Februar 2006

Forschen, wo andere Urlaub machen

MaltaMalerische Landschaften, freundliche Menschen und eine spannende Geschichte. Unser Autor hat den kleinsten europäischen Inselstaat im Dienst der Wissenschaft besucht. Sein Fazit: Malta ist die Reise wert!

„Bongu, kiffinti?“ Der Mann an der Rezeption der National Library in Valletta macht ein freundliches Gesicht. Der morgendliche Archivbesucher ist geneigt, ihm ein herzliches „Kaschnaffta!“ zu entgegnen. Korrekt wäre hingegen „Tajjeb havna, grazzi“ – „Danke, sehr gut.“
Da Maltesisch jedoch dem Arabischen näher verwandt ist als jeder anderen Sprache, sagt man am besten „alright“ (gesprochen „orrajt“), präsentiert seinen Ausweis, und dem Forscherglück steht für den Tag nichts mehr im Wege.

Englisch ist auch erste Wahl für das Begrüßungs-Zeremoniell im Lesesaal, wo der älteste Kustode, eine Art Wächter, das erste Wort hat. Zumeist ist es ein „Yes?“, und er sagt es so würdeschwanger, als ginge es um eine Audienz bei der Queen im Buckingham-Palace.
Den Eindruck verstärkt das englische Königswappen, das übergroß am Ende der Bücherfluchten an der hinteren Wand des Saales prangt. Schließlich las und forschte man bis zur Unabhängigkeit 1964 hier noch in der Royal Malta Library.
„Dieu et mon Droit“ (Gott und mein Recht), die Devise des Königshauses, schwingt mit in diesem „Yes?“ Doch das Recht des Forschers verbrieft sein Empfehlungsschreiben.

Dieses Entrée berechtigt zu Nachforschungen über einen weiteren ehemaligen Landesherren Maltas, den Johanniterorden. Die Ritter residierten über 250 Jahre auf der Insel, verteidigten sie gegen allen „Unglauben“ und machten als katholische Korsaren das Mittelmeer, je nach Blickwinkel, sicher oder unsicher.

Alof de Wignacourt
Alof de Wignacourt

In der National Library wird das Ordensarchiv mit Quellen aus sechs Jahrhunderten verwahrt: von der Bulle, mit der Papst Paschalis’ II. den Ritterorden 1113 bestätigte, über die Lehensurkunde Kaiser Karls V., der Malta 1530 den Johannitern übertrug, bis zur Korrespondenz des deutschen Großmeisters Ferdinand von Hompesch, den Napoleon 1798 absetzte; Ratsprotokolle, Korrespondenzen, Testamente – what do you want to see today?
Die Nationalbibliothek ist eine Spielwiese, auch für den Frühneuzeitforscher auf den Spuren Papst Pauls V. Borghese und Großmeister Alof de Wignacourts.

Alles eitel Sonnenschein? Wonach es den gemeinen Ferieninsel-Fan gelüstet, ist dem Wissenschaftler eine Bürde: In Malta wird im Sommer bei Temperaturen um 35°C (plus ultra) und einer Luftfeuchtigkeit von bis zu 100% bedingungslos geschwitzt, im Winter bei gefühlten 3,5°C (in circa) bitterlich gefroren.
Der Forscher beginnt zu durchdringen, warum die Ritter ihrer kargen Heimat zunächst wenig abgewinnen konnten, ahnt, weshalb mancher päpstliche Inquisitor auf baldige Versetzung drängte, und wie es kam, dass Wignacourt im September 1622 auf der Kaninchenjagd einem Gehirnschlag erlag.

Im September 2005 ist das Archiv ein lebendiger Ort. Da ist das vertraute Rascheln derjenigen, die jeden Tag nur zum Zeitunglesen kommen, da ist, bei guter Laune, das rhythmische Klopfen der Hände des ersten Kustoden auf dem Pult, mit dem er sein Summen unterlegt, und da ist das Klingeln von Mobiltelephonen (selbstverständlich werden eingehende Rufe auch angenommen).
Was anderswo mit Bibliotheksverbot von bis zu zehn Tagen geahndet wird, kann den Malta-erfahrenen Forscher jedoch nicht mehr aus der Ruhe bringen. Längst schon benutzt er das Hinweisschild „Mobiles to be switched off“ als Seitenbeschwerer, ein besonders probates Mittel gegen Folio-Verwehungen, wenn einer der Ventilatoren wieder über seinen Arbeitsplatz bläst. Es gibt jetzt nur ihn und die Quelle.

„Yes?!“ Touristen dürfen in der National Library bis zur Saalmitte ausgewählte Schätze in Schaukästen bewundern, bis zu einem mehrsprachigen Schild. Auf deutsch steht dort: „Eintritt nur für Rechercher.“ Missverständnisse klärt zumeist das eine Wort des ersten Kustoden.
In Augenblicken der Unachtsamkeit jedoch kann es jenseits der Demarkationslinie zu einer Begegnung zwischen Forschung und Freizeit kommen. Während die Freizeit der Forschung neugierig über die Schulter blickt, überlegt die Forschung, wie sie der Frage „Und worüber arbeiten Sie?“ begegnen soll.
Womöglich mit dem Bericht des Ordensbotschafters, dem Paul V. ein päpstliches „Basta!“ entgegenschmetterte (Überleitungsmöglichkeiten zu geflügelten Kanzlerworten?).
Oder vielleicht: „Brown mein Name, ich arbeite über das Atomwaffenkomplott Caravaggios…“ (Wissenschaft zwischen Dichtung und Wahrheit?) Nur enden solche Treffen schnell – und ganz gewiss mit einem „Yes??!!“

MaltaDoch lässt sich Geschichte auf Malta von „Rechercher“ und Tourist auch gemeinsam erleben. Zum Beispiel Caravaggio: Von ihm stammt die monumentale Darstellung der Enthauptung Johannes des Täufers im Oratorium der ehemaligen Konventskirche des Johanniterordens. Caravaggio malte die Hinrichtung des Ordenspatrons im Auftrag Wignacourts, der ihn 1607 als Ritter in den Orden aufnahm und protegierte, nachdem er zuvor aus dem Rom Pauls V. verbannt worden war.
Berufenen Kunstkennern ist alleine dieses Bild schon eine Malta-Reise wert. Nicht minder beeindruckend ist St. John’s Co-Cathedral selbst, deren Fußboden als einzigartiges Memento Mori die marmornen Grabplatten von über 400 Rittern bedecken.

Überhaupt ist die Ordensgeschichte in Valletta auf Schritt und Tritt gegenwärtig, von den imposanten äußeren Befestigungsanlagen, die Stadtvater Jean de la Vallette nach der zurückgeschlagenen „Großen Belagerung“ von 1565 anlegen ließ, bis zum zentral gelegenen Großmeisterpalast, in dem heute das Parlament tagt und der Staatspräsident hohe Gäste empfängt.
Die Ritter fühlten sich in ihren „Auberges“ (Herbergen) zuweilen wie im „Purgatorium“, dem Fegefeuer. Ob die heutigen Bewohner dieser Renaissancepaläste, etwa der Premierminister, diesen Eindruck noch teilen?

Die rund 9000 Einwohner der kleinsten Hauptstadt Europas (nur im Vatikan leben weniger Menschen) wissen über den Orden meist ebensowenig wie die Besucher aus dem Ausland. Dabei besteht er gerade in den unzähligen Stadt- und Dorffesten fort.
Das Abfeuern einer Unmenge von Böllern ist beliebter Bestandteil einer jeden solchen „Festa“ zu Ehren eines Heiligen. Doch wer weiß schon, dass die ohrenbetäubenden Explosionen haargenau die Salut-Salven der Ordens-Artillerie nachahmen? Ták tak-tak-tak-ták tak-tak-tak-ták (die Musketen) ka-wúmm (der Kanonenschlag)!

Ordensflagge
Ordensflagge

Im Gegensatz zum frühneuzeitlichen Zeremoniell wird heute allerdings vorrangig Wert auf den Lärmeffekt gelegt. Es ist den Maltesern auch nicht bewusst, dass sie mit der „Flagge der Religion“ an kirchlichen Feiertagen die Ordensflagge hissen.
„Religion“ stand in der frühen Neuzeit nicht für den katholischen Glauben allgemein, sondern gezielt für den Orden. Das weiße Kreuz auf rotem Grund ist noch heute die Staatsflagge der katholischen Johanniter, nur dass diese inzwischen als „Malteser“ bekannt sind, als Sovereign Military Order of Malta (SMOM).

Einem anderen ehemaligen Landesherrn, genauer: einer ehemaligen Landesfrau wird dagegen ganz bewusst und mit passenden Fahnen zugejubelt – der Queen. Im November eröffnet Elisabeth II. das Commonwealth Heads of Government Meeting (kurz CHOGM), das 2005 der Mitgliedsstaat Malta ausrichtet.
In einem schwarzen Rolls Royce wird sie zum Großmeisterpalast gefahren, vorbei an St. John’s Co-Cathedral und der National Library. Diese hat der Forscher für die Tage des Welttreffens in Valletta allerdings in weiser Vorausschau gegen das Kathedralarchiv in Mdina eingetauscht. Auch in der „stillen Stadt“ lässt sich nämlich an Ordensquellen arbeiten, dazu auch mit den Beständen des Inquisitionsarchivs.

Nach sechs Monaten weiß er, dass es die Reise wert war. Er hat wertvolle Quellenkenntnis gewonnen, eine faszinierende Insel erkundet und ihr Volk erlebt, hat, wie schon der Ordenritter Francesco Abela, über Tempelanlagen gestaunt, die vor über 5000 Jahren entstanden sind. Mit dem Kardinal und ehemaligen Inquisitor Federico Borromeo ist er zu der Ansicht gelangt, dass die maltesische Sprache dem Ausländer „komplett unverständlich“ ist.
Und verwirrend noch dazu: Die Malteser sagen „Prosit“, wenn sie „gut gemacht!“ meinen. „Maria Omm Allah“ ist kein interreligiöser Verbrüderungsslogan, sondern die Mutter Gottes der Katholiken, und der Kellner bringt einen Gemüseteller, wenn man im Restaurant „haxix“ bestellt. Orrajt?

Beitrag von Moritz Trebeljahr.

Links zum Thema

  • Bibliotheken und Archive auf Malta
  • Malta für Urlauber

Zur Person

Moritz Trebeljahr studierte Geschichte, Romanistik, Anglistik und Politikwissenschaften in Göttingen und Freiburg und promoviert über Papst Paul V. Als Stipendiat der FAZIT-Stiftung hat er ein halbes Jahr auf Malta geforscht. Seit diesem Jahr ist er Mitarbeiter des Teilprojekts B6 des Sonderforschungsbereichs 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“ an der Universität Münster. Daneben arbeitet er seit mehreren Jahren als freier Journalist für diverse Rundfunk- und Printmedien.

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