Technophil oder technophob?
Noch nie war der Alltag Jugendlicher so stark von Technik geprägt wie heute: Handy, MP3-Player, Computer und Spielekonsolen werden ganz selbstverständlich genutzt. Im Gegensatz zum bloßen Gebrauch sind das Interesse, Technik selbst zu entwickeln, allerdings nur gering. Hochschulen, Bund und Länder unternehmen viel, um Jugendliche für den naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu gewinnen: Es gibt Schnupperstudien, Laborbesichtigungen, Brückenkurse, den „Girls-Day“ für Studienanfänger(innen) und vieles mehr. Diese Angebote zeigen aber nur dann Wirkung, wenn sie bei den Jugendlichen auch auf Interesse stoßen.
Technophil oder technophob? – Eine Studie zur altersspezifischen Konzeptualisierung von Technik
Die Studie „Technophil oder technophob? – Eine Studie zur altersspezifischen Konzeptualisierung von Technik“ untersucht, wie Abiturienten und Studierende der Ingenieurwissenschaften Technik und Technologien wahrnehmen und einschätzen.
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Daher hat Frau Prof. Jakobs vom Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen das Interesse von Jugendlichen an Technik näher untersucht. Gemeinsam mit Dr. Kirsten Schindler und Susanne Straetmanns ist sie in Interviews mit Abiturienten und Studierenden der Frage nachgegangen: Ist die Jungend „Technophil oder technophob?“ (Infokasten). Die Ergebnisse sind nicht gerade ermutigend: Allgemein interessiert sich immerhin noch ein Drittel der Schüler und Schülerinnen für Technik. Genaueres Nachfragen aber ergibt, dass dieses Interesse eher passiv ist und sich die wenigsten aktiv mit technischen Themen auseinandersetzen und beispielsweise technische Artikel oder Zeitschriften lesen. Und noch nicht einmal 15 Prozent der Abiturienten sind daran interessiert, selbst einmal technische Produkte zu entwickeln. Düstere Aussichten für den Techniknachwuchs.
Dabei zählen gerade Natur- und Ingenieurwissenschaften zu den besonders zukunftsträchtigen Fächern, deren Absolventen die wissenschaftlich-technologische Entwicklung vorantreiben und Deutschland zum Innovationsstandort machen sollen. Schon heute sind beispielsweise Maschinenbauer trotz der Krise am Arbeitsmarkt sehr begehrt, in Zukunft rechnen die Verbände mit einem echten Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Wie sieht es also aus mit dem technikwissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland? Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nimmt die Bildungssituation in verschiedenen Ländern regelmäßig unter die Lupe, zuletzt 2004. Auf den ersten Blick zeigt sich für Deutschland Erfreuliches: Die Studienanfängerzahlen in den Naturwissenschaften sind seit 1998 um gut 70 Prozent auf fast 100.000 im Jahr 2003 gestiegen, in den Ingenieurwissenschaften immerhin um 35 Prozent auf knapp 90.000 im Jahr 2003. Außerdem ist in keinem der untersuchten Länder außer Korea der Anteil der Natur- und Ingenieurwissenschaftler unter den Absolventen höher als in Deutschland (s. Grafik). So weit, so gut?
Leider nicht ganz. Zwar nehmen die Zahlen der Studienanfänger und Absolventen in Deutschland zu. Allerdings studieren in Deutschland wesentlich weniger Abiturienten als im OECD-Durchschnitt. Deutschland liegt bei der Studienanfängerquote abgeschlagen auf Platz 18, weit hinter den Spitzenreitern Australien, Skandinavien, Polen und Neuseeland (s. Grafik). Auch der Anteil der Absolventen ist in Deutschland wesentlich geringer als in den anderen OECD-Ländern (s. Grafik). Teilweise kann Deutschland die geringeren Quoten dadurch ausgleichen, dass Qualifizierungswege außerhalb der Hochschulen existieren und das duale System der beruflichen Ausbildung gut funktioniert. Als weitere Schwierigkeit kommt jedoch die demografische Entwicklung hinzu: Es rücken immer weniger Jugendliche nach. Die Studienquote müsste also noch stärker gesteigert werden, um die absolute Zahl der Absolventen zu erhöhen oder wenigstens zu halten. Das Angebot differenzierter Hochschulabschlüsse wie Bachelor und Master kann zukünftig helfen, das Studium effizienter zu gestalten und attraktiver zu machen. Allerdings darf dies nicht zu einer „Inflation“ der Studienqualität führen.

wissenschaft (ISK) der RWTH Aachen und ist Co-Autorin der Studie „Technophil oder technophob?“
Insgesamt sind die Nachwuchssorgen in den Technikwissenschaften also berechtigt. Denn bezogen auf das Studium ist die Jugend eher „technophob“ oder doch zumindest respektvoll, wie Schindler erklärt: „Technikstudiengänge sind mit einer großen Hemmschwelle versehen, werden als sehr mathematisch-naturwissenschaftlich angesehen. Geisteswissenschaftliche Studienfächer werden als vergleichsweise leichter und eher 'machbar' wahrgenommen.“ Dazu kommt bei Schülerinnen der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Eine 18-jährige Schülerin hat uns gesagt, ja, ich würde gern Maschinenbau studieren, aber ich will auch Kinder. Ich kann das nicht beides gleichzeitig und gut machen, deshalb werde ich Lehramt studieren”, berichtet Schindler aus einem Interview. Obwohl so gut wie alle Befragten Kinder wollen, gilt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf übereinstimmend als kritisch. Konsequenzen hat das allerdings fast nur für Frauen: „Sowohl junge Männer als auch junge Frauen sehen die Betreuung der Kinder als Aufgabe der Frau an“, gibt Schindler das Rollenverständnis der Jugendlichen wieder. Die befragten Schülerinnen wollen zugunsten eigener Kinder fast ausnahmslos ganz oder teilweise auf die Ausübung eines Berufs verzichten. Diese unter den Jugendlichen relativ klar ausgeprägte Geschlechtervorstellung mit traditioneller Rollenverteilung hat die Wissenschaftlerin überrascht.
Außerdem sind Schülern und Studierenden bestimmte Berufe viel präsenter als andere. „Berufe wie Lehrer, Arzt usw., damit haben Jugendliche einfach etwas zu tun”, stellt Schindler fest. Aber in Bezug auf technikorientierte Berufe überwiegen offene Fragen: Was macht ein Maschinenbauer, was ein Elektroingenieur? Wo ist der Unterschied? Wo arbeitet man, mit wem, wie sieht die tägliche Arbeit aus? „Wenn man keinen Maschinenbauer kennt, fällt einem das als Studiengang oder Beruf nicht so unmittelbar ein.“ Daher verwundert auch nicht, dass bei mehr als einem Viertel der Technikstudierenden der Vater einen ingenieurwissenschaftlichen oder naturwissenschaftlich-technischen Beruf ausübt und so das Berufsbild vermitteln und als Vorbild dienen konnte. „Da müsste noch mehr Informationsarbeit geleistet werden“, stellt Schindler fest.
Trotz der vielen Hürden eines Technikstudiums wird Technik von Jugendlichen grundsätzlich eher positiv beurteilt, etwa 80 Prozent von ihnen assoziiert Technik mit Fortschritt. Das Problem ist nur, dass die Jugendlichen die Technik über Produkte im Alltagsgebrauch – zum Beispiel Handy, DVD-Player, Digitalkamera – wahrnehmen, weniger als Verfahren zur Lösung von Problemen: „Das Interesse daran, wie Technik funktioniert, ist bei den Schülerinnen und Schülern nicht mehr so stark vorhanden – auch, weil Technik als zu komplex wahrgenommen wird”, sagt Schindler. „Wenn etwas nicht funktioniert, fragt man andere oder lässt sich von Fachpersonal helfen.“ Die Studierenden der Technikwissenschaften dagegen bezeichnen sich selbst überwiegend als an Technik interessiert (93 Prozent), mehr als die Hälfte von ihnen „bastelt“ regelmäßig. Viele haben sich schon in ihrer Kindheit mit Technikspielzeug beschäftigt. „Selber Telefone auseinander- und wieder zusammenzubauen hilft, die Scheu vor Technik zu verlieren“, erklärt Schindler den Wert der spielerischen Auseinandersetzung mit Technik. Daher sieht sie auch insbesondere in den frühen Phasen der Kindheit und Jugend großes Potenzial für Maßnahmen, um für Technik zu begeistern: „Die Gruppe der Abiturienten ist im Grunde schon zu alt, um sie noch direkt zu erreichen. Wenn dann kein Interesse an Technik vorhanden ist, wird es in der kurzen Zeit bis zum Studienbeginn nicht noch geweckt werden können. Das muss vorher passieren.“ Also schon bei den Kindern, idealerweise als Unterrichtsfach in der Schule. Hier sollte nach Schindlers Meinung Technik „begreifbar” gemacht werden und zwar im doppelten Sinne: „Technik ist sinnlich wahrnehmbar, sie ist nicht nur etwas sehr Abstraktes, sondern stellt eine bestimmte Funktionsweise dar.” Dadurch könne ein größeres Interesse an Technik vermittelt werden. Erste positive Ansätze in dieser Richtung sind beispielsweise Schülerlabore oder eine engagierte Museumspädagogik in den großen technischen Museen.
Nicht zuletzt könnten sich auch eine liberalere Familienpolitik und gesellschaftlichen Anerkennung von berufstätigen Müttern positiv auf den technikwissenschaftlichen Nachwuchs auswirken – sogar dreifach: Erstens würde mehr Nachwuchs die demografische Entwicklung abmildern. Zweitens könnten mehr Schülerinnen es wagen, Familie und Karriere in Naturwissenschaft und Technik unter einen Hut zu bringen. Und die derzeit oft kinderlosen Akademiker könnten als Eltern mit naturwissenschaftlich-technischem Hintergrund ein Vorbild sein und den Nachwuchs an die Technikwissenschaften heranführen. Bevor sich im familienpolitisch konservativen Deutschland die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachhaltig verbessert, werden wohl noch viele Studien über den Nachwuchs in den Technikwissenschaften geschrieben werden.
Links zum Thema
- Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Die wesentlichen Aussagen der OECD-Studien wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zusammengefasst: Bildung auf einen Blick 2003
- Bildung auf einen Blick 2004
- Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft (ISK) der RWTH Aachen
Zur Person
Katrin Winkelmann ist Trägerin des Deutschen Studienpreises und hat in Darmstadt Bauingenieurwesen studiert. Zurzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der RWTH Aachen im Bereich Dienstleistungsorganisation.