Oktober/November 2007

„Sachbücher klären nicht auf, sie klären den Leser ab“

Stephan PorombkaStephan Porombka ist Professor für Literatur und Kulturjournalismus am kulturwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Hildesheim. Sciencegarden sprach mit ihm über die Illusion der Aufklärung durch Wissenschaftsjournalismus, den „information flow“ und PR-scheue deutsche Wissenschaftler.

sg: Herr Porombka, Sie sind Kulturwissenschaftler und beschäftigen sich mit Sachbüchern. Sind „Kultur“ und „Technik“ nicht ein Widerspruch?

Porombka: Ganz im Gegenteil. Aus der kulturwissenschaftlichen Perspektive zählt Technik selbstverständlich zur Kultur. Der Kulturbegriff, mit dem mein Fach operiert, geht weit über die Beschränkung auf bestimmte Künste hinaus und umfasst alles, was Menschen herstellen und mit Bedeutung versehen.

sg: Warum wendet sich Ihrer Ansicht nach die Literaturwissenschaft mit dem Sachbuch dem Nützlichen und Sachlichen zu?

Porombka: Da muss ich zunächst einmal fragen, ob das populäre Sachbuch überhaupt nützlich ist. Für mich sind Sachbücher eher ein Genre, das mit Wissenschaft unterhält. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: das Buch „Die Welt ohne uns“ von Alan Weisman. Weisman unternimmt eine fiktive Reise über unseren Planeten, nachdem die Menschen von seiner Oberfläche ganz plötzlich komplett verschwunden sind. Und er zeigt, was in ein, in zwei, in zehn, in hundert, in tausend Jahren mit dem passieren wird, was unsere Zivilisation zurücklässt, wenn sie nicht mehr da ist. Dabei beantwortet er Fragen wie, zum Beispiel: „Wie lange dauert es, bis aus einer Stadt wieder eine Naturlandschaft geworden ist?“ Natürlich erfährt man dabei etwas über dieses Thema. Vor allem aber wird eine Geschichte erzählt, ein äußerst spannendes Setting in Szene gesetzt, wie es aus SciFi- oder Katastrophen- Filmen bekannt ist.

sg: Und solche Katastrophen-Szenarien erzeugen nicht einmal einen kleinen Aha-Effekt beim Publikum, dass sich etwas ändern muss?

Porombka: Natürlich tun sie das auch. Dennoch bleibt ein populäres Sachbuch in erster Linie ein Buch, das den Leser fesselt. Es geht nicht im eigentlichen Sinn darum, wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. Eher ist es so, dass das Sachbuch Leserkreise mit Unterhaltung versorgt, die von ihrem eigenen Rollenverständnis her nur zum Wissenserwerb lesen „dürfen“: der durchschnittliche Sachbuchleser ist NICHT ZUFÄLLIG männlich.

sg: Aber ist es nicht doch so, dass sich beispielsweise die Germanistik seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt den Sach- und Gebrauchstexten zugewandt hat, um sich zu legitimieren?

Porombka: Ich würde den von außen kommenden Legitimationsdruck nicht so stark in den Vordergrund stellen. Ich denke, dass die Literaturwissenschaft die Sach- und Gebrauchstexte, die beispielsweise Naturwissenschaftler und Techniker geschrieben haben, für sich entdeckt hat, um sie kulturwissenschaftlich daraufhin zu befragen, was sie über Kultur aussagen und auf welche Weise, also mit welchen erzählerischen Strategien, sie dies tun. Für unser Sachbuchforschungsprojekt ist diese Herangehensweise, die sich auf das weite Verständnis von Kultur bezieht, absolut grundlegend. Sie bildet im Übrigen auch den Hintergrund für meine Lehrtätigkeit in Hildesheim.

sg: Dort bilden Sie Kulturjournalisten aus. Was haben wir uns darunter vorzustellen?

Porombka: Operiert man auch hier wieder mit dem weiten Kulturbegriff, dann berichten Kultur-Journalisten über alles, was Kultur ausmacht und von Tag zu unsere jeweilige Gegenwart bestimmt. Kulturjournalismus nenne ich deshalb eine „Kulturwissenschaft der Jetztzeit“. Sie finden das übrigens traditionell im Feuilleton, das sich ja nie nur auf die Künste beschränkt hat. Dort wird im größeren kulturellen Kontext auch über Wissenschaft nachgedacht und den Lesern ermöglicht, das wissenschaftliche Geschehen in größere Zusammenhänge einzuordnen. Schauen Sie heute mal ins Feuilleton der FAZ. Auf der dritten Seite hinter Kunst- und Theaterthemen und Rezensionen zu einer literarischen Neuerscheinung finden Sie immer auch Artikel zu den neuesten Entwicklungen in Naturwissenschaft und Technik.

sg: Heute scheint der Nützlichkeitsnachweis geradezu lebensnotwendig zu sein für wissenschaftliche Vorhaben. Welche Strategien entwickelt die Wissenschaft, um gegenüber dem Legitimationsdruck zu bestehen?

Porombka: Hier muss man wohl zwischen den angelsächsischen Ländern und der Situation in Deutschland unterscheiden. In den USA und Großbritannien ist es üblich, dass renommierte Forscher auch populäre Sachbücher schreiben. Dahinter steht nicht selten die Notwendigkeit, Geldgeber zu finden. Aber es geht auch immer darum, auf dem wissenschaftspolitischen Feld ein Thema zu platzieren oder eine Bewegung zu initiieren. In Deutschland haftet dem populären Sachbuch dagegen immer noch der Makel des Flachen, Ordinären, Unwissenschaftlichen an. Der PR-Effekt der populärwissenschaftlichen Literatur wird dabei völlig unterschätzt. Und die Wissenschaft reagiert auf Anforderungen aus dieser Richtung äußerst schleppend und schottet sich immer noch weitgehend ab.

sg: Inwiefern kann die Verbreitung von Sachbüchern die Wissensgesellschaft fördern?

Porombka: Wenn Sie die Wissensgesellschaft als aufgeklärte Gesellschaft verstehen, in der sich jeder ein Bild von den vielfältigen Entwicklungen machen kann, dann kann das populäre Sachbuch dazu nicht viel beitragen. Das liegt einfach daran, dass die Komplexität der Wissensgesellschaft ja so gar nicht erfasst werden kann, dass man immer und überall über ein Wissen verfügt, das auch tatsächlich auf dem Stand der Dinge ist. Man darf nicht denken, dass populäre Sachbücher dazu da sind, mich in einen mündigen Bürger der Wissensgesellschaft zu transformieren. Wie sollte das auch gehen? Schauen Sie sich an, was über Klimawandel publiziert wird. Da haben Sie derzeit dreißig, vierzig aktuelle Titel, in denen immer andere Thesen und Strategien auf völlig unterschiedlichen Ebenen und vor allem unterschiedlichen Niveaus entwickelt werden. Da ernsthaft entscheiden zu wollen, welches das echte, richtige, wahre Sachbuch über den Klimawandel sein soll, ist doch nicht möglich. Also mit anderen Worten: Populäre Sachbücher klären nicht auf. Wenn sie gut sind, sorgen sie allenfalls dafür, dass der Leser mit dem Thema Klimawandel abgeklärt umgeht.

sg: Das heißt die Leserschaft hat überhaupt kein Gefühl dafür, welches Szenario realistischer ist.

Porombka: Punktuell kann man dieses Gefühl schon entwickeln. Aber das ist wahrscheinlich gar nicht das Ziel der Leser. Ich denke, hier geht es eher um eine Art lockeren Anschluss an den „information flow“, man möchte dabei sein, zu diesem und jenem Thema einfach auch mitreden können oder sich zumindest selbst informiert fühlen. Im Vordergrund steht dabei aber immer noch der bereits erwähnte Unterhaltungswert. Mir persönlich geht es zum Beispiel so, dass ich beim Lesen von guten Sachbüchern eine Art besonderen „Kick“ erlebe. Wenn es „kickt“, dann weiß ich nicht über eine Sache Bescheid, aber ich weiß plötzlich etwas anderes, was mich wieder dazu bringt, anderes wissen zu wollen.

sg: Was macht solch ein „gutes“ Sachbuch aus?

Porombka: Zunächst einmal muss ein Sachbuchautor ein Experte für sein Thema sein – oder er sollte mir zeigen, wie er sich selbst durch Recherchen zum Experten macht. Zum Zweiten aber muss er auch ein guter Entertainer sein, den Leser fesseln können und ihn an seine Geschichte binden. Das geschieht in erster Linie durch die Ansprache des Lesers. Der Autor muss ganz nah am Leser dran sein, ihm klarmachen, dass auch das entfernteste Thema – der Golfstrom oder das Ozonloch – einen Bezug zu seinem täglichen Leben aufweist. Zum einen lässt sich dies mit Texten erreichen, wenn man immer wieder auf die Alltagsebene herunterschaltet und mit zwei, drei Handgriffen vom Weltklima zur Körpertemperatur des Lesers hinunterzoomt. Und zum anderen muss natürlich eine gute Story erzählt und Spannung aufgebaut werden. Da gibt es verschiedene Plots, beispielsweise das Katastrophenszenario, die Was-wäre-wenn-Story, die Zeitreise, den Wissenschaftskrimi, alles immer angelehnt an gut etablierte Unterhaltungsformate.

sg: Alle Medien betreiben zwangsläufig Selektion zwischen verschiedenen Themen. Sehen Sie die Gefahr, dass Disziplinen, die sich nicht spektakulär in Szene setzen lassen, dabei ins Hintertreffen geraten?

Porombka: Ich glaube, dass genau das die Herauforderung und der Trick für Wissenschaftsjournalisten und Sachbuchautoren ist: Sie müssen auch das ödeste Thema so aufbereiten, dass der Leser dranbleibt – selbst wenn er sich hinterher fragt, warum er nun eigentlich plötzlich etwas, sagen wir: über schlafende Faultiere oder über Hausstaub in Großstädten weiß.

sg: An der Universität Hildesheim bilden Sie Studierende im Kulturjournalismus aus. Sie verfügen auf diesem Gebiet auch über breite praktische Erfahrung. Wie macht man dem Publikum Kultur schmackhaft?

Porombka: Es geht ja nicht ums schmackhaft machen, sondern ums Beobachten und Reflektieren…

sg: Was aber nicht jeder Leser in gleichem Maße kann oder möchte.

Porombka: Das ist natürlich richtig. Ich bin mir bewusst, dass ich einen kulturjournalistischen Ansatz vertrete, der sich ganz nachdrücklich an den Kulturwissenschaften orientiert. Dass sich nicht alle Zeitungsleser für so eine „Kulturwissenschaft der Jetztzeit“ interessieren, ist mir damit ebenso klar. Aber ich habe ja auch nicht den Anspruch, alle Journalisten bekehren und alle Leser belehren zu wollen. Im Gegenteil: Ich interessiere mich sehr für ganz populäre, unterhaltende Formate im Journalismus, die mit Reflexion nicht viel am Hut haben: Homestories, Klatsch- und Tratschjournalismus, hysterische oder hysterisierende Medienkampagnen, mystifizierende Berichterstattung… Das finden Sie auch im Wissenschaftsjournalismus immer stärker. Man muss nur das Fernsehen einschalten, da gibt es geradezu einen Boom der Wissenschaftssendungen. Und bis auf wenige Ausnahmen sind das reine Unterhaltungssendungen, in denen über die Möglichkeit von Zeitreisen erzählt wird, über das Geheimnis des Bermudadreiecks oder über Killerbazillen. Als kulturwissenschaftlicher Kulturjournalist kann ich das allerdings wieder beobachten und daraufhin reflektieren, was die Kultur mit solchen Formaten über sich selbst erzählt.

sg: Kommen wir zum Schluss. Sie haben jetzt die Chance, unsere Leser in drei kurzen Sätzen von der Relevanz oder Bedeutung Ihrer Disziplin zu überzeugen.

Porombka: Die Kulturwissenschaft beschäftigt sich mit allem, was Menschen gestalten und mit Bedeutung versehen. Sie erfahren damit sehr viel über das Selbstverständnis der Kultur, in der Sie leben. Und damit gewinnen Sie – wenn alles gut geht – die Fähigkeit, sich selbst, also Ihr eigenes Verhalten in der Kultur und Ihr eigenes Verhältnis zur Kultur als etwas ganz und gar Kulturelles zu beobachten.

sg: Also ganz plakativ: ein Panoramablick auf das gesamte menschliche Dasein?

Porombka: Ich würde eher sagen: Es ist ein Blick auf ein ziemlich komplex verstricktes Knäuel kultureller Prozesse, bei dem jeder Blick und jede Aussage vielleicht ein bisschen was lösen kann, aber sich damit immer zugleich auch ein Stück mehr verstrickt.

sg: Herr Porombka, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Beitrag von Christiane Zehrer
Bildquelle: Stephan Porombka

Links zum Thema

  • Homepage des Projekts Sachbuchforschung
  • Homepage von Prof. Porombka an der Universität Hildesheim
  • Wie man ein verdammt gutes Sachbuch schreibt

Zur Person

Stephan Porombka ist Professor für Literatur und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim und gemeinsam mit Prof. Dr. Erhard Schütz (HU Berlin) Leiter des von der Thyssen-Stiftung geförderten Projekts zur Sachbuchforschung (www.sachbuchforschung.de). Neben seiner Forschung im Bereich Medien und kulturelles Selbstverständnis arbeitete er für verschiedene populäre Medien, darunter den Unispiegel. Er ist Autor mehrerer Bücher über populärwissenschaftliches und kulturjournalistisches Schreiben.

Literatur

  • Stephan Porombka (2006): Wie man ein verdammt gutes Sachbuch schreibt.
    [Arbeitsblätter für die Sachbuchforschung; 10], siehe „Links zum Thema“
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