Forschen in der Mittagspause: Die australische Hoschullandschaft
Australien im November 2006: Der Sommer naht, die Sonne scheint, und trotzdem ist in der Unibibliothek der University of New South Wales (UNSW) kein einziger Stuhl mehr frei. Semesterendspurt, Klausurenzeit.
Trotzdem gehen viele Australier eher lässig an die Sache heran. Große Zukunftssorgen oder Angst vor Arbeitslosigkeit scheinen sie nicht zu haben. Kein Wunder: In den Zeitungen liest man nur, wie viele tausend Arbeitskräfte im Land gerade fehlen. Praktika werden in den Semesterferien deshalb auch nur dann gemacht, wenn es gerade keinen Job gibt, der etwas mehr Geld einbringt. Rosige Aussichten für Uni-Absolventen – zur Zeit zumindest.
Und noch ein Unterschied zu Deutschland fällt auf: Dort macht man sich gerade Gedanken, wie viele Bachelor-Studierende nach ihrem Abschluss noch weiter studieren dürfen. Hier werden die Studenten meist darum gebeten, noch ein bisschen länger an der Uni zu bleiben.

Doch viele wollen (und können) sofort gutes Geld verdienen und ziehen dafür dann auch mal bei ihren Eltern aus. Denn der Australier im Allgemeinen wohnt während des Studiums, wenn möglich, in seiner Heimatstadt und nimmt dafür schon mal einen Anfahrtsweg zur Universität von bis zu zwei Stunden in Kauf.
Was auf den ersten Blick unselbständig klingt, erklärt sich durch das Alter der Studierenden: In Australien beginnt man das Studium im Alter von 17 bis 18 Jahren und ist dann meist mit 21 oder 22 fertig. Austauschstudenten aus Deutschland kommen sich da nicht selten ziemlich alt vor...
Dafür erinnert das Bachelorstudium dann aber auch eher an die Schule als an ein deutsches Grundstudium. Vorlesungen mit Anwesenheitspflicht, das bedeutet für viele entweder Kartenspielen oder gleich schwänzen. Wer für die Klausuren schön auswendig lernt, der hat sogar „richtige“ Sommerferien. Das Studium in der Regelstudienzeit zu beenden, ist da kein Kunststück.
Im Gegensatz zum künftigen deutschen Bachelor gibt es in Australien noch dazu keine Abschlussarbeit, nicht einmal Prüfungen. Es genügt völlig, alle notwendigen Scheine zu machen – das war’s. Wer im Anschluss doch noch akademisch arbeiten will, macht den Bachelor Honours, ein einjähriges Programm, das mit einer Arbeit abgeschlossen wird, die einer deutschen Diplom- oder Magisterarbeit ähnlich ist.
Trotzdem sind nicht alle mit dem komfortablen Studiensystem zufrieden: Norma Cardullo aus Italien beispielsweise, die im Rahmen ihres Master-Programms in Jura sechs Monate in Sydney verbringt. Sie ist an der University of New South Wales, weil eine Freundin ihr den Tipp gab. Außerdem sprach die gute Ranking-Positionen der Uni für ein Auslandssemester in Australien. Und die Studiengebühren sind in etwa so hoch wie an der privaten Bocconi-Universität in Mailand.
Die Kurse aber seien schlechter, sagt Cardullo. „Sie lassen uns mit allem allein“. In der Jura-Fakultät sind viele Dozenten nicht aus Australien, sondern aus dem Ausland, in Normas Fall aus Kanada und der Schweiz. Zudem gab es keine Vorbereitung in Italien, nicht einmal ein Sprachnachweis wurde von Cardullo verlangt.

Doch die UNSW bemüht sich sehr um eine gute Arbeitsatmosphäre für Studierenden und insbesondere für „Postgrads“, die der Wissenschaft treu bleiben. Die zusätzlichen Geldmittel durch Studiengebühren sind deutlich spürbar: Computerräume haben 24 Stunden geöffnet, es gibt eine Lounge mit Küche, gratis Tee und Kaffee, Ping-Pong und Billardtisch, Brettspiele und einen „Women’s room“.
All dies soll der Überarbeitung vorbeugen. „Eines der wichtigsten Aspekte der Postgrad-Studien ist die Fähigkeit zu wissen, wann man eine Pause einlegen sollte (häufig)“ klärt das Handbuch für Postgraduierte auf. Ein Workshop für Studenten, die gerade ihre Abschlussarbeit schreiben, verspricht Hilfe unter dem Titel „managing stress and your life“.
Auch für Studierende mit Kindern ist bestens gesorgt, von 8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends wird Kinderbetreuung organisiert, und zwar für Kinder ab dem Alter von sechs Wochen bis zur Schulreife. Solche Angebote helfen ungemein bei der Vereinbarung von Forschung und Familie. Davon profitierte auch Dr. Grace Karskens, Senior Lecturer in ,Australian History and Public History‘ und selbst Mutter von drei Kindern.
Die typische Hochschulkarriere führt nach dem Postgrad-Abschluss erst einmal für ein paar Jahre in die freie Arbeitswelt. Grace Karskens arbeitete 4 Jahre lang für den National Trust of Australia. Historiker zu sein ist ein Beruf, der Chancen auch jenseits der Universitätsmauern bietet, davon ist Karskens überzeugt. Zumal die Hürden für einen Job an der Universität wachsen, da immer mehr Akademiker um die immer weniger werdenden akademischen Arbeitsplätze kämpfen. „Um einen Job an der Uni zu bekommen, muss man ein Buch hinter sich haben“, sagt Karskens. Deshalb gilt es schon bei der Auswahl des Themas für die Abschlussarbeit, der so genannten Thesis, auf dessen Markttauglichkeit zu achten. Und nicht wenige Nachwuchsforscher müssen noch einem Nebenjob haben, um die eigene Familie ernähren zu können.
So wie Dr. Matt Fitzpatrick. Er studierte zunächst in Sydney, verbrachte dann ein Auslandsjahr in Münster und veröffentlichte seine Doktorarbeit über den deutschen Liberalismus im vergangenen Jahr. In einem Monat geht er nach Adelaide, wo er an der dortigen Universität einen Lehrauftrag für ‚Globalization and Imperialism‘ annimmt.
Rückblickend auf sein Studium in Deutschland beeindruckt ihn vor allem die Freiheit, die die Studierenden dort genießen. „In Deutschland müssen die Studenten sehr eigenverantwortlich handeln“. Absolutely amazing sei es, dass deutsche Studenten ein ganzes Semester lang einen Kurs besuchen können, ohne einen Schein zu machen. Denn im Gegensatz zu Deutschland kann man in Australien nicht einfach ein Seminar belegen und dann später entscheiden, ob man auch die Hausarbeit dazu schreibt. Wer sich nach einer gewissen Frist nicht wieder abgemeldet hat und den Kurs nicht beendet, muss mit empfindlichen Strafgebühren rechnen.

Foto: Colin Bonner
Anders als in Deutschland gibt es „down under“ auch so gut wie gar keine reinen Geisteswissenschaftler. Wer ein geisteswissenschaftliches Fach studieren will, macht einen ‚Double Degree‘ und studiert noch ein Fach dazu, dass ein gesichertes Einkommen verspricht. Kombinationen wie Chemie und Kunstgeschichte oder Soziologie und Maschinenbau sind deshalb nicht selten. Den Bachelor erhält man nach fünf statt nach drei Jahren. Doch auch wenn Double-Degree-Studierenden klagen, dass ihre Kommilitonen schneller vorankommen und sie deshalb immer neue Gesichter in ihren Kursen sehen – die Vorteile des Doppelstudiums sind erheblich: „In Politik zum Beispiel lernt man Denken“ meint Erin, die ansonsten noch Finanzwesen studiert.
Jessie Christiansen wollte eigentlich Kampfpilotin werden, startete dann aber ein Biotechnologiestudium und landete schließlich beim Bachelor of Science in Physics and Mathematics. Für ihr Postgrad-Studium wählte sie den Bereich, der sie am meisten interessierte: Astrophysik. Ein kleiner, aber feiner Studiengang. Alle Kommilitonen, die den Bachelor Honours absolvierten, begannen danach mit der Promotion. Der Konkurrenzkampf ist allerdings sehr groß. „Man muss bereit sein, für ein paar Jahre ins Ausland zu gehen und letztendlich auf eine Gelegenheit zu warten, zurück nach Australien zu kommen“, sagt Jesse.
Für die finanzielle Unterstützung während der Promotion ist zum Glück gesorgt: Christiansen erhielt den Australian Postgraduate Award, ein Stipendienprogramm der Regierung, und zusätzlich noch einen Platz im Postgraduate Assistantship Program der Universiät. Nun kann sie selbst ein paar Seminare veranstalten und damit Geld verdienen.
Man merkt nicht nur den Studierenden, sondern dem australischen Hochschulsystem als solchem an, dass auf dem Kontinent deutlich ökonomischer gedacht wird als an den deutschen Behördenuniversitäten. Studierende als Kunden, diese Einstellung ist hier schon lange gang und gäbe, vor allem seitdem in Australien nach der Einführung allgemeiner Studiengebühren die staatlichen Zuschüsse immer weiter zurückgefahren wurden, während die Studiengebühren stiegen.
Davon, dass der Wettbewerb um die klügsten Köpfe zukünftig global ausgetragen wird, ist man hier überzeugt. Im kommenden Jahr eröffnet die Uni deshalb sogar eine Tochteruniversität in Singapur, die UNSW Asia.
Links zum Thema
- Homepage der UNSW
- Studieren und Forschen in Australien
- Seite des DAAD zu studieren und forschen in Australien
Zur Person
Carl-Leo von Hohenthal studierte bislang Geschichte und Politik in Berlin und Freiburg und ist seit Februar 2006 in Sydney.
Literatur
- Patrick O’Farrell (1999): UNSW a Portrait. University of New South Wales 1949-1999. Sydney
- Peter Hachenberg (2003): Studienführer Australien, Neuseeland. Bielefeld
- Dirk Neuhaus (2004): Arbeiten und studieren in Australien. Bochum
