Juni/Juli 2007

Wege aus der Klimakrise

„Stabilisierungsdreieck“Wenn es um unser zukünftiges Weltklima geht, so hat jeder schnell ein paar Ratschläge parat. Das Ergebnis ist ein Wirrwarr unterschliedlichster Vorschläge – für Politiker wie Privatpersonen unüberschaubar. Dabei wäre alles so einfach.

Brauchen wir neue, revolutionäre Technologien, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten? Die wildesten Ideen kursieren momentan in der technologischen Literatur – von der künstlichen Photosynthese, bis hin zur Installation riesiger Sonnenkollektoren im Weltall.

Steve Pacala

Steve Pacala: Genialer Kopf und Mathematiker an der Universität Princeton.
© Princeton University

Steve Pacala ist da anderer Meinung. Bereits mit gegenwärtig existierenden Technologien sei es möglich, die Erderwärmung stoppen, schreibt er in einem Artikel im Spektrum-Sonderheft "Energie und Klima" vom 20. April 2007.

Man mag ihn auf den ersten Blick für arrogant halten – doch Pacala zählt gegenwärtig zu den einflussreichsten Ökologen der Welt. Im Mai und Juli 2006 gab es zum Beispiel sowohl auf dem amerikanischen „Discovery Channel“, als auch in der britischen BBC Interviews mit ihm, in denen er seine Ideen zur Lösung der Klimakrise vorstellte. Im selben Jahr wurde Pacala auch zum Direktor des Instituts für Umweltforschung an der renommierten Princeton-Universität in Amerika ernannt.

Kernstück der von ihm vorgeschlagenen Strategie sind 15 verschiedene Optionen, mit denen sich innerhalb der nächsten 50 Jahre der globale Anstieg der Kohlendioxidkonzentration auf ein konstantes Niveau reduzieren ließe. Insgesamt sieben der 15 Vorschläge Pacalas müsste man dabei vollständig in die Tat umsetzen – ein schwieriges, aber nicht unbedingt unmögliches Unterfangen. Denn: Man hätte für die Umsetzung ja insgesamt fünfzig Jahre Zeit.

Wo also in der gegenwärtigen Debatte häufig Schwarzweißdenken vorherrscht – nach dem Motto „Windenergie oder Kernkraft“ – ermöglichen Pacalas 15 Optionen einen weitaus differenzierteren Blick. Wir listen alle 15 Vorschläge auf.

Grafik

Das von Pacala & Socolow vorgeschlagene Szenario.
© Princeton University
» vergrößern

Option 1: Verbesserung des Benzinverbrauchs von Fahrzeugen. Nimmt man an, dass es im Jahre 2054 etwa zwei Milliarden Autos auf der Welt geben wird (momentan gibt es etwa eine Milliarde), welche pro Jahr im Schnitt 16.000 Kilometer fahren, so müsste man den Benzinverbrauch von derzeit acht auf ungefähr vier Liter pro 100 km reduzieren.

Option 2: Verringerung der Gesamtfahrtstrecke von Autos. Anstatt den Benzinverbrauch auf vier Liter pro 100 km zu senken, könnte man die Gesamtfahrstrecke von 16.000 auf 8.000 Kilometer pro Jahr reduzieren. Dies könnte zum Beispiel durch gezielte Förderung öffentlicher Verkehrsmittel, oder durch Erhöhung der durchschnittlichen Insassenzahl pro Fahrzeug erfolgen.

Option 3: Energiesparendes Bauen. Hierzu gehören insbesondere die Beheizung von Wohnräumen, die Brauchwasserbereitung, Beleuchtung, Kühlgeräte sowie der Betrieb von Klimaanlagen. Durch geeignete Effizienzsteigerung in diesen Bereichen könnte man ein Viertel der globalen Kohlenstoff-Emissionen einsparen. Zugleich liegt die Hälfte des Einsparungspotentials in Entwicklungsländern.

Option 4: Modernisierung bestehender Kraftwerke. Der Wirkungsgrad eines durchschnittlichen Kohlekraftwerks müsste von 40% auf 60% angehoben werden, um die globalen Klimaziele zu erreichen. Auf diese Weise könnte mit bestehenden Kohlekraftwerken die doppelte Menge an Elektrizität gewonnen werden.

Option 5: Erdgas statt Kohle. Moderne Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1400 Gigawatt müssten durch Erdgaskraftwerke ersetzt werden. Hierbei müssten allerdings die Kohlekraftwerke einen Wirkungsgrad von 50% aufweisen. Dies entspräche einer Vervierfachung der heute aus Erdgas gewonnenen elektrischen Energie.

Stabilisierung des globalen CO2-Gehalts
In vorindustrieller Zeit lag der CO2-Gehalt der Atmosphäre bei etwa 180 ppm (parts per million). Derzeit hat man sich weltweit auf einen Zielwert von 500 ppm CO2 geeinigt. Um diesen Wert konstant zu halten, dürften die globalen Emissionen pro Jahr nur noch 7 Millionen Tonnen (Gigatonnen) CO2 entsprechen. Jede der insgesamt 15 von Pacala & Socolow vorgestellten „Optionen“ würde einer Tonne eingesparten Kohlenstoffdioxids entsprechen.

Option 6: Kohlenstoffspeicherung. Durch einen als Kohlenstoffdioxid-Rückhalt bezeichneten Prozess könnte man etwa 90 Prozent der Kohlenstoffdioxid-Emissionen aus Kraftwerken vermeiden. Der Kohlenstoff wird hierbei vor Erreichen der Atmosphäre gebunden. Im Gegenzug könnte man aus Kohle Wasserstoff gewinnen, der für Verbrennungsprozesse zur Verfügung stünde. Man müsste Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 800 Gigawatt mit derartigen Kohlenstoffspeicher-Einrichtungen versehen, um die weltweiten Klimaschutzziele zu erreichen. Das gespeicherte CO2 müsste dann in unterirdischen Reservoirs dauerhaft deponiert werden. Dies erfolgt heute bereits in einem Umfang von ca. 0,01 Gigatonnen CO2 pro Jahr – wohingegen man ungefähr den hundertfachen Aufwand betreiben müsste, um damit zu einer nennenswerten Verbesserung des Weltklimas beizutragen.

Option 7: Wasserstoff-Wirtschaft. Den aus Kohle gewonnenen Wasserstoff könnte man in Verbrennungsmotoren einsetzen, um Kraftfahrzeuge aller Art damit zu betreiben. Dies würde erfordern, dass ungefähr 250-500 Megatonnen Wasserstoff pro Jahr erzeugt werden müssten. Würde man den Wasserstoff beispielsweise in Erdgaskraftwerken erzeugen wollen, so müsste man die heute existierenden Produktionskapazitäten ungefähr um das Sechsfache steigern.

Option 8: Speicherung von Kohlenstoff aus Kohleverflüssigung. Nimmt man an, dass ungefähr die Hälfte des in der Kohle enthaltenen Kohlenstoffs tatsächlich in flüssigem Treibstoff wieder auftaucht, so müsste man es irgendwie schaffen, den übrigen Kohlenstoff durch Speicherung festzulegen. Derzeit befindet sich die weltweit größte Kohleverflüssigungs-Anlage in der Provinz Mpumalanga in Nordosten Südafrikas (Sasol 1, 2 und 3); dort werden pro Tag etwa 165.000 Barrel Treibstoff aus Kohle gewonnen. Um eine entsprechende Reduktion der Treibhausgas-Emissionen zu bewirken, müsste man ungefähr 200 Fabriken von der Größe der Sasol-Komplexe bauen und diese mit Einrichtungen zur Kohlenstoffspeicherung versehen.

Option 9: Kernenergie statt Kohlekraftwerke. Man müsste Kohlekraftwerke mit einer Leistung von insgesamt etwa 700 Gigawatt durch Kernkraftwerke ersetzen, um die angestrebten Klimaschutzziele zu erreichen. Dies entspräche in etwa einer Verdopplung der heute existierenden Anzahl Kernkraftwerke. Zugleich müsste man in Fragen der Sicherheit und der Entsorgung von nuklearem Abfall das Vertrauen der Öffentlichkeit wiedergewinnen, sowie international große Anstrengungen unternehmen, um Urananreicherung und die Wiederaufarbeitung von Plutonium gegen Missbrauch abzusichern.

Option 10: Windkraft. Um den künftigen Welt-Energiebedarf ausschließlich durch Windkraft zu decken, müsste man den gegenwärtigen Bestand an Windkraftanlagen in etwa verfünfzigfachen – was einer Fläche von ungefähr dreißig Millionen Hektar entsprechen würde (drei Prozent der Fläche der Vereinigten Staaten von Amerika). Da die Windkraftanlagen jeweils relativ weit voneinander entfernt stehen können, ist es möglich, die entsprechende Fläche auch anderweitig zu nutzen – es handelt sich also nicht um tatsächlichen Flächenverbrauch.

Option 11: Photovoltaik (Sonnenenergie). Anstatt der derzeitigen Kapazität von 3 Gigawatt müsste man Solarzellen in einem Umfang von 2000 Gigawatt installieren, um den Weltenergiebedarf in 50 Jahren zu decken; man müsste demnach die heutigen Investitionen in Solarenergie etwa versiebenfachen, um den gewünschten positiven Effekt auf das Weltklima zu erreichen. Dies entspräche zwei Millionen Hektar Land, beziehungsweise zwei bis drei Quadratmetern Solarzellen pro Person.

Grafik

Das „Stabilisierungs-
dreieck“.
© Princeton University
» vergrößern

Option 12: Wasserstoff aus erneuerbaren Energieträgern. Hierbei wird der Wasserstoff nicht aus Kohle, sondern aus der Spaltung (Elektrolyse) von Wasser erzeugt. Gäbe es zum Beispiel vier Millionen 1-Megawatt-Windkraftanlagen, so könnte man damit vollständig auf Benzin als Treibstoff für Kraftfahrzeuge verzichten. Die Erzeugung von Wasserstoff aus Windenergie ist demnach weniger effizient als die Erzeugung von Elektrizität aus Windenergie.

Option 13: Bio-Treibstoffe. Hierzu gehören zum Beispiel Biogas, Biodiesel und Bioethanol. Man müsste pro Tag etwa 34 Millionen Barrel Bioethanol erzeugen, um den zukünftigen Treibstoffbedarf der Welt damit zu decken. Dies entspräche dem 50-fachen der heute produzierten Menge an Bioethanol. Bioethanol wird heute zum Großteil aus Zuckerrohr (Brasilien) und Mais (USA) erzeugt. Um die nötige Verfünfzigfachung zu erzielen, müsste man ungefähr 250 Millionen Hektar an Hochertrag-Energiepflanzen anbauen, was ungefähr einem Sechstel der heute ackerbaulich genutzten Fläche der Welt entspräche.

Option 14: Waldbau. Würde man die Abholzung tropischer Regenwälder sofort stoppen, sowie Wälder der gemäßigten und tropischen Zonen auf einer Fläche von ungefähr 250 bis 400 Millionen Hektar wiederaufforsten, so könnte man allein dadurch bereits das Weltklima in 50 Jahren stabilisieren.

Option 15: Bodenschutz. Bisher haben die Böden der Welt durch zu tiefes Pflügen oder andere bodenschädigende Aktivitäten bereits ungefähr 55 Gigatonnen Kohlenstoff and die Atmosphäre verloren. Würde man extensive Bodenbearbeitungsmethoden einsetzen, wie zum Beispiel reduzierte Pflugbearbeitung, Mulchen, Einsaat oder Erosionsschutzmaßnahmen, so könnte man auch hierdurch das zukünftige Weltklima stabilisieren. Hierzu müsste man schonende Bodenbearbeitungstechniken auf der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche der Welt (etwa 1600 Millionen Hektar) einsetzen – was einer Verzehnfachung des gegenwärtigen Anteils entspräche.

Wohin also nun? Oder – um die etwas provokante Frage „Windkraft oder Kernkraft“ nochmals zu bemühen: Welche sieben Optionen dürfen´s denn nun sein?

Robert Socolow

Robert Socolow, der Coautor des 2004 in „Science“ erschienenen Manuskripts.
© Princeton University

Dem Klimawandel Einhalt zu gebieten erfordert gewiss große, nicht jedoch unmenschliche oder utopische Anstrengungen. Eine mögliche Strategie könnte also tatsächlich Diversifizierung heißen: Doppelt so viel Windkraft, mehr Bioenergie, Solarzellen auf privaten Hausdächern – und nebenbei noch ein wenig CO2 ins Erdreich versenken. Wer also beispielsweise vollständig auf Kernenergie verzichten möchte, kann sich durchaus anhand der anderen vierzehn verfügbaren Optionen seinen persönlichen Weltenergie-Cocktail zusammenstellen. Vorausgesetzt wäre natürlich ein vernünftiger Dialog zwischen Bürgern und Politikern, und letztlich zwischen den Staatschefs der Nationen der Welt. Und das möglichst bald – immerhin liegt Pacalas Artikel schon wieder fast drei Jahre zurück.

Drei Jahre, in denen die Vorschläge der beiden Autoren anscheinend in der Schublade liegen geblieben sind, und auch in den deutschen Medien bisher wenig Beachtung fanden.

Beitrag von Christoph Scherber

Links zum Thema

  • Wege aus der Klimakrise: Hintergrundinformationen und Grafiken

Zur Person

Dr. Christoph Scherber (30) ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Agrarökologie der Uni Göttingen.

Literatur

  • S. Pacala/R. Socolow (2004): Stabilization Wedges: Solving the Climate Problem for the Next 50 Years with Current Technologies. In: Science, 13 August, 305, S. 968-972.
Anzeigen
Anzeige
backprinttop

Suche

Online-Recherche

Suchmaschinen, Infos, Datenbanken » mehr

Wettbewerbe

Wettbewerbsdatenbank für junge Forscher » mehr

Rezensionen

Buchrezensionen der sg-Redaktion » mehr

Podcasts

Übersicht wissenschaftlicher Podcast-Angebote » mehr

sg-Newsletter


anmelden
abmelden
?

sg-News-Feed

Abonnieren Sie unseren News-Feed:

News-Feed
AddThis Feed Button

Space-News

Aktuelle News bei Raumfahrer.net:
  • ISS - Progress M-62 hat angedockt
  • Googles Astronauten
  • GLONASS - Erfolgreicher Start zum Jahresende
  • ISS - Progress M-62 gestartet
  • ISS - Progress M-61 hat abgelegt

sg intern

Anzeigen

BCG
Infos | Events | Kontakt


Deutscher Studienpreis