August 2005

Therapie für Toleranz

Embryonale Stammzellen sollen die Ersatzteillieferanten für den menschlichen Körper werden. Doch die Zelltherapie der Zukunft hat einen großen Haken: Für jeden Patienten müsste ein eigener Klon erzeugt werden. Ein völlig neuer Ansatz soll dem Abhilfe schaffen.

„Die bisherige Therapievision sieht so aus, dass man für jeden Patienten einen Embryo herstellt, bloß um ihn wieder zu zerstören und die Stammzellen zu gewinnen. Das finde ich ethisch wirklich schwer vertretbar.“ Solche Sätze kennen wir von Kirchenvätern oder grünen Politikern, nicht aber von Wissenschaftlern aus dem Land, das eines der lockersten Klongesetze der Welt hat: England. Doch Paul Fairchild, derjenige, der diese Sätze sagt, ist Brite, Forscher an der renommierten Universität Oxford und arbeitet selbst mit embryonalen Stammzellen. Er ist einer der jungen Hoffnungsträger der Branche.

Paul Fairchild
Paul Fairchild vor seinem Institut in Oxford.
Foto: Jackie Fairchild

Fairchild lebt in einem kleinen Reihenhäuschen in Oxford, der Garten ist frisch gejätet, die Zimmer mit getrockneten Blumen und Familienfotos dekoriert. Im Wintergarten ist ein Kaffeetisch zurechtgemacht. Um ein Buch gebeten, das als Stativ für die Kamera genutzt werden kann, bringt Fairchild die Bibel. Sie ist zerfleddert, mit Unmengen von Zetteln und Notizen gespickt.

Ja, sagt er, er ist gläubig, sehr sogar. Er geht jeden Sonntag in die Kirche – wenn er nicht auf Kongressen ist. Das steht für ihn auch nicht im Widerspruch zur Wissenschaft. Wenn Gott nicht wollte, dass wir Krankheiten heilen, dann hätte er uns nicht die Möglichkeit gegeben.

Und die Stammzelltherapie verspricht viele Möglichkeiten. Es geht um Parkinson-Patienten, um Diabetiker, um Menschen mit Herzinfarkt. Es geht um all diejenigen, die sterben müssen, weil sie auf ein Organ warten, aber keinen passenden Spender finden.

Fairchild will ihnen helfen, indem er das zentrale Problem der Transplantationsmedizin anpackt: Wie kann man das Immunsystem eines Menschen dazu bringen, ein gespendetes Organ oder Zellen im Körper zu tolerieren, obwohl sie fremd sind? Wie kann man die Abstoßung verhindern?

Mit embryonalen Stammzellen soll dies möglich werden. Diese Alleskönner entstehen sehr früh in der Entwicklung eines Embryos und können sich prinzipiell zu jeder Art von Zellen entwickeln. In Zukunft sollen sie kranke Zellen im Körper ersetzen, später einmal vielleicht sogar ganze Organe, wie beispielsweise eine Niere.

Erklärgrafik 1
Wie funktioniert therapeutisches Klonen? Eine interaktive Erklärgrafik.
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Für einen solchen Eingriff sind vor allem zwei Hürden zu nehmen: Zum einen müssen die Forscher lernen, wie man die Stammzellen stimuliert, damit sie genau zu den Zellen werden, die der Patient braucht. Darin werden die Wissenschaftler immer besser. Nervenzellen für Parkinson-Patienten, Beta-Zellen für Diabetiker und schlagende Herzzellen für Infarkt-Opfer sind bereits im Reagenzglas entstanden. Zum anderen muss das Ersatzmaterial in den Körper des Patienten verpflanzt werden. Und hier macht einem das Immunsystem einen Strich durch die Rechnung. Es greift das neue Gewebe an. Denn es ist ein Spezialist darin, Fremdkörper zu erkennen, und natürlich ist auch ein aus Stammzellen erzeugtes Transplantat ein Fremdkörper – solange es nicht genetisch identisch mit dem Patienten, also ein Klon ist.

„Und damit treten genau die gleichen Probleme auf, die wir heute haben, wenn wir zum Beispiel eine Niere von einem Menschen auf den anderen übertragen“, sagt Fairchild. Heutzutage heißt die einzig verfügbare Lösung dafür: Immunsuppression. Dabei werden Medikamente gegeben, die das gesamte Immunsystem drosseln. Nebeneffekt: Bakterien und Viren werden nicht mehr effektiv bekämpft, Tumore werden im Körper nicht mehr erkannt, „die Patienten sterben oft an Infektionen oder Krebs“.

Da klingt die Idee mit dem eigenen Klon für Jedermann gar nicht so schlecht. Denn damit würde in der Tat das Transplantat nicht abgestoßen werden, da es ein Klon von dem Patienten ist. Doch für jeden Menschen müsste ein Embryo getötet werden. Fairchild schüttelt den Kopf. Er hat einen anderen Vorschlag: Was wäre, wenn man den Körper dazu bringen könnte, das Transplantat nicht als fremd, sondern vielmehr als selbst zu akzeptieren?

Erklärgrafik 2
Therapeutisches Klonen versus Toleranzinduktion – wie funktioniert’s? Eine interaktive Erklärgrafik.
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„Immunologische Toleranz“ nennt man dieses Phänomen. Und es passiert ganz normal in unserem Körper: Unser Abwehrsystem lernt zwar sehr früh, welche Moleküle in unseren Körper hineingehören, und welche nicht – aber es kann im Laufe unseres Lebens noch dazulernen. Dafür sorgen die so genannten dendritischen Zellen.

Diese Immunzellen verdanken ihren Namen ihrem Aussehen, denn „dendrites“ heißt auf Griechisch „baumartig“, und bei den Zellen gehen zahlreiche Äste von einem zentralen Körper ab. Auf diesen Ästen präsentieren sie all die verschiedenen Moleküle, die sie in unserem Körper gefunden haben, sowohl die körpereigenen als auch die fremden.

Andere Immunzellen, sozusagen die „Fußsoldaten der Armee“, die auf die dendritischen Zellen treffen, können diese Moleküle erkennen. Je nachdem, welche Signale die dendritischen Zellen zusätzlich aussenden, verstehen die Soldaten: „Dieses Molekül ist fremd, zerstört es“, oder „dieses ist eigen, lasst es unangetastet“. Wenn sie das zweite Signal senden, erzeugen sie Toleranz.

Der Plan von Paul Fairchild basiert auf dieser Fähigkeit: Für mehrere Parkinson-Patienten könnte einmalig eine embryonale Stammzelllinie hergestellt werden, aus der sowohl Nervenzellen als auch dendritische Zellen erzeugt werden. Letztere würden dann so manipuliert, dass sie Toleranz erzeugen.

Wenn der Patient sein Transplantat erhielte, bekäme er beide Zelltypen – und damit würde seinem Immunsystem vorgegaukelt, dass alles, was die genetische Information der dendritischen Zellen trägt, zu ihm selbst gehört. Also würde er die transplantierten Nervenzellen als Selbst anerkennen. Das Abstoßungs-Problem wäre gelöst.

Dendtritische Zelle
Eine einzelne dendritische Zelle im Mikroskop.

Noch ist das Zukunftsmusik, aber Fairchild ist zuversichtlich: Bei Mäusen funktioniert die Therapie bereits. Wenn er ein Stück Haut von einer Maus auf eine andere überträgt, wird es normalerweise in wenigen Tagen abgestoßen. Wenn er die kleinen Nager aber vorher mit dendritischen Zellen behandelt, bleibt die Haut intakt, das Fell wächst und die Tiere sind gesund.

Würde diese Technik eines Tages auch beim Menschen funktionieren, würde ein Traum von Fairchild in Erfüllung gehen: die Möglichkeiten der Stammzellen nutzen zu können, um Kranken zu helfen – aber dabei nur eine geringe und vor allem begrenzte Anzahl von Embryonen zerstören zu müssen: „Es gibt so viele Unterschiede zwischen dem Empfänger und der Stammzellline, aber wenn wir Toleranz erzeugen, müssen wir uns darüber keine Gedanken machen. Daher können wir im Endeffekt mit einer sehr kleinen Anzahl von Embryonischen Stammzelllinen auskommen – wenn diese gut funktionieren, können wir damit einem Großteil der Menschen helfen.“

 
Lesen Sie hier weiter:

Beitrag von Sina Bartfeld

Links zum Thema

  • Alles über Stammzellen beim National Institute of Health (NIH)
  • Auch beim NIH: ein Glossar mit den englischen Begriffen
  • Der WDR hat eine Fülle von Artikeln, Fernseh- und Hörfunk-Beiträgen über Stammzellen gesammelt.
  • Wie werden Stammzellen hergestellt? Eine Animation vom Dolan DNA Learning Center des Cold Spring Harbor Labors.
  • Noch eine Animation über Stammzellen.
  • Lehrmaterial über Stammzellforschung (englisch)
  • Xenotransplantation: Ein Beitrag zur Ausschreibung „Bodycheck“ des deutschen Studienpreises untersucht die Transplantation vom Tier auf den Menschen.
  • Eine deutsche Seite rund um Transplantation

Zur Person

Paul Fairchild wurde 1965 in Reigate (Surrey, UK) geboren. Er forscht an der Sir William Dunn School of Pathology in der Abteilung für therapeutische Immunologie bei Professor Herman Waldmann. Außerdem ist er – zweitens – Psychotherapeut, betreut einige wenige Patienten, – drittens – aktiv in der Kirche und – viertens – Hausmann. Das alles geht natürlich nur, weil ihm 4 Stunden Schlaf am Tag vollkommen reichen.

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