstören“, sagt er mit starkem russischen Akzent. Es ist dunkelblaues Linoleum, auf dem sich in Spiralen und Schlangenlinien eine Formel an die andere reiht.

Der Rollstuhl gehört Gregory. Er sitzt (auch mit blauen Plastikschuhen bekleidet) klein und zerbrechlich auf einem weißen Sofa. Ein kurzer, grauer Bart bedeckt die eingefallenen Wangen. Er leidet unter „Myastena Gravis“, einer seltenen Autoimmunkrankheit, die seine Muskeln immer schwächer werden lässt. Als er 12 Jahre alt war, wurde die Krankheit festgestellt. Damals lebte er mit seiner Familie in seiner Geburtsstadt Kiew. Als die Beschwerden immer schlimmer wurden, durften sie ausreisen, allerdings nicht ohne dass der KGB vorher sein lebhaftes Interesse an dem jungen Zahlentheoretiker zeigte.

Seit sechs Jahren nun haben die Brüder eine Professur an der Poly – mit vielen herrlichen Freiheiten, wie sie schwärmen. „Wir können wirklich tun, was wir wollen“, sagt Gregory. Eine ihrer liebsten Spielereien gilt den Gleichungen auf dem Fußboden: „Das sind Formeln für Pi“, so Gregory. „und ein paar andere Zahlen“, spricht David weiter. Immer wieder fallen die Brüder sich ins Wort und vollenden die Sätze des anderen. David springt gelegentlich auf, holt Papiere, malt Formeln auf – Gregory bleibt fast unbeweglich sitzen.

Mathematik für Fortgeschrittene
Die Gleichungen auf dem Fußboden im Büro sind erschreckend lang und mit dem einen oder anderen griechischen Buchstaben gespickt. Was bedeuten sie?
» ganzer Text

Pi ist definiert durch das Verhältnis des Umfanges eines Kreises zu seinem Durchmesser. Doch was so einfach klingt, bereitet seit Urzeiten den klügsten Köpfen Kopfzerbrechen. Denn was bei der Rechnung herauskommt, fängt zwar recht simpel mit 3,14 an, doch dann tauchen mehr und mehr Nachkommastellen auf. Bis heute sind weit über eine Billion Zahlen hinter dem Komma bekannt. Das Problem: Niemand konnte ein System, vielleicht eine subtile Anordnung, oder gar einen Sinn in den Ziffern entdecken.

Das widerspricht dem intuitiven Gefühl, das die meisten Mathematiker haben: dass die Natur im Grunde einfach und schön ist. Wie kann es etwas geben, das wie Pi überall vorkommt, und dennoch so unendlich strukturlos, scheinbar zufällig ist? „Das ist einfach nicht fair, es ist nicht richtig, es sollte nicht sein“ sagt David.

Doch auch die Chudnovskys haben mit Hilfe ihres Supercomputers kein System in Pi finden können. Heute grübeln sie nur noch gelegentlich über Pi nach – „so zum Spaß“. Sie haben sich mehr dem Entwickeln von Computern zugewendet. Seit 2001 arbeiten sie mit der Firma IBM an dem ehrgeizigen Projekt, den schnellsten Computer der Welt zu bauen.

Warum Pi?
Die Chudnovsky Brüder beschäftigen sich heute nur noch wenig mit Pi. Sie haben die Berechnung der Nachkommastellen damals lediglich als Leistungstest für ihren selbstgebastelten Supercomputer genommen, weil bei der Berechnung jeder Computer an seine Grenzen stößt.

Die Leistung der Maschinen wird dabei in „Flops“ gemessen, ausgeschrieben heißt das „Floating Point Operations per second“ und bedeutet so viel wie die Anzahl der Denkvorgänge, die ein solches Ding pro Sekunde schafft. Und richtig aufgeregt werden die Spezialisten erst, wenn es um Petaflops geht. Das sind Billiarden Flops (eine Eins mit 15 Nullen). Derzeit schaffen die Computer erst Teraflops, das sind Billionen Flops, und das Petaflop zu knacken, ist die Herausforderung. Schon 1992 meinten die Chudnovskys, das Petaflop wäre im Jahr 2000 fällig. Nun ist es überfällig.

In den letzten Jahren sah es nicht so aus, als ob das Petaflop in erreichbare Nähe gerückt wäre. Der japanische „Earth Simulator“ von der Firma NEC, der bis November als der schnellste der Welt galt, schaffte gerade mal 35,9 Teraflops. Doch jetzt verdoppelte der Bluegene/L von IBM die Leistung: 70,72 Teraflops. „Dabei ist der Bluegene/L noch nicht einmal fertig zusammengebaut“, sagt David. Ist er das, wird er 360 Teraflops bewerkstelligen.

Ausgeliefert wird er an die amerikanische National Nuclear Security Agency, die damit komplizierte physikalische Berechnungen durchführen will. Mit Hilfe von Simulationen könnten sich so einige Tests mit Atomwaffen erübrigen. Andere Supercomputer erstellen globale Klimamodelle oder unterstützen die Entwicklung von Medikamenten.

Pi im Vers
Ein kleiner Reim erleichtert es, sich die ersten 23 Dezimalstellen von Pi zu merken:

Wie, o dies p Macht ernstlich so vielen viele Müh´! Lernt immerhin, Jünglinge, leichte Verselein, Wie so zum Beispiel dies dürfte zu merken sein.
(Wie = 3, o = 1, dies = 4 und so weiter)

Die nächste Generation der Bluegene-Familie, der Bluegene/C (das C steht für den internen Projektcode „Cyclops“) soll dann die magische Grenze überschreiten. „Der Cyclops wird über ein Petaflop schaffen“, sagt Gregory Chudnovsky.

Sein Bruder David geht zum Schreibtisch und schaltet den Projektor ein. An der Wand erscheint das Herzstück des Computers, die Recheneinheit im Inneren eines Prozessors. Hier finden die Flops statt. Unmengen von Kabeln und kleinen Kästchen verschieben sich in der dreidimensionalen Ansicht. David zoomt per Mausklick in das Bild hinein und erklärt dabei die Architektur.

Eine dieser „arithmetischen Einheiten“ ist 4 Millimeter breit. In diesem Winzling sind ein Meter Kabel untergebracht, damit Alles mit Allem kommunizieren kann. 160 dieser Prozessoren werden auf einem Siliziumschnipsel von gerade mal 2 Zentimetern Breite zusammengepfercht. Zum Vergleich: Ein herkömmlicher Computer hat gerade mal einen einzigen Prozessor und 1992 galt der Supercomputer in Gregorys Apartment mit 16 Prozessoren als Weltspitze.

Für den Cyclops werden sogar noch mehrere dieser 160-Prozessoren-Chips zusammengesteckt: „14tausend“, so David. Das macht insgesamt weit über 2 Millionen Prozessoren. Und der nächste Computer? Der wird noch größer, noch schneller. Auch die Jagd nach dem schnellsten Computer der Welt ist eine unendliche Geschichte – genau wie Pi.

Beitrag von Sina Bartfeld

Links zum Thema

  • Das Institut der Chudnovskys
  • Das Bluegene-Projekt von IBM
  • 10 Millionen Nachkommastellen als PDF runterladbar

Literatur

  • Jean-Paul Delahaye (1999): Pi, die Story. Birkhäuser, Basel u.a.
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