„Grundsätzlich der falsche Ansatz“
sg: Wie beurteilen Sie die Gentherapie? Muss man sie aus ethischen Gründen verwerfen?
Monika Feuerlein ist Redakteurin beim Gen- ethischen Informationsdienst, der Zeitschrift des Gen-ethischen Netzwerks in Berlin. Die 32-Jährige arbeitet dort seit drei Jahren und ist verantwortlich für den Bereich Mensch und Medizin.
MF: Ich würde zu Vorsicht mahnen und sagen, dass Gentherapie viel zu hoch gehängt wird. Grundsätzlich ist sie der falsche Ansatz. Es gibt nur sehr wenige Krankheiten, für die sie Erfolg versprechend sein könnte.
Zwar gab es Tierversuche, die in kurzen Phasen Erfolge erzielt haben. Aber die waren immer sehr kurzfristig, dauerten also nicht lang genug, um mögliche Spätfolgen abzuschätzen. Und dann bleibt immer noch die Frage, ob diese Versuche überhaupt auf den Menschen übertragbar sind. Das ist ja meistens nicht der Fall. Und es besteht immer noch ein großes Risiko, die Versuche am Menschen anzuwenden.
Also, ich stehe dem Ganzen sehr skeptisch gegenüber. Durch den kommerziellen Druck ist man viel zu schnell in die klinische Anwendung gegangen. Und das ist ein großes Problem.
sg: Wo genau liegen für Sie die Risiken der Methode?
MF: Das ursprüngliche Konzept der Gentherapie, man könne ein krankes Gen durch ein gesundes ersetzen, gilt inzwischen als veraltet.
Man hat festgestellt, dass das Zusammenspiel von Genen und Zellen sehr viel komplizierter ist, als ursprünglich angenommen. Von wenigen, sehr seltenen Krankheiten abgesehen, ist es unmöglich, Krankheiten auf bestimmte einzelne Gene zurückzuführen oder auf einen bestimmten DNA- Abschnitt.
Daher funktioniert es nicht, einen ‚defekten‘ Genabschnitt durch einen intakten zu ersetzen – und dann ist der Patient geheilt. Es ist außerdem sehr schwierig, DNA-Stücke exakt an einen bestimmten Zielort einzufügen und gleichzeitig dabei zu verhindern, dass sonstige Veränderungen auf der DNA entstehen.
Ganz zu schweigen davon, dass es schier unmöglich ist, diese unbeabsichtigt ausgelösten Mutationen oder die Veränderung des Status von Genen im Blick zu behalten.
sg: Könnten Sie Beispiele für problematische Veränderungen durch die Gentherapie nennen?
MF: Es gibt unter anderem ein sehr hohes Krebsrisiko, bedingt dadurch, dass beim Gentransfer bestimmte Gene aktiviert werden können, die entweder krebsauslösend sind oder Gene deaktiviert werden, die normalerweise die unkontrollierte, tumor- bildende Zellwucherung verhindern.
Die krebsauslösende Wirkung kann teilweise an den Genen selbst, aber auch an den Viren liegen, die als Genfähren benutzt werden. Es gab beide Fälle. Ansonsten ist die Forschung noch nicht so weit, um sagen zu können, was sonst noch alles ausgelöst werden kann.
Oft sind auch Komplikationen entstanden, bei denen man noch nicht genau weiß, ob diese jetzt genau mit der Gentherapie zusammenhängen, mit der Krankheit selbst oder an anderen Komplikationen. Es liegt also auf der Hand, dass es ein sehr riskantes Verfahren ist, bei denen Nebenwirkungen erst im Menschenversuch abgeklärt werden können. Aber selbst wenn man an drei Leuten so ein Experiment durchgeführt hat, und es dreimal gut gegangen ist, heißt das nicht automatisch, dass es beim nächsten Menschen wieder gleich gut funktionieren wird. Dabei besteht ein hohes Risiko, dass der Versuch, wenn er nicht wie geplant verläuft, für den Probanden möglicherweise tödlich enden wird.
sg: Wie beurteilen Sie das Verhalten der Frankfurter Ärzte, die zum Zeitpunkt, als die Pressekonferenz gehalten wurde, schon wussten, dass einer der beiden Patienten wieder erkrankt und im Krankenhaus war, jedoch nichts davon auf der Pressekonferenz erwähnten?
MF: Es gibt ja sehr wenige Informationen über den ganzen Fall. Aber es ist ganz klar, dass das Verhalten gegen den Kodex verstößt und dass es dagegen Sanktionen geben muss. Es ist absolut nicht einwandfrei, der Öffentlichkeit gezielte Falschinformation vorzulegen. Das geht natürlich nicht.
sg: Sollte man die Gentherapie nur an todkranken Menschen testen, quasi als letzte Möglichkeit?
MF: Die Frage ist: Wer hat wann die Informationen, dass dieser Mensch schon austherapiert ist? Das ist eines der ethischen Probleme dabei. Das ist aber ein grundsätzliches Problem, mit dem Ärzte, die todkranke Menschen behandeln, immer wieder konfrontiert werden.
Dabei geht es im Fall der Gentherapie um besonders heikle Entscheidungen, da es sich nicht um eine etablierte Therapieform handelt. Es wird ein Experiment durchführt, das nicht nur im Interesse des Patienten ist, sondern auch im Interesse der Forschung. Doch es gibt nie eine Garantie dafür, dass das funktionieren wird. So sollte es auch in der Öffentlichkeit dargestellt werden.
sg: Abgesehen davon. Darf man mit derart fundamentalen gentherapeutischen Maßnahmen in die menschliche Natur eingreifen?
MF: Das Argument mit einer Gott gegebenen, wesenseigenen Natur des Menschen ist höchst fragwürdig. An welcher Norm soll diese denn gemessen werden – wo fängt Veränderung an, wo wird sie toleriert, wo nicht? So etwas wie DIE Natur des Menschen gibt es meiner Ansicht nach nicht. Die ethisch viel wichtigeren Fragen sind aber: Welches Bild wollen wir von unserem Körper und vom Menschen haben? Und wer profitiert von diesem Bild?
Da hantiert die Gentechnologie, finde ich, grundsätzlich mit einem sehr mechanistischen Bild vom menschlichen Organismus. Mit der Vorstellung, man könnte alles reparieren und austauschen, und dann funktioniert wieder alles. Dieses Bild wird teilweise durch die Medien so vermittelt. Und das finde ich zu einseitig. Ich denke, es funktioniert bei manchen Krankheiten, manchen Problemen. Aber eben bei den wenigsten. Daher müsste die Forschung an Alternativen gefördert werden.
sg: Wie sähe so eine Alternative aus?
MF: Ich bin keine Medizinerin. Aber ich denke, es geht auch darum, die Patienten genauer zu fragen, was ihnen im Alltag beispielsweise hilft. Das sind teilweise gar nicht so sehr Medikamente, sondern ein bestimmtes Training, womit die Leute ihren Alltag besser bewältigen können.
Diese Frage müsste man also eher an Betroffenenverbände und Mediziner richten.
sg: Wie sehen Sie die Zukunft der Gentherapie?
MF: Ich würde sagen, dass die Gentherapie, wenn überhaupt, keine breite Anwendung finden wird. Und dass sie immer als ultima ratio eingesetzt werden wird, weil sie der falsche Ansatz ist und noch dazu riskant ist. Für die allermeisten Krankheiten, mit denen wir konfrontiert sind, wird sie keine Lösung sein.
Links zum Thema
- Das Gen-ethische Netzwerk
Zur Person
Ulrike Rosenberg studiert im 4. Semester Onlinejournalismus an der Hochschule Darmstadt.
