Der Kapitän verlässt die Kommandobrücke
Welchen Beitrag leisten Professoren für die Gesellschaft? Nun, viele werden diese Frage als unerhört abtun. Andere hingegen stellen derartige Fragen schon seit längerem, und zwar mit Erfolg. Einen dieser Fragesteller dürften Sie – die Leserinnen und Leser von sciencegarden – inzwischen recht gut kennen. Nein, es ist nicht Gregor Gysi, sondern unser langjähriger Chefredakteur Frank Berzbach. Unter dem Titel „Prestigemultiplikation“ begann er im März 2001 jenen Paukenschlag, der auch heute noch Professoren zu demütigen Abonnenten des sciencegarden-Newsletters macht (eine Linkliste mit ausgewählten Artikeln von Frank Berzbach befindet sich am Ende dieses Beitrags).
Wer Frank Berzbach einmal in seinem Arbeitszimmer besucht hat, wird vielleicht erahnen können, woher dieser Hang zum „unbequeme-Fragen-Stellen“ kommen mag: Riesige Bücherwände, meterweise fein geordneter Lesestoff. Hier reihen sich Literaten an Philosophen, große Denker an Querdenker, Traditionalisten an Modernisten. Wer mit solcher Leidenschaft im Lese-Sessel sitzt, dazu ein Tässchen duftend-dampfenden Ostfriesentee trinkt, um für ein paar Stunden in einem dicken Roman aus dem 19. Jahrhundert zu verschwinden, der ist mit allen Wassern gewaschen – inmitten einer Oase der Ruhe und des Geistes, zum Trotze einer rastlosen Welt.
Dies könnte genau das richtige Rüstzeug sein, um der stürmischen Welt des Internet zu begegnen – wo Informationen eine Halbwertszeit von ein paar Mausklicks haben. Man kann bequem alles an sich heranbranden lassen, kann Spreu von Weizen trennen, und alles im Lichte alter Denker hin- und her wenden, exzerpieren, kondensieren mit dem Damoklesschwert des modernen Informationsmanagers, der Kontinuitäten und Traditionen im Blick behält. Wo die einen „googeln“, um auch den letzten Rest unverwertbarer Information verwertbar zu machen, liegt für andere die Kraft in der Ruhe und Besonnenheit eines Lesezimmers.

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Aus dieser Ruhe und Besonnenheit heraus hat Frank Berzbach nun seit Ende 2001 das „Schiff“ sciencegarden durch bewegte Zeiten gesteuert, ohne dabei den Kurs aus den Augen zu verlieren. Über brachliegendes Wissen, Zettelkästen, Glück und Genetik und das Beste aus einem drittel Liter entrahmter Milch hat er geschrieben („flüssig und fehlerfrei“, wie schon sein Erstklasszeugnis vorausahnend dokumentiert). Womit wir bei einer der lustigsten Anekdoten aus Frank Berzbachs „Amtszeit“ angekommen wären: Wer sonst käme auf die Idee, einen Brief an Nutella zu schreiben, mit dem verzweifelten Hinweis, junge Forscher könnten schließlich nur unter dem Einfluss schokoladiger Nougatcreme zu geistigen Höhenflügen aufsteigen. Und die Überraschung ließ nicht lange auf sich warten: Ein riesiges „Versorgungspaket“ direkt vom Hersteller, adressiert an den Chefredakteur persönlich. Auf dem bald folgenden Redaktionstreffen gab es dann nicht nur Nutella, sondern auch zahlreiche Konkurrenzprodukte „zum anbeißen“. Ein Gaumenschmaus, der schon mal einen sciencegarden-Testbericht wert war.
Doch auch ernsthaftere und schwerer verdauliche Stücke gab es aus Berzbachs Feder schon zu lesen, zum Beispiel über Kinder aus dem Kosovo, oder „Westöstliche Lesetipps“ anlässlich des 11. September 2001. Gerade die Kunst, dem Leser schmackhafte Kost zu servieren, ohne sich dabei zu sehr den Verführungen von „Modethemen“ hinzugeben, war und ist einer der wichtigsten Grundpfeiler, die Berzbachs Amtszeit und damit den Stil des ganzen Magazins geprägt haben. Hierdurch hat sich sciencegarden inzwischen selbst eine eigene „Oase der Konstanz“ im World Wide Web geschaffen – gegen den Strom der Zeit und doch umspült von Modernität. Selbstkritik gehört zu diesem Stil dazu; Berzbach selbst beispielsweise findet einige seiner früheren Meinungsbeiträge in sciencegarden aus heutiger Sicht „eher peinlich“.
Aber zu Frank Berzbachs „Oase“ gehört auch eine große Portion soziologisches Handlungswissen: Als Netzwerker hat er mehr als einmal bewiesen, wie geschickt er zum Wohle des Magazins zu verhandeln weiß. Irgendwie findet er immer den richtigen Ton, wenn es darum geht, seine Redaktion anzusprechen, oder zwischen unterschiedlichen Temperamenten zu vermitteln.
Frank Berzbach hat sciencegarden erheblich professionalisiert. In seine Zeit als Chefredakteur fällt die Einführung eines festen Beitragshonorars. Die Qualität der Beiträge nahm zu, sciencegarden wurde verbindlicher – und stärker eingebunden in ein breites Netz aus Unterstützern und Autoren. Auf Frank Berzbachs Konto geht auch die Einführung des so genannten Mentorenprogramms: Etablierte Print-Journalisten überregionaler Tageszeitungen und Magazine geben den Redakteuren von sciencegarden regelmäßig Feedback zu ihrer Arbeit. Auf diese Weise hat Frank Berzbach wesentlich dazu beigetragen, dass sciencegarden in diesem März sein vierjähriges Bestehen feierte – und von den „Großen“ der Branche auch wahrgenommen wird, wie unlängst von der Frankfurter Rundschau.

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Auch neben seiner redaktionellen Arbeit pflegt Berzbach das Ungewöhnliche. Zum Beispiel als Bildungsforscher an den Universitäten Frankfurt und Tübingen. Über Samuel P. Huntingtons umstrittene These vom „Clash of Civilizations“ hat er ebenso schon ein Seminar abgehalten wie über Harry Potter. In seiner 2005 bei Bertelsmann publizierten Dissertation über „Die Ethikfalle“ untersuchte er, wie sich in die vermeintlich ethikfreie Theorierezeption der Erwachsenenpädagogik ethische Imperative einschleichen.
Auch nach dem Ende seiner Amtszeit als Chefredakteur wird Frank Berzbach unserem Magazin und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, selbstverständlich erhalten bleiben. Ein Garagenpunk-Bassist wird er wohl nicht mehr werden, dafür aber ein anständiger Verfechter des Ungewohnten bleiben, ein unbequemer Vordenker, der dem Establishment in der deutschen Hochschullandschaft gewiss noch länger den Marsch bläst.
Wenn er nicht gerade in die Laptop-Tasten greift, trifft man ihn nach wie vor auf seinem Rennrad an. Zur Zeit der Tour de France sollte man allerdings nicht in Verlegenheit kommen, sich als Besitzer eines Fernsehgeräts zu outen. Frank Berzbach lädt sich in diesem Fall gern selbst ein, ist aber nicht ansprechbar. Wenn Nachbars Tour-de-France-Fernseher nicht läuft, besucht er gerne popcornfreie Kinos. Oder er sorgt selbst als DJ in einer Bonner Szenekneipe für mediale Unterhaltung.
Vielleicht hat er jetzt ja auch wieder genügend Zeit für seine alte Sammelleidenschaft: Füllhalter und Plattenspieler. Die Redaktion von sciencegarden wünscht ihm auf alle Fälle die nötige Muße und das nötige Kleingeld dazu.

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Auf der Kommandobrücke von sciencegarden steht ab diesem Monat mit Christian Dries ein neuer Kapitän, der auch in Zukunft den von Frank Berzbach eingeschlagenen und bewährten sciencegarden-Kurs gemeinsam mit einer personell verstärkten Redaktion halten wird. Jenseits des Mainstreams, unkonventionell und trotzdem – so hoffen wir – informativ und anregend für all jene, die uns lesen.
Welche neuen Reiserouten Frank Berzbachs Nachfolger darüber hinaus künftig ansteuern wird, werden Sie als Leserinnen und Leser erleben – ganz egal, ob im Internetcafé, am Schreibtisch oder vielleicht ganz gemütlich im Ohrensessel bei einer Tasse Ostfriesentee.
Links zum Thema
- Frank Berzbach über ‚Prestigemultiplikation‘ und sciencegarden
- Frank Berzbach über die Powerpoint-Seuche
- Frank Berzbach über das Beste aus einem drittel Liter entrahmter Milch
- Frank Berzbach über die Liebe
- Frank Berzbach über Glück und Genetik
- Frank Berzbach gibt westöstliche Lesetipps
- Frank Berzbach über Luhmanns Zettelkasten
- Frank Berzbach über Hochschulreformen
- Frank Berzbach über Bildung
- „Talentierte Dilettanten“ – Die FR über sciencegarden
- Frank Berzbachs erster Bericht in sciencegarden
Zur Person
Christoph Scherber war erster Chefredakteur von Sciencegarden und schreibt auch heute noch für unser Magazin. Derzeit promoviert er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Literatur
- Frank Berzbach (2005): Die Ethikfalle. Pädagogische Theorierezeption am Beispiel des Konstruktivismus. Bielefeld
