Oktober 2005

Vom Versuch, ökonomische Probleme wie ein Ingenieur anzugehen

Prof. Dr. Axel OckenfelsEin Interview mit Professor Dr. Axel Ockenfels, Kölner Ökonom und Träger des Leibniz-Preises 2005.

sg: Herr Professor Ockenfels, herzlichen Glückwunsch zum renommierten Leibniz-Preis, mit dem Sie für Ihre Forschungsarbeit ausgezeichnet wurden. Können Sie in wenigen Worten die Haupterkenntnisse Ihrer Studien im Bereich von Marktdesign und Behavioural Economics darstellen?

Der jährlich vergebene Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ist der höchstdotierte deutsche Förderpreis. Ziel des 1985 eingerichteten Leibniz-Programms ist es, die Arbeitsbedingungen herausragender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachgebiete zu verbessern.
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AO: Gerne. Zunächst einmal versuche ich in meiner Forschung, ökonomische Probleme wie ein Ingenieur anzugehen: Das heißt, ich setze die verschiedensten theoretischen und empirischen Methoden ein, um etwa Marktmechanismen optimal zu gestalten. Die Theorie spielt dabei selbstverständlich eine wichtige Rolle, aber eben auch empirische Methoden wie zum Beispiel die experimentelle Wirtschaftsforschung, Simulation und Befragungen. Ich führe diese Methoden zusammen, um ökonomische und soziale Institutionen zu schaffen, die bestmöglich funktionieren. Dabei ist die Art und Weise dieses Arbeitens, das auch als „microeconomic engineering“ bezeichnet wird, etwas wirklich Neues für Ökonomen. Erfreulicherweise zeigt sich, dass dieses Forschungsdesign sehr erfolgreich ist, und die Erkenntnisse allzu oft letztlich dem Wohle aller Akteure dienen können.

sg: Eines der Anwendungsfelder Ihrer Modelle ist die Internetauktionsplattform ebay. Was bedeuten Ihre Erkenntnisse für den ebayer?

AO: Es gibt im Bereich der Spieltheorie ein Feld, das man Auktionstheorie nennt. Diese Theorie ist elegant – ich würde sagen: geradezu schön –, und hilft uns, Auktionen besser zu verstehen. ebay ist ein sehr gutes Beispiel für Auktionsdesign. Uns interessiert zum Beispiel, wie die Regeln, Prozeduren und Algorithmen von ebay verfeinert und optimiert werden können. Optimieren bedeutet zum einen, es den Bietern strategisch einfacher zu machen, in ebay zu bieten. Zum anderen soll es den Bietern schwerer gemacht werden, bei Auktionen Preise oder Reputationen zu manipulieren. Über diese Ziele sind wir mit den Machern von ebay im Gespräch. Unsere theoretischen, aber auch die experimentellen Forschungen sind dabei sehr hilfreich, denn wir können ebay 1:1 im Labor nachstellen und schauen, wie die Akteure sich verhalten. Und dann können wir – dies ist ein Vorzug des Labors – kontrolliert das Drumherum verändern und beobachten, wie sich die Änderungen auswirken. Wir führen aber auch im Feld, in ebay selbst, Experimente durch, um herauszufinden, wie sich Regeländerungen auswirken, und wie sich Käufer und Verkäufer auf eBay verhalten.

sg: Verfolgen Sie neben ebay weitere Forschungen?

Die Spieltheorie ist eine „Disziplin der mathematischen Wirtschaftstheorie, deren Aufgabe im Suchen nach optimalen Strategien für einzelne Spieler sowie in der Beschreibung der Gleichgewichtszustände zwischen den Spielern zu sehen ist.“ (Bert Rürup: Fischer Wirtschaftslexikon 1995). Sie dient im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Erklärung menschlichen Handelns.

AO: Selbstverständlich gibt es neben ebay auch zahlreiche andere Untersuchungsfelder im Bereich des Marktdesigns und der Auktionstheorie, mit denen ich mich derzeit beschäftige: Etwa Marktdesign in der Energiewirtschaft, wo wir untersuchen, wie man Energiemärkte designen muss, damit wettbewerblichere Ergebnisse möglich sind. In den 1950er/1960er-Jahren standen viele auf dem Standpunkt, dass der Markt per se etwas Gutes sei. Oder man hat den Markt gehasst und gesagt, dass der Markt per se etwas Schlechtes sei. Heute sind wir einige Riesenschritte weiter: Wir wissen, dass der Markt in vielen Bereichen sehr gute Ergebnisse bewirken und Wohlfahrt für alle erhöhen kann, dass er aber unter bestimmten, zum Teil subtilen Umständen eben auch dramatisch versagen kann. Es gibt also kein Schwarz-Weiß-Denken mehr, sondern wir haben erkannt, dass Details eine wichtige Rolle spielen können. Kleine Fehler in einem Marktdesign können erhebliche Auswirkungen auf die Marktergebnisse haben. Denken Sie beispielsweise an die UMTS-Auktionen in Deutschland: Wenn Sie da einen Fehler machen, dann legen Sie die Strukturen einer kompletten Industrie, in diesem Falle der Telekommunikationsindustrie, auf Jahre falsch fest. Das heißt, diese Auktionen müssen funktionieren, und um das vernünftig hinzukriegen, sind Spieltheorie und experimentelle Wirtschaftsforschung hervorragend geeignet.

sg: Im Vorfeld solcher großen Auktionen wird also getestet?

AO: Richtig, aber meines Erachtens noch nicht genug, denn in vielen High-Stake-Bereichen [Bereiche, in denen es um viel geht; Anm. der Interviewerin] wird noch sehr häufig nach dem Trial-and-Error-Prinzip vorgegangen, so dass Millionen verbraten werden, und es heißt dann: Oh, es ging schief, wir machen es das nächste Mal richtig. Dabei hätte mit geringem Forschungsmitteleinsatz im Experiment gezeigt werden können, ob eine Idee funktioniert oder nicht. Oder man hätte die Probleme mit ein paar klugen theoretischen Überlegungen antizipieren können. Erfreulicherweise wird in zunehmendem Maße der Rat von Marktarchitekten mit ökonomischem Background im Vorfeld in Anspruch genommen.

sg: Wie und wann sind Sie zu Ihrem wichtigsten Forschungsfeld, dem Marktdesign, gekommen?

AO: Das ist eine gute Frage. Es war tatsächlich eine bewusste Entscheidung. Der Grund ist – überspitzt formuliert –, dass mich die einzelnen Bereiche für sich genommen oft eher langweilen. Wenn Sie „nur“ Theorie machen, langweilt es Sie irgendwann, weil Sie dann an Ihrem Schreibtisch im Elfenbeinturm sitzen und kein Gefühl dafür bekommen, ob und in welchem Maße ihre Modelle wirklichkeitsnah sind. Und wenn Sie „nur“ Experimente machen, erkennen Sie zuweilen das große Bild nicht mehr, und merken eventuell gar nicht, dass Sie irgendwann abgekoppelt sind von Entwicklungen, die in der Theorie oder Praxis stattfinden. Das war der Ansporn für mich war, diese Teilbereiche zu verbinden, auch mit Praktikern zu sprechen und dann wissenschaftlich fundiert und auf hohem methodischen Niveau durch die Interdisziplinarität des Ansatzes weiterzukommen. Wir arbeiten ja mit Psychologen, Juristen, Philosophen, Soziologen zusammen, und das ist unglaublich erfrischend. Marktdesign ist ein Feld, das sich geradezu anbietet für diesen interdisziplinären Ansatz.

sg: Sie sprechen von einer bewusst Entscheidung. Wann haben Sie sie getroffen?

Leibniz-Preis 2005
Leibniz-Preis 2005 – Preisverleihung

AO: Im Studium habe ich eigentlich ausschließlich Theorie gelernt. Für meine Doktorarbeit habe ich dann vor allem Experimente durchgeführt. Und in meiner Habilitationsschrift habe ich dann ganz bewusst Synergieeffekte genutzt und mich in diese interdisziplinäre Richtung bewegt. Nicht zuletzt, weil das Feedback extrem gut war – und zwar nicht nur innerhalb der Scientific Community, sondern etwa auch von ebay. Nun, um gut experimentell arbeiten zu können, muss man sich mit der Theorie sehr gut auskennen. Daher halte ich eine fundierte theoretische Ausbildung, die ich an der Uni Bonn auch erhalten habe, für sehr wichtig. Aber wenn Sie mit Spieltheorie und experimenteller Wirtschaftsforschung arbeiten, dann lernen Sie noch lange nichts über die Funktionsweise realer Institutionen. Und das fehlte mir noch in diesem Puzzle, und deshalb habe ich mir Institutionen in der Realität angeschaut und gemerkt: Wow, die wahre Welt lehrt uns eine ganze Menge darüber, wie gute Theorie und gute Experimente aussehen müssen, damit wir wirklich zu Erkenntnisforschritt kommen. Eine wichtige Erkenntnis ist: Die Details sind wichtig! Und diese Erkenntnis unterscheidet sich durchaus von der Weltsicht, die viele Ökonomen bisher mit sich herumgetragen haben. Viele große ökonomische Theoreme sind Universaltheoreme, die Institutionen nicht im Blick haben. Meine Forschung zeigt, dass diese tradierten Theoreme zu grob sind, um Märkte und Marktverhalten wirklich zu verstehen.

sg: Sie sind 36 Jahre alt und können bereits auf eine beachtliche und mit zahlreichen Preisen begleitete Karriere verweisen. Mit 36 schreiben einige Wissenschaftler noch an ihrer Doktorarbeit oder zumindest an der Habilitationsschrift. Welche Faktoren haben zu Ihrer raschen und überaus erfolgreichen Karriere beigetragen?

AO: Es gab bei mir gar keine Friktionen. Ich bin von der Promotion quasi automatisch in die Habilitation hineingerutscht und habe dann sofort Stellenangebote erhalten. Da war eine Menge Glück dabei. Und ich hatte ausgezeichnete Lehrer: Ich habe zum Beispiel bei Professor Reinhard Selten in der Volkswirtschaftslehre an der Uni Bonn meine Diplomarbeit geschrieben in einem Fach, das damals – anders als heute – noch überhaupt nicht dem Mainstream entsprach, nämlich in experimenteller Wirtschaftsforschung. Das war durchaus riskant, aber Herr Selten ermutigte mich dazu. Dann hat er den Nobelpreis erhalten, anschließend zusammen mit mir ein Papier geschrieben, und das war natürlich ein idealer Start für meine Karriere. Aber wenn Sie jetzt danach fragen, was mein Beitrag zum Erfolg ist – ich glaube, ich habe früher als andere ein Gespür für interessante Themen. Als ich mich Mitte der 1990er Jahre mit Fairness in den Wirtschaftswissenschaften beschäftigte, hatte das fast keinen innerhalb der Wirtschaftswissenschaften interessiert. Heute ist Fairness auf Konferenzen ein häufig anzutreffendes Thema, geradezu ein Modethema. Ähnliches gilt für meine Forschungen zu ebay. Ja, und darüber hinaus habe ich das Glück, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die auf meiner Wellenlänge liegen. Diese gute und enge Zusammenarbeit ist mir sehr wichtig. Wenn Sie sich meine Veröffentlichungen ansehen, finden Sie nur wenige Papiere, die ich alleine geschrieben habe. Austausch, gegenseitige Motivation und Zustimmung sind für moderne Forschung unabdingbar und sollte unter allen Umständen gefördert werden.

sg: Gab es auch besondere Hürden, die Sie nehmen mussten?

Der Homo Oeconomicus (lat.) ist das in den Wirtschaftswissenschaften dominierende Modell des „Wirtschaftsmenschen“, der – bei gegebener Präferenzordnung, vollkommener Informiertheit und vollkommener Voraussicht – Entscheidungen mit dem Ziel individueller Nutzenmaximierung trifft.

AO: Mit meiner Fairness-Forschung stieß ich zunächst auf viel Unverständnis, da diese die Fundamente ökonomischen Denkens ins Wanken brachte. Kollegen waren zum Teil, um es einmal milde zu formulieren, skeptisch im Hinblick auf meine Forschung. Das nahm natürlich ab – auch schon vor Erhalt des Leibniz-Preises –, weil sich schnell Veröffentlichungserfolge einstellten. Eine weitere Hürde ist der sehr harte Wettbewerb innerhalb der Wirtschaftswissenschaften: Je enger es wird, je mehr Leute in einem Forschungsgebiet arbeiten, desto härter wird der Wettbewerb. Man sollte daher starke Nerven haben und sich nicht abschrecken lassen. Ein Co-Autor von mir sagte einmal: Die Kämpfe zwischen Wissenschaftlern sind so hart, weil es um so wenig geht. Da ist schon etwas Wahres dran! Bei uns in der Ökonomik geht es oft um kleine Formulierungen, über die Grabenkämpfe ausgetragen werden, und man vergisst darüber allzu leicht die großen Ziele. Ja, das waren so die Hürden, die ich nehmen musste. Es waren also weniger institutionelle Hürden, problematisch war vielmehr die wirtschaftswissenschaftliche Wettbewerbskultur, die es zuweilen schwer macht, Kreativität und Innovation zu identifizieren und zu belohnen.

sg: Welche Empfehlungen können Sie jungen Menschen geben, die wie Sie den Weg in die Wissenschaft finden möchten?

AO: Ich weiß nicht viel darüber, wie es außerhalb der Wirtschaftswissenschaften aussieht. In meiner Disziplin ist jedoch eine sehr gute methodische, formale Ausbildung wichtig. Mindestens genauso wichtig ist es – und das lernt man leider nicht so sehr an der Universität –, die Augen offen zu halten für interessante Phänomene in der Welt, in der man lebt. Das mag banal klingen, aber diese Neugierde, dieses Nachfragen ist unglaublich wertvoll. Auf dieser Basis entstehen meiner Erfahrung nach die besten Papiere. In den Wirtschaftswissenschaften machen, glaube ich, viele den Fehler, renommierte Modelle zu nehmen und diese nur marginal zu ändern. Das lässt sich in der Regel gut publizieren, weil man sich damit im Mainstream bewegt, aber wenn man wirklich Erfolg haben will, muss man etwas Neues wagen, in die Realität gehen, mit modernen Methoden anwendungsbezogen forschen. Ich denke darüber hinaus, dass die Grenzen zwischen den Disziplinen zunehmend verschwinden. Interdisziplinär zu arbeiten, weitet den Blick. Interdisziplinarität darf aber selbstverständlich nicht als Entschuldigung für mangelnde methodische Kompetenz dienen.

sg: Was tun Sie in Ihrer sicherlich knapp bemessenen freien Zeit am liebsten?

AO: Ich habe Familie – zwei kleine Kinder –, und das ist es eigentlich. Das ist im Moment ein ganz und gar erfüllendes Hobby.

sg: Letzte Frage: Wie sieht Ihre Position zum Thema Studiengebühren aus?

AO: Wenn zwei Bedingungen erfüllt werden – gute Leute müssen studieren können, auch wenn sie derzeit noch kein Geld haben, und Studiengebühren gehen zurück an die Hochschulen zur Verbesserung der Lehre –, dann sind Studiengebühren gut. Und zwar nicht nur aus ökonomischen Gründen der Effizienz, indem Entscheidungen klüger getroffen werden, sondern auch aus Gründen der Gerechtigkeit. Im Moment haben wir empirisch eine Umverteilung von Arm nach Reich, denn der Steuerzahler bezahlt das Studium, und die Leute, die davon profitieren, sind in der Tendenz diejenigen, die schon heute aus reicherem Elternhaus kommen und zudem später mehr verdienen als Andere. Daher halte ich Studiengebühren für richtig. Das Problem ist natürlich, dass es in der Übergangszeit Verlierer geben kann, wenn die Gesellschaft nicht schnell sicherstellen kann, dass alle fähigen jungen Menschen, unabhängig von der finanziellen Lage der Eltern, studieren können. Diese Übergangsprobleme muss man lösen. Aber die Idee der Studiengebühren ist richtig.

sg: Herr Professor Ockenfels, vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Nadine M. Schöneck

Links zum Thema

  • Homepage Prof. Dr. Axel Ockenfels
  • Leibniz-Preis
  • Leibniz-Preisträger 2005
  • Leibniz-Preisträger 2005 – Axel Ockenfels

Zur Person

Prof. Dr. Axel Ockenfels, Jahrgang 1969, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er lehrt und forscht am Staatswissenschaftlichen Seminar an der Universität zu Köln. Seine wissenschaftliche Laufbahn ist gekennzeichnet durch Internationalität und zahlreiche Auszeichnungen. Zu seinen Forschungsinteressen zählen Markt- und Auktionsdesign, Behavioural Economics, Spieltheorie sowie Experimentelle Wirtschaftsforschung.

Kontakt: Prof. Dr. Axel Ockenfels, Universität zu Köln
Staatswissenschaftliches Seminar
Albertus Magnus Platz, 50923 Köln

Literatur

  • Ockenfels, Axel (1999): Fairness, Reziprozität und Eigennutz. Ökonomische Theorie und experimentelle Evidenz. Tübingen.
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