Gentherapie zwischen Hoffen und Bangen
Es schien wie ein echter Durchbruch. Erstmals sei es einem Forscherteam gelungen, Erwachsene mit Hilfe von Gentherapie erfolgreich zu behandeln, jubilierte am 2. April das Fachmagazin Nature Medicine in seiner Online-Ausgabe.
Forscher von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt hatten zwei junge Männer im Alter von 25 und 26 Jahren behandelt, bei denen bereits im frühen Kindesalter die Septische Granulomatose (englisch: chronic granulomatous disease = CGD) diagnostiziert wurde.
Gentherapie:
Medizinische Methode, um einen Gendefekt auszugleichen. Dafür wird das intakte Gen in Zellen eingeschleust. In Deutschland erlaubt ist die ‚Somatische Gentherapie‘, sie beschränkt sich auf Körperzellen (somatische Zellen), deren Erbgut nicht an folgende Generationen weitergegeben werden kann. Dem kranken Menschen werden Stammzellen entnommen und mit Hilfe einer Genfähre mit einer gesunden Kopie des Gens ausgestattet. Danach werden sie dem Patienten wieder in den Blutkreislauf zurückgegeben.
Dabei handelt es sich um einen angeborenen Gendefekt, der die Immunabwehr stark schwächt. Bereits ab den ersten Lebensmonaten leiden die Betroffenen unter ständigen Pilz- und Bakterieninfektionen. Diese führen zu Schädigungen von Leber, Lunge, Herz und Rückenmark, Abszessen und eitrigen Lymphknotenentzündungen.
Der Körper versucht, die mangelhaft abgetöteten Erreger abzukapseln. Häufig bilden sich dabei Gewebsknoten (Granulome), ohne dass eine Infektion vorliegt. Die Granulome engen Speiseröhre, Magen, Darm oder die Harnröhre ein und verursachen Schluckbeschwerden, Übelkeit, Darmverschluss oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen. Viele Betroffene sind durch die Krankheit kleinwüchsig und untergewichtig. Ein normaler Schulbesuch ist für sie oft nicht möglich. Zudem werden die Erkrankten meist nicht älter als 25 Jahre.
Die einzige Rettung war bisher eine Knochenmark-Transplantation. Wird nach meist schwieriger Suche endlich ein passender Spender gefunden, sterben allerdings immer noch 15 Prozent der Kinder und 25 bis 50 Prozent der Erwachsenen an den Folgen des massiven Eingriffs. Denn eine Knochenmark-Transplantation geht mit aggressiver Chemotherapie einher. Das Immunsystem fällt dadurch über Monate praktisch aus. Die ohnehin geschwächten Patienten müssen deshalb in absolut keimfreier Umgebung (Isolierstation) behandelt werden.
„Wir brauchten dringend andere Therapien für Patienten, die keinen perfekten Spender haben“, beschreibt Prof. Dr. Seger vom Universitätskinderspital Zürich die Lage.

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So begann im Frühjahr 2004 ein binationales 27köpfiges Forscherteam unter der Koordination von Prof. Dr. Dieter Hoelzer und Dr. Marion Ott von der Uniklinik Frankfurt mit einer neuartigen Therapieform. Die Mediziner entnahmen den beiden jungen Patienten Blutstammzellen aus dem Knochenmark, reicherten sie im Labor an und stimulierten sie für die Aufnahme eines gesunden Ersatzgens.
Danach schleusten sie eine funktionsfähige Kopie des defekten Gens in das Erbgut der Stammzellen ein. Kurze Zeit später transplantierten sie den Patienten die ‚reparierten‘ Zellen zurück. Um Platz für diese zu schaffen, töteten sie vorher zahlreiche kranke Stammzellen im Körper durch eine niedrig dosierte Chemotherapie ab.
Das Experiment verlief erfolgreich: Die veränderten Blutzellen nisteten sich sofort wieder im Knochenmark der Patienten ein und bildeten gesunde Immunzellen. Daraufhin gingen die lebensbedrohlichen Infektionen teilweise oder vollständig zurück und die vorher schwer kranken Patienten konnten das Krankenhaus verlassen.
Genfähren:
Genfähren (wissenschaftlich: Vektoren) sind Transportmittel, wie zum Beispiel Viren, mit deren Hilfe therapeutische Gene in kranke Zellen übertragen werden können. Dafür wird die Erbinformation der Viren entfernt und durch die therapeutische Information ersetzt. Bei der Somatischen Gentherapie zur Behandlung der Septischen Granulomatose wurden Maus-Retroviren benutzt. Sie sind darauf spezialisiert, ihre Erbinformation in fremde Zellen einzuschleusen.
Nach diesem durchschlagenden Erfolg behandelten die Ärzte sechs Monate später ein ebenfalls an CGD erkranktes Kind. Der Fünfjährige lebte nach einem therapieresistenten Pilzbefall nur noch mit einem Lungenflügel. Zudem war die Pilzinfektion bis zum Rückenmark durchgedrungen und der Junge seitdem querschnittsgelähmt. Um aus dem Fenster zu schauen, musste er an ein Brett geschnallt in aufrechte Position gebracht werden.
„Das Kind wäre wahrscheinlich gestorben“, so der behandelnde Arzt vom Universitätskinderspital Zürich, Prof. Dr. Reinhard Seger. Doch mit der neuen Therapie konnten die Ärzte den Jungen retten. Mehr noch: „Wir waren sehr überrascht und beeindruckt, dass der Junge nach sechs Monaten schon wieder Dreirad fahren konnte.“ Inzwischen ist die Infektion sogar so weit abgeklungen, dass er wieder selbständig gehen kann.
Trotz dieser guten Aussichten gibt es Nebenwirkungen. Knackpunkt sind die eingesetzten Genfähren, mit deren Hilfe die behandelten Gene ins Erbgut eingeschleust werden. Sie bestehen aus abgewandelten Maus-Retroviren, die Krebsgene aktivieren und Blutkrebs verursachen können.
Drei von 18 Kindern mit dem angeborenen Immundefekt SCID (severe combined immunodeficiency), die in Paris und London eine Gentherapie erhielten, erkrankten daran. Das Therapieverfahren wurde deshalb im Jahr 2002 abgebrochen.
Aus demselben Grund stoppte die Bundesärztekammer auch die Frankfurter Studie und genehmigte sie erst im April 2003 wieder neu. Sie darf jetzt nur noch bei Menschen angewandt werden, für die es keine Behandlungsalternativen gibt und die sich mit den möglichen Risiken der Therapie einverstanden erklären.
Den nahen Tod vor Augen, waren die beiden Frankfurter Patienten offensichtlich zu diesem Risiko bereit.
Auch bei ihnen stieg die Zahl der manipulierten Stammzellen 150 Tage nach der Infusion außergewöhnlich stark an. In ihren Blutzellen fand Prof. Dr. Christof von Kalle vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg keine Anzeichen für Blutkrebs. Dennoch sind die Risiken nicht zu unterschätzen.
Suizid-Gene:
‚Selbstmord-Gene‘ sollen verhindern, dass bei der Gentherapie als Nebenwirkung Krebs entsteht. Durch den Einsatz von Genfähren könnten unbeabsichtigt Tumorzellen im Körper des Patienten aktiviert werden. Suizid-Gene bringen diese Krebszellen dazu, sich selbst zu zerstören. Wenn das Suizid-Gen in eine Zelle eingeschleust wurde, kann es nach Einnahme spezieller Substanzen wie auf Knopfdruck reagieren.
Nur fünf Tage nach der Veröffentlichung des vermeintlichen Therapieerfolgs in Nature Medicine kam dann auch die Hiobsbotschaft: Einer der beiden Patienten starb in der Universitätsklinik Düsseldorf nach einem Multiorganversagen und Darmdurchbruch.
„Das war ein Schock für uns alle!“, betont der Vorsitzende der Kommission Somatische Gentherapie bei der deutschen Bundesärztekammer, Prof. Dr. Klaus Cichutek.
Dennoch sieht er bisher keinen Hinweis darauf, dass der junge Mann an unerwünschten Effekten der Gentherapie gestorben ist. Es sei ebenso möglich, dass er den Langzeitfolgen seiner Grunderkrankung erlegen sei, so Cichutek.
Zur näheren Klärung der Todesumstände will man nun Gewebeproben untersuchen, die bei der Autopsie entnommen wurden. Zudem beabsichtigt Christof Kalle in Heidelberg erneut die Erbsubstanz der behandelten Zellen daraufhin überprüfen, ob sie ein bösartiges Zellenwachstum ausgelöst haben könnten.
In Zukunft soll eine neue Genfähre, die nur noch ausgereifte Blutzellen beeinflusst, das Krebsrisiko minimieren. Zudem könnten so genannte ‚Suizid-Gene‘ potentielle Krebszellen so verändern, dass sie sich selbst zerstören. Dazu werden Gene übertragen, die im Erbgut des Menschen nicht vorkommen und den Stoffwechsel von Krebszellen so beeinflussen, dass sie daran zugrunde gehen.
Im Frankfurter Forschungsinstitut wird bereits fieberhaft an dieser Entwicklung gearbeitet. Dr. Manuel Grez, der mit seiner Arbeitsgruppe am Chemotherapeutischen Forschungsinstitut Georg-Speyer-Haus in Frankfurt schon seit zehn Jahren über Gentherapie forscht, ist zuversichtlich: „Unsere Hoffnung ist, dass wir in eineinhalb bis zwei Jahren soweit sind, die verbesserten Genfähren nutzen zu können.“
In diesem Fall könnten die Mediziner die Therapie auf andere Erbkrankheiten ausweiten.
Die Frankfurter Studie wurde vorerst zwar unterbrochen, bis weitere Erkenntnisse vorliegen. Ein Hoffnungsschimmer aber bleibt für Projektkoordinator Dieter Hoelzer und sein Team dennoch. Denn dem zweiten Erwachsenen geht es nach wie vor so gut, dass er bereits eine 60 Kilometer lange Radtour unternehmen konnte.
Lesen Sie hier weiter:
- „Die Gentherapie wird langfristig erfolgreich sein“
Interview mit Prof. Christopher Baum, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie - „Grundsätzlich der falsche Ansatz“
Interview mit Monika Feuerlein vom Gen-ethischen Informationsdienst
Links zum Thema
- Das Georg-Speyer-Haus widmet sich der Forschung zur Somatischen Gentherapie
- Kommission Somatische Gentherapie bei der Bundesärztekammer
Zur Person
Jasmine Kuna (37) studiert im 4. Semester Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt;
Zeynep Dönmez (21), ebenfalls im 4. Semester an der Hochschule Darmstadt eingeschrieben, ist für den Inhalt der Infokästen verantwortlich.
