Die Sprache des Ingenieurs lernt man nicht in der Schule
sg: Fahren Eisenbahnen in Deutschland anders als in Polen?
M.+W.: Nein, dass sicher nicht. Aber Züge in Deutschland fahren schneller und sind viel moderner. Darum ist das Fach Eisenbahnwesen hier natürlich interessanter als in Polen.
Wie der griechische Philosoph SOKRATES heißt das Aktionsprogramm der EU für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen der allgemeinen Bildung. Unter dem Teilprogramm ERASMUS laufen Aktionen für den Hochschulbereich, insbesondere können Auslandsaufenthalte von Studierenden und Dozenten gefördert werden. (Quelle: http://eu.daad.de)
sg: War das ein Grund für Euch im Ausland zu studieren?
M.+W.: Wir wollten ins Ausland gehen, um etwas Neues zu erleben, Erfahrungen zu sammeln, die wir später für unsere zukünftige Arbeit nutzen können, neue Leute, Deutschland, die Deutschen und ihre Kultur besser kennen zu lernen. Außerdem waren wir auch gespannt, was den Unterschied zwischen einem Studium in Polen und einem Studium in Deutschland ausmacht. Da wir nur das Universitätsleben in Polen kennen ist es für uns interessant zu sehen, wie das Unileben in Deutschland verläuft
sg: Und warum gerade Deutschland?
M.+W.: Da wir schon die Grundlagen der deutschen Sprache besaßen, haben wir uns für Deutschland entschieden.
Was man in einem Supermarkt braucht, oder einem Tante Emma-Laden, dass kann man im Deutschunterricht in der Schule lernen. Aber die technische Sprache, den Wortschatz eines Ingenieurs, dass ist viel schwieriger. Das lernt man erst, wenn man in dem Land ist und dort studiert. Braunschweig haben wir gewählt, weil wir an der Technischen Universität in Braunschweig die Fächer belegen konnten die wir auch zu Hause im siebten und achten Semester belegt hätten. So können unsere hiesigen Studienleistungen dort anerkannt werden.
Im Studienjahr 2003/2004 sind insgesamt 1870 Studierende aus Polen nach Deutschland gekommen. Im gleichen Zeitraum sind 395 Studierende in die entgegengesetzte Richtung gezogen. (Quelle: http://europa.eu.int)
sg: Was unterscheidet das Studium in Deutschland von dem in Polen, was ist gleich?
M.+W.: Die Vorlesungen unterscheiden sich nicht sehr von denen zu Hause. Allerdings gibt es bei uns kaum Skripte; wir müssen fast alles mitschreiben. Die Projekte aber sind hier ein bisschen besser, viel lebensnäher. Im Eisenbahnwesen haben wir beispielsweise ein tolles Projekt bearbeitet: Wir sollten uns eine neue Eisenbahntrasse überlegen. Dazu haben wir eine Exkursion in das zu planende Gelände gemacht, konnten in der Gruppe diskutieren und uns eine Trasse überlegen, haben diese berechnet und dann im Computer dargestellt und zuletzt unsere Ergebnisse präsentiert. In Polen muss man meist nur irgendetwas berechnen und dann in AutoCAD zeichnen. Insgesamt haben wir aber in Polen, glaube ich, mehr Projekte; uns bleibt dort keine Zeit mehr, um beispielsweise nebenbei zu arbeiten wie das hier viele Studenten tun.
Bologna-Prozess
29 europäische Bildungsminister manifestierten 1999 in der Bologna-Deklaration ihre Absicht, in allen EU-Ländern
- ein System leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse und
- ein zweistufiges System von Studienabschlüssen (undergraduate/graduate) zu schaffen,
- ein Leistungspunkte-
system (nach dem ECTS-Modell) einzuführen, - die Mobilität durch Beseitigung von Mobilitätshemmnissen und
- die europäische Zusammenarbeit im Bereich der Qualitätssicherung sowie
- die europäische Dimension in der Hochschulausbildung zu fördern
(Quelle: www.bmbf.de)
sg: Wenn Projekte hier soviel mehr umfassen – sind die Anforderungen an die Studierenden in Deutschland höher?
M.+W.: Das können wir schlecht beurteilen. Wir finden es nicht gut, dass es hier keine Klausuren während des Semesters gibt. Wir finden, dass man dadurch nicht so viel lernt. Prüfungen haben wir bisher noch nicht gehabt, die kommen erst noch. Auch die Organisation ist eigenartig. Der Prüfungszeitraum erstreckt sich fast über die gesamten Ferien, aber wenn man Pech hat, hat man dann zwei Prüfungen an einem Tag.
In Polen sind alle Prüfungen in einer sehr kurzen Zeit, aber man hat meistens einen Tag zwischen den Prüfungen frei. Außerdem bleibt in Polen nach den Prüfungen viel freie Zeit für Praktika, Urlaub oder Ferienjobs. Im Sommer haben wir zwei Monate frei!
sg: Deutschland ist berühmt für seine Bürokratie. Wurdet Ihr dabei unterstützt, Euch in Braunschweig und im Studium zurecht zu finden?
M.+W.: Im Internet gibt es eine tolle Seite von einem polnischen Studenten, der bereits in Braunschweig studiert hat. Außerdem gibt es hier das International Office, das sich um ausländische Studierende kümmert. Gerade zu Semesteranfang gab es dort viele Veranstaltungen. Dadurch haben wir auch schnell viele ausländische Studierende kennen gelernt.
sg: Habt Ihr auch Kontakt zu Deutschen?
M.+W.: Das ist lustig. Durch die Veranstaltungen und vor allem auch im Wohnheim haben wir zunächst nur Studenten aus aller Welt kennen gelernt und im Studium dann erst deutsche Studierende. Mit denen treffen wir uns häufig, um etwas zu trinken oder zu erzählen.
sg: Das Studium in Deutschland befindet sich gerade im Umbruch. Aufgrund des Bologna-Prozesses werden in den nächsten Jahren die Diplom-Studiengänge durch das Bachelor-/Master-System ersetzt. Inwieweit seit Ihr auch in Polen davon betroffen?
M.+W.: Wir haben bereits ein ähnliches System. Für das Bauingenieurwesen bedeutet das beispielsweise, dass man entweder in drei Jahren Ingenieur werden kann oder nach fünf Jahren Magister Ingenieur. Wenn man Magister werden will wie wir, dann ist das Studium wissenschaftlicher. Man hat beispielsweise mehr Mathematik und Grundlagen wie Vermessungskunde. Aber arbeiten kann man als Ingenieur auch schon.

sg: Um zum Abschluss des Gesprächs noch mal auf das Eisenbahnwesen zurückzukommen. Nachdem es Euch hier so gut gefallen hat, wollt ihr das Fach dann auch in Polen weiter vertiefen?
M.+W.: Eher nicht. Wir müssen uns für ein Vertiefungsfach entscheiden, das ist nicht einfach. Polen braucht neue Eisenbahnlinien und die bestehenden müssen ausgebaut werden. Aber wann das kommt… Ganz wichtig für Polen sind auch Autobahnen. Diese werden wohl in den kommenden Jahren gebaut werden. Deshalb denken wir, dass dort die Arbeitsmarktchancen besser sind. Deshalb werden wir wohl Straßenwesen vertiefen.
sg: Vielen Dank für das Gespräch und noch viel Erfolg beim Studium!
Links zum Thema
- Technische Universität in Danzig
- Technische Universität Braunschweig
- Informationen des DAAD zu Polen
- Universität Danzig: Informationen für ausländische Studierende an der Universität Danzig sowie zur Umsetzung des Bologna-Prozesses an der Danziger Universität
Zur Person
Birgit Milius ist Redakteurin von sciencegarden.
