September 2005

Wie funktioniert RNAi? Für Leser ohne biologische Vorkenntnisse.

Sie hatten in der Schule in Bio immer eine Fünf? Transkription, DNA, mRNA – das sind alles vollkommene Unbekannte? Sie können RNA Interferenz trotzdem verstehen. Man muss nur etwas weiter ausholen…

Unser Körper ist aus Unmengen von Zellen aufgebaut. Abertausende von kleinen Einheiten, die alle fleißig das produzieren, was gebraucht wird. Eine Haarfollikelzelle erzeugt das Haar, eine Magenzelle macht Magensäure und so weiter. Um aber diese Dinge herstellen zu können, braucht eine Zelle Proteine. Proteine sind lange Ketten von Einzelbausteinen, den Aminosäuren. Es gibt unendlich viele verschiedene Proteine: all die Enzyme, die im Magensaft enthalten sind, Enzyme, die die Vorgänge innerhalb einer Zelle steuern. Auch Hormone sind Proteine. Proteine sind auch in der Zellwand, in Haaren, Nägeln, einfach in allem enthalten.

Erklärgrafik
Wie funktioniert RNAi? Eine interaktive Erklärgrafik.
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Diese Unmengen von Proteinen müssen nach den richtigen Anleitungen hergestellt werden. Doch wie funktioniert das? Stellen Sie sich die Zelle einfach als eine große Stadt vor. Die Proteine, die die Zelle bauen muss, stellen Sie sich wie die Häuser vor, die in der Stadt gebaut werden. Eine Zelle sieht also ein bisschen aus wie Berlin: an allen Ecken und Enden wird gebaut. Doch es gibt strenge Regeln, nach denen gebaut werden darf, genaue Vorschriften, die in tausenden von Gesetzbüchern festgehalten sind. All diese dicken Schinken werden in der Zentralbibliothek gelagert. Die Originale sind nur ein einziges Mal vorhanden, deswegen sind sie sehr wertvoll und keiner darf sie ausleihen. Aber man darf sie kopieren. Ein Architekt müsste also zunächst einmal in die Zentralbibliothek gehen und sich hier die entsprechenden Regeln kopieren – Er macht das aber natürlich nicht selbst, sondern lässt seine Praktikanten Seite um Seite abschreiben, eine Anweisung nach der nächsten, was immer der Architekt benötigt.

Und genau so läuft es in der Zelle ab. Wenn ein Protein gebaut werden soll, muss dafür erst im Zellkern auf der Erbinformation (der Desoxyribonucleinsäure, kurz DNA) nachgesehen werden, wie das Protein aussehen soll. Eine solche Anleitung ist ein Gen. Von diesem Gen wird eine Kopie erstellt. Und der Vergleich mit dem Abschreiben ist gar nicht so weit hergeholt: Tatsächlich schreibt ein Enzym die Anleitung Buchstabe für Buchstabe ab. Die Biologen nennen das „Transkription“ für lateinisch „abschreiben“. Die Kopie besteht aus einem sehr ähnlichen Molekül, der Ribonucleinsäure, kurz RNA.

In unserem Bild von der Stadt müssen nun die Praktikanten wieder zu ihren Chefs zurück und ihnen die Kopien geben. Dann kann der Hausbau losgehen. In der Zelle wandern die RNA-Kopien zu den Proteinfabriken, die außerhalb des Zellkernes im Zellsaft (Cytoplasma) liegen. Weil die RNA die Information transportiert, wird sie Boten-RNA oder englisch auch messengerRNA, kurz mRNA genannt.

Nun endlich zur RNA-Interferenz. Stellen wir uns vor, in unserer Stadt wäre auf einmal der Terror ausgebrochen – heutzutage eine leider sehr lebendige Vorstellung. Jedenfalls gibt es Bombenleger in unserer imaginären Stadt. Und es gibt eine Spezialeinheit, die ihnen auf den Fersen ist. Die Polizisten schnappen einen der Täter. Sie verhören ihn, bis er seine Kumpels verrät. Nun haben die Polizisten eine genaue Beschreibung. Mit einer Großfahndung finden sie andere Verdächtige. Sie werden festgenommen und eingesperrt.

Ähnliches läuft in einer Zelle ab, wenn sie von Viren befallen wird. Für Zellen sind Viren echte Terroristen, sie nehmen die gesamte Zelle für sich ein und lassen sie neue Viren produzieren. Dafür nutzen die Eindringlinge die Proteinmaschinerie der Zelle. Sie lassen Boten-RNA herstellen, nach der dann Viren-Eiweiße gebildet werden. Und gegen diesen Terrorismus wehrt sich die Zelle. Dafür hat sie zwei Spezialeinheiten ausgebildet: „DICER“ und „RISC“. DICER erkennt die Erbsubstanz von Viren. Diese besteht bei einigen Viren aus RNA, also dem gleichen Molekül, wie auch die Boten-RNA. Nur ist die Erbsubstanz der Viren nicht ein einzelner Strang, sondern zwei zusammengehörige Stränge – ein Doppelstrang. Wenn DICER also ein Stück dsRNA findet, „weiß“ DICER, dass es einen Eindringling gefunden hat. Was bei der Spezialeinheit der Polizei in unserer imaginären Stadt dem Verhör gleich kommt, sieht auf der Zellebene so aus: DICER schneidet die dsRNA in kurze Stücke. Diese, „siRNA“ für „small interfering RNA“ genannten RNA-Schnipsel, sind die „Täterbeschreibung“. Nun wird die zweite Einheit der Virenbekämpfung hinzu gerufen: RISC. RISC nimmt die Täterbeschreibung, und vergleicht diese mit den Boten-RNAs, die in der Zelle vorhanden sind. Wenn eine Boten-RNA zu dem Stück der Viren-RNA passt, zerschneidet RISC die Boten-RNA und markiert diese zur Vernichtung. Damit werden die Anleitungen zum Bau von Viren-Proteinen aus dem Verkehr gezogen.

Und wie lässt sich das nun für eine Therapie nutzen? Nun, bis hier hin haben wir nur den natürlich vorkommenden Teil beschrieben. Dieser Mechanismus läuft ganz normal in Zellen ab. Wenn eine dsRNA in die Zellen kommt, werden die mRNAs vernichtet, die die gleiche Erbinformation tragen. Diesen Ablauf kann man sich zunutze machen. Denn bei Krankheiten ist oft ein einzelnes Protein Schuld an einem ganzen Berg von Problemen. Zum Beispiel bei der häufigsten Ursache der altersbedingten Blindheit, der feuchten Makula-Degeneration: Hier wird ein einzelnes Protein, das VEGF, zu viel produziert. Wenn wir in dem Bild unserer imaginären Stadt bleiben, würde das gleiche Haus einfach zu viel gebaut – so wie die Plattenbauten in Berlin. Wenn jetzt ein Außenstehender versuchen wollte, den Plattenbau zu reduzieren, was könnte er dann machen? Nun, in Berlin ist das wahrscheinlich schwieriger zu verwirklichen, als in der Zelle.

Hier kann ein Stück doppelsträngiger RNA eingeschleust werden, die genauso aussieht, wie die genetische Anleitung zum Bau von VEGF. Damit wird die Spezialeinheit aktiviert. DICER zerstückelt die dsRNA, RISC sucht die passende mRNA und findet die von VEGF. RISC schneidet die mRNA. Sie wird zerstört. Damit wird die Bauanleitung für das Protein VEGF zerstört.

In der Stadt hieße das, man hätte einen Pseudo-Terroristen eingeschleust, der den Praktikanten ähnlich sieht, die die Anleitungen für die Plattenbauten kopieren. Wenn die Praktikanten festgenommen werden, gelangen die von ihnen getragenen Kopien aus dem Zentralarchiv niemals zu den Architekten. Also können die Plattenbauten nicht mehr gebaut werden.

Das faszinierende an der Technik: Man kann praktisch jedes Protein in einer Zelle ganz gezielt ausschalten. Man braucht nur die genetische Information zu kennen. Sobald man weiß: Protein X ist wichtig bei der Krankheit Y, kann man die Sequenz für das Protein X nachschlagen, eine passende RNA konstruieren und versuchen, die Krankheit damit zu beeinflussen. So wollen Ärzte in Zukunft die Vermehrung von Viren verhindern, Krebszellen stoppen oder Krankheiten wie die feuchte Makula-Degeneration behandeln. Ob das im Einzelnen immer klappt ist allerdings eine große Frage. Denn was in der Theorie zwar ganz einfach klingt, macht in der Praxis doch oft Probleme. Besonders schwierig scheint es zu sein, zielgerecht die kranken Zellen zu treffen.

 
Lesen Sie hier weiter:

Beitrag von Sina Bartfeld

Links zum Thema

  • Der RNAi-Forscher Thomas Tuschl brachte die Technik in den Menschen.
  • Der Mechanismus RNAi als Flash-Animation

Zur Person

Sina Bartfeld ist Redakteurin bei sciencegarden und Doktorandin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Sie arbeitet selbst mit RNA-Interferenz im Labor.

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