Mai 2005

Mit dem Gamma-Spektrometer auf Wildschweinjagd

ProbenaufbereitungTschernobyl mag für viele ein „alter Hut“ sein – doch bei Halbwertszeiten von 30 Jahren und mehr lohnt es sich, ab und zu mal nachzumessen.

Natürlich kann man im Pfälzer Wald Wein trinken, Saumagen essen oder einen Pfälzer Flammkuchen genießen. Man kann aber auch mal einen Blick hinter die Kulissen werfen und sich zum Beispiel fragen, wie es den Wildschweinen geht.

Mitteleuropäisches Wildschwein
(Lat.: Sus scrofa scrofa) Durch langjährige Bejagung scheues, meist nachtaktives Säugetier aus der Familie der Schweine (Suidae). Gehört zu den Paarzehern (Artiodactyla), und innerhalb derer zu den so genannten Nicht-Wiederkäuern (Nonruminantia). Besitzt vier Zehen, ein relativ vollständiges Gebiss und einen ungeteilten Magen. Länge 1,5-1,7 Meter.

Sie werden einwenden: Wie soll es denen schon gehen? Die wühlen eben so vor sich hin, irgendwo da draußen im Wald; und leibhaftig begegnen wollen wir ihnen natürlich sowieso nicht. Außer auf unserem Teller. Dazu dann aber bitte Preiselbeeren als Beilage.

Womit wir schon beim Thema wären. Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob das Wildschwein-Fleisch auf Ihrem Teller wirklich sauber ist? Nun, diese Frage scheint wohl nicht ganz so trivial zu sein. Denn gerade eben haben zwei Schülerinnnen für ihre Arbeit zur radioaktiven Belastung von Wildschweinen den Landessieg bei „Jugend forscht“ errungen. Anne Lena Wegmann (19) und Judith Wisser (19) dürfen nun zum Bundeswettbewerb fahren, der vom 26. bis 29. Mai in Dortmund stattfinden wird. Sie werden dort ihr Bundesland, Rheinland-Pfalz, vertreten – und gegen die Landessieger der anderen fünfzehn Bundesländer antreten.

Wie kommt man überhaupt auf die Idee, die Mägen von erlegten Wildschweinen auf Radioaktivität zu untersuchen? „Ich habe öfters mal in den Jagdzeitschriften meines Vaters geblättert“, sagt Anne Lena Wegmann. Dass auch nahezu zwanzig Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl noch radioaktive Verbindungen in unseren Wäldern nachgewiesen werden können, war nicht nur den beiden Schülerinnnen aufgefallen. Erst im Jahr 2004 wurde dazu ein Forschungsbericht der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft (FAWF) Rheinland-Pfalz veröffentlicht.

Radioaktivität
Zerfall chemischer Elemente (Radionuklide) unter Aussendung unsichtbarer Strahlung und unter Bildung anderer Elemente (Nuklide). Man unterscheidet Alpha-Strahlung (positiv geladene Heliumkerne), Beta-Strahlung (Elektronen, Positronen) und Gammastrahlung (energiereiche elektromagnetische Strahlung).

Genau an diesem Institut haben die beiden Schülerinnen auch ihre Messungen an den Wildschweinmägen durchgeführt. „Der Kontakt zum FAWF kam über einen unserer Lehrer zustande“, berichtet Judith. Zwischen Januar und August 2004 haben die beiden Schülerinnnen die Mägen von insgesamt 74 erlegten Wildschweinen aus drei Revieren auf radioaktive Belastung untersucht. Ihr Augenmerk richteten die beiden dabei auf das Cäsium-Isotop 137. Dieses Isotop hat eine besonders lange Halbwertszeit von circa 30 Jahren und machte während des Reaktorunglücks im April 1986 einen Großteil des radioaktiven Niederschlags ("Fallout") aus. Andere Elemente, wie zum Beispiel Jod-131, hatten nur eine Halbwertszeit von wenigen Tagen.

Die Zahl der radioaktiven Zerfälle pro Sekunde (Bequerel) ist ein Maß dafür, wie viel Radioaktivität noch in einer Probe vorhanden ist. Cäsium-137 zerfällt dabei unter Aussendung von Beta- und Gammastrahlen. Anne Lena und Judith haben daher die Menge an Cäsium-137 im Wildschweinmagen mit Hilfe eines Gamma-Spektrometers gemessen. Wildschweine ernähren sich hauptsächlich von Pilzen, Wurzeln, Baumfrüchten, aber auch von wirbellosen Tieren (Regenwürmer, Schnecken). Dabei nehmen sie anscheinend besonders große Mengen radioaktiv kontaminierter Nahrung auf – denn die unterirdischen Organe vieler Pflanzen oder Pilze enthalten hohe Konzentrationen an Cäsium-137. Vor allem Pilze „verwechseln“ Cäsium mit dem unschädlichen Kalium – und reichern dadurch Cs-137 in bis zu 14-facher Konzentration an.

MageninhaltUm herauszufinden, was „ihre“ Wildschweine an Nahrung aufgenommen hatten, mussten Anne Lena und Judith die tiefgefrorenen Wildschweinmägen zuerst auftauen. Danach nahmen die beiden ein Skalpell, klappten die Magenwand zur Seite, wogen 600 Gramm Mageninhalt ab und zählten in mühsamer Kleinarbeit die Nahrungsreste. So ein Wildschweinmagen ist dabei alles andere als leer – und natürlich auch nicht vollkommen geruchsfrei.

Halbwertszeit
Ein Maß für die Geschwindigkeit radioaktiver Zerfallsreaktionen. Der radioaktive Zerfall folgt einer negativen Exponentialfunktion mit den Parametern N0 (Zahl der Kerne zum Zeitpunkt Null), Lambda (Zerfallskonstante) und t (Zeit). Die Halbwertszeit gibt an, nach welcher Zeit genau die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Kerne zerfallen ist. Die Halbwertszeit T berechnet sich als ln 2 / Lambda.

Die besonders hoch belasteten Hirschtrüffel fanden die beiden Forscherinnen fast die ganze Saison über in den Wildschweinmägen. „Vor allem im Sommer haben wir manchmal 25-40 Prozent Trüffel in den Mägen gefunden“, erzählt Anne Lena. Dementsprechend war natürlich auch die radioaktive Belastung von Monat zu Monat verschieden, mit einem deutlichen Maximum im Sommer. Denn die beiden Forscherinnen haben herausgefunden, dass der Anteil an Hirschtrüffeln im Magen signifikant mit der gemessenen Radioaktivität zusammenhängt. „Eigentlich haben wir nur selten wirklich hohe Werte an Cäsium gefunden, und selbst die waren immer unter dem Grenzwert von 600 Bequerel pro Kilogramm Frischgewicht“, berichten die beiden. In bekanntermaßen hoch belasteten Gebieten wird jedes geschossene Wildschwein genau vermessen und gegebenenfalls aussortiert – sollte das Fleisch doch eine höhere radioaktive Belastung aufweisen. Im Jahr 2001 wurde der Grenzwert beispielsweise bei 151 von 1203 untersuchten Wildschweinen überschritten (12,5 Prozent).

*
© Otto-Hahn Gymnasium Landau (Pfalz)

Was würden Anne Lena und Judith nun also der Öffentlichkeit raten? Nun, anscheinend kann man tatsächlich mehr oder weniger beruhigt sein: „Selbst wenn man das Fleisch eines hoch belasteten Wildschweines isst, ist man bei weitem noch nicht so hoher Strahlung ausgesetzt, wie bei einem Flug nach Mallorca“, erklärt Anne Lena. Das heißt: Es gibt zwar immer noch Gebiete, in denen die Belastung generell hoch ist, aber als Endverbraucher kann man sich sicher sein, dass man keiner erhöhten Dosis ausgesetzt ist. Also: In Ruhe Wildschwein essen, und dazu dann Preiselbeeren als Beilage.

Beitrag von Christoph Scherber

Links zum Thema

  • Forschungsbericht „Radiocäsiumkontamination in Wildschweinfleisch in Rheinland-Pfalz“
  • Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Trippstadt
  • Stiftung Jugend forscht e.V.
  • Informationen rund um Radioaktivität und die Folgen von Tschernobyl

Zur Person

Christoph Scherber (28) ist seit vier Jahren Redakteur bei sciencegarden. Er promoviert am Institut für Ökologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Literatur

  • Hohmann, U. & D. Huckschlag (2004): Forschungsbericht – Grenzwertüberschreitende Radiocäsiumkontamination von Wildschweinfleisch in Rheinland-Pfalz. Eine Mageninhaltsanalyse erlegter Wildschweine aus dem westlichen Pfälzerwald. Internetdokument der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz, 64 S.
  • Irlweck, Karl; Lenz, Harald & Alfred Fürst (1999): 137CS and 90Sr contamination of spruce needles in the northern region of Austria. Journal of Environmental Radioactivity 46: 179-185.
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