Elitegrüße aus Moskau
Die sechs ausgezeichneten St. Petersburger Hochschulen unterscheiden sich stark in ihrer fachlichen Ausrichtung: Die Staatliche Universität (SPbGU) ist eine Volluni, die sich besonders ihrer Geistes- und Sozialwissenschaften rühmt. Die Pädagogische Herzen-Universität legt Wert darauf, Pädagogik nicht zum Namensepitheton verkommen zu lassen. Die Polytechnische Hochschule schließlich ist eine voll ausgebaute Fachhochschule, während die anderen drei Preisträger – die Staatliche Universität für Informationstechnologie, Mechanik und Optik (ITMO), die Staatliche Elektrotechnische Universität (LETI) und das Staatliche Bergbauinstitut – auf je eine Disziplin beschränkt sind. Jedoch unterscheiden sich die Einrichtungen nicht nur in ihrer fachlichen Bandbreite. Sie geben auch die Fördergelder aus der Innovationsoffensive für unterschiedliche Zwecke aus.

SPbGU, Herzen-Universität und ITMO streben zunächst einmal eine höhere Qualifikation des Lehrpersonals an.
An der SPbGU dürfen die Dozenten deshalb Kurse zu Buchhaltung, Internetnutzung oder allgemeinbildenden Themen besuchen – eigentlich alles alte Hüte. Überhaupt ist das Anlagemodell der SPbGU – gelinde gesagt – konservativ: Sie investiert in neue PCs, Beamer und Laborgeräte. Im Oktober 2007, fast ein Jahr nach der Exzellenzverleihung, sitzen die Dozenten an der Philologischen Fakultät jedoch immer noch hinter ihren alten Rechnern.
Die Herzen-Universität setzt auf Soft Skills. Das Allrussische Zentrum für geistige Ressourcen und geisteswissenschaftliche Verfahren, das die Uni gründen will, zielt genau auf sie ab: Nicht nur universitätseigene Dozenten sollen hier in allen Aspekten der Kommunikation geschult werden, auch Studenten erhalten hier Grundkenntnisse in PR und (interkultureller) Kommunikation. Genauso können aber auch Firmen oder Gemeinden ihr Personal zur Fortbildung schicken; Kommunalbeamte lernen dann beispielsweise, wie man Einwohner zu Freiwilligenarbeit motiviert.

Wirkliche Innovationen abseits von modernen Worthülsen bieten die naturwissenschaftlichen und technischen Hochschulen.
Das Bergbauinstitut besticht zudem noch durch Exotik: Es unterhält vier Übungsgelände auf dem neuesten technischen Stand, welche die Studenten und Doktoranden unter reellen Bedingungen auf jene geologischen, hydrologischen und geophysischen Besonderheiten hin untersuchen können, die für die Erdgas- und Buntmetallförderung wichtig sind. Reell ist vor allem die Geographie: Das Übungsgelände „Bolschesemelskij“ befindet sich im Autonomen Kreis der Nenzen im obersten Norden Russlands, „Osernyj“ in der Republik Burjatien, an der Grenze zur Mongolei. Mehrwöchige Übungsexpeditionen stehen auf dem Stundenplan aller Studenten – hier kann wohl keine deutsche Hochschule mithalten.
Innovativ ist aber auch der Leitgedanke, den das Bergbauinstitut seinen Absolventen mit auf den Weg geben will: Weg vom Rohstoffexport hin zur nachhaltigen Rohstoffgewinnung und -verarbeitung im eigenen Land. Damit agiert das Bergbauinstitut wohl weitsichtiger als einer seiner einflussreichsten Absolventen: Ende der 90er Jahre hatte Vladimir Putin am Bergbauinstitut über die „Strategische Planung der Reproduktion der regionalen Mineral- und Rohstoffbasis unter den Bedingungen der Herausformung der Marktwirtschaft“ promoviert.
Für die Hochschulen mit naturwissenschaftlich-technischer Ausrichtung ist die Anbindung an die Wirtschaft zentral. ITMO, LETI und die Polytechnische Hochschule forschen für große Unternehmen, unterhalten Technoparks und bieten Raum für die Startups von Studenten oder Mitarbeitern. Techno- und Bioparks gehören heute zum Standardrepertoire beinahe jeder europäischen Hochschule; die russischen Kollegen schließen somit nur auf. Damit ihre Absolventen auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig sind, haben sich ITMO und LETI jedoch etwas auch für europäische Maßstäbe ungewöhnliches einfallen lassen.
Zusätzlich zur staatlichen Akkreditierung lässt das ITMO seine Studiengänge von den Arbeitgebern der Absolventen zertifizieren. Ein halbes bis ein Jahr nach Arbeitsbeginn wird das Unternehmen von ITMO aufgefordert, den Absolventen zu beurteilen; die Beurteilung wiederum fließt in die Studienprogramme des ITMO ein.
Anders als die deutschen Ingenieursschulen verweigert sich das LETI nicht der Einführung von Bachelor und Master, sondern nützt sie auf eigene Weise zur Elitenförderung. Parallel zu Bachelor und Master existiert der alte, fünfjährige Studiengang, an dessen Ende der Titel „Spezialist“ steht. In den ersten drei Studienjahren bekommen die Studierenden theoretisches Grundwissen vermittelt; für ihre Leistungen, zu denen beispielsweise auch die Teilnahme an Technikolympiaden zählt, erhalten sie Punkte. Schließlich werden alle Studenten auf einer Skala von 0-10 eingereiht. Nach dem dritten Studienjahr können die Studenten auf einen der spezialisierten Masterstudiengänge wechseln –die Studenten mit dem höchsten Rating auf der Zehnerskala dürfen als erste ihr Wunschfach wählen. Wer weniger als 6,5 Punkte hat, bekommt in der Regel keinen Masterplatz mehr und muss die Spezialistenausbildung beenden. Weil das Masterstudium auf eine Sparte der Elektrotechnik spezialisiert, werden die Studenten in Projektarbeiten des LETI mit Unternehmen integriert. Entweder tritt der künftige Elektrotechniker als Werkstudent in eine Firma ein, oder aber ein Unternehmen finanziert Materialien, Gerät und Mitarbeiter für Auftragsforschung am LETI.
„Eine Innovation unterscheidet sich von einer Neuerung dadurch, dass sie am Markt nachgefragt wird. Es gibt neue Erkenntnisse, und die haben wir den Absolventen vermittelt. Wenn die Arbeitgeber unsere Masterabsolventen einstellen, haben wir den Innovationskreislauf geschlossen“, meint Vladimir Kutuzov, Prorektor für Studienangelegenheiten des LETI. Russlands innovative Hochschulen investieren große Summen in die Lehre, um auf internationalem Niveau konkurrenzfähig zu sein – auch wenn es um das kapitalistische Kriterium von Angebot und Nachfrage geht.
Links zum Thema
- Offizielle Seite des Prioritären Nationalen Projekts „Bildung“
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Sandra Birzer ist Redakteurin dieses Magazins.
