Februar 2008

Wenn die Ratio mit dem Eros

PodiumWissenschaft und Gefühl gelten allgemein als verschiedene Welten. Der Vortragsabend „Wissenschaft emotionalisieren?“ in Hannover zeigte, dass beide sich durchaus gegenseitig befruchten – und zwar seit Jahrtausenden. Fraglich bleibt dagegen das Produkt dieser unvermuteten Liebesbeziehung.

„Wissenschaft emotionalisieren?“ lautete der Titel eines Vortragsabends, zu dem die Volkswagen Stiftung gemeinsam mit der Stadt Hannover ins dortige Rathaus eingeladen hatte. Durch den Abend führte die NDR-Journalistin Ulrike Heckmann, die die Podiumsteilnehmer zu Beginn der Veranstaltung als „Wissenschaftspopularisierer“ vorstellte. Mit diesem Prädikat war zugleich klar, dass es an dem Abend weniger um das Für und Wider einer emotionalisierten Wissenschaft gehen würde, als vielmehr um deren unterschiedliche Facetten.

Untrennbar „seit Adam und Eva“

Prof. Dr. J. Hörisch
Engagierter Streifzug durch die Wissenschaftsgeschichte: Prof. Dr. J. Hörisch

Dass Wissenschaft und Emotion im wahrsten Sinne des Wortes „seit Adam und Eva“ gar nicht von einander zu trennen sind, demonstrierte Professor Jochen Hörisch von der Universität Mannheim in seinem Vortrag. „Und dann erkannte er sie!“ verführte Hörisch mit der Bibelstelle, an der Adam neben seiner Wiss- auch seine erotische Begierde entdeckt, das Publikum im Plauderton zu einem unterhaltsamen Streifzug durch die Begriffsfelder „Wissenschaft“ und „Liebe“. Die alten Griechen hätten beim „Schauen der reinen Wahrheit“ das höchste der Gefühle erlebt, und bis heute lege man „Zeugnis“ ab über die Erfolge der eigenen Wahrheitssuche, wünsche sich „fruchtbare Erkenntnis“, und reklamiere für wissenschaftliche Ergebnisse, sie seien die „nackte Wahrheit“. Mutterliebe als bedingungslose Zuwendung stecke dagegen in dem Ehrentitel „Alma mater“.

Enterotisierung und neuer Sex Appeal

Engagiert bis polemisch ging Hörisch bei seiner Diagnose des derzeitigen Hochschulsystems zur Sache: Nach einer Reihe von „Ernüchterungs- und Enterotisierungsschüben“ machten Universitätsmitglieder jedoch von dieser nicht zweckgebundenen Zuwendung immer weniger Gebrauch. Die Freiheit aber, für eine Zeit lang abgeschieden von der Welt „auch perversen Formen der Erkenntnislust nachzugeben“, sei ein fundamentaler Bestandteil der Humboldtschen Universität gewesen. Seine Kritik wandte sich vor allem an diejenigen Professoren, die sich in unzähligen Gremien lieber als „Wissenschaftsmanager“ betätigten und im Hamsterrad der Drittmittelanträge verausgabten, statt sich ihrer Forschung und ihren Studierenden zu widmen. Doch auch mit diesen geht der erfahrene Hochschullehrer hart ins Gericht, bescheinigt ihnen, „keine Fragen an ihre Wissenschaft“ und „keine Neugier“ zu haben.

Dennoch hat Hörisch gerade bei den Studierenden beobachtet, dass der Sex-Appeal der Hochschulen einen zweiten Frühling erlebt: Merchandise-Artikel boomten schließlich derzeit ebenso wie Alumni-Vereine, beides Zeichen für den Wunsch nach Identifikation mit der Alma mater. Um weiterhin Identifikationspotenzial zu bieten, dürfe diese allerdings ihre „differencia specifica“ – also das, was im Marketing „unique selling proposition“ heißt – nicht ganz verspielen: „Die Existenzberechtigung der Professoren ist es, verrückt zu sein“, schloss Hörisch auf einer durchaus selbstironischen Note.

Einfache Hilfsmittel statt komplizierter Formeln

Prof. Dr. A. Beutelspacher
Ganz ohne komplexe Formeln: Mathematiker Prof. Dr. A. Beutelspacher

Den speziellen Reiz wissenschaftlicher Erkenntnis live erleben, konnte das Publikum beim anschließenden Vortrag des Gießener Mathematikers Professor Albrecht Beutelspacher. Der Gründer des Mathematikum-Mitmachmuseums demonstrierte nicht nur eindrucksvoll, dass Mathematik Glücksgefühle auslösen kann. Er demonstrierte auch, wie dies geschieht – und zwar ganz ohne abstrakte Formeln. Hinter dem Rednerpult stehend, bastelte er aus zwei Papierstreifen mit Hilfe eines Klebestifts zunächst zwei Papier-Ringe, die er dann zu einer „8“ zusammenklebte – und zwar so gegeneinander verdreht, dass man durch einen der Ringe von der Seite sieht, wenn man durch den anderen hindurchschaut. Dann rückte Beutelspacher dem seltsamen dreidimensionalen Konstrukt mit einer Schere zuleibe. Nachdem die zusammengeklebten Ringe jeweils längs durchgeschnitten waren, faltete er das entstandene Objekt auf – ein Quadrat! (s. auch Infokasten „Quadratur von 2 Ringen“)

Wie Erkenntnis glücklich macht

Angesichts angeregten Kopfschüttelns im Saal räumte Beutelspacher ein, auch seine Mathematiker-Kollegen kommentierten dieses Experiment häufig erst im Nachhinein kleinlaut mit „is’ ja klar“. Wie groß der Lernfortschritt durch eine solch simple Vorführung sein kann, zeigte der Professor mit Talent für kindgerechte Zaubervorführungen durch zwei Fragen an das Publikum: Tatsächlich konnten plötzlich alle Anwesenden richtig vorhersagen, dass Ringe in unterschiedlichen Farben ein Quadrat ergeben, bei dem gegenüberliegende Seiten dieselbe Farbe haben; unterschiedlich große Ringe ergäben dagegen … ein Rechteck. Dass nicht nur Mathematik, sondern der Erkenntnis- und Lernprozess selbst positive Emotionen hervorrufen können, hätte eindrucksvoller kaum bewiesen werden können. „Wissenschaft ist aus sich selbst heraus motivierend, faszinierend und spannend“, resümierte Beutelspacher, räumte jedoch in der anschließenden Diskussion ein, „dass auf das Staunen irgendwann auch die Frustration folgt.“

In seinem abschließenden Vortrag räumte der Journalist Bas Kast ganz radikal mit der Vorstellung auf, wahre Erkenntnis sei stets rational und Irrationalität nicht zur Erkenntnis fähig. Kast hatte sich in einem Forschungslabor in Sydney durch Magnetstimulation das strukturierte Denken „abschalten“ lassen. Als Beweis, dass dadurch sein „inneres Genie“ eingeschaltet wurde, brachte der Autor des Buches „Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft.“ von ihm gezeichnete Bilder eines Stoffhunds mit. Während die Skizze vor der Stimulation stark vereinfacht aussieht, ist die Zeichnung, die die Kast nach dem Experiment anfertigte, viel detailreicher (siehe Bildstrecke).

Das Denken abschalten

Derselbe Mechanismus, so Kast, erkläre auch das extreme Zeichentalent bestimmter Demenzkranker und autistischer Kinder. Diese verlören allerdings ihre Fähigkeiten in dem Maße, wie sie zu sprechen lernten. Für den studierten Psychologen und Biologen ein unverkennbarer Hinweis, dass „der Verstand unserer Kreativität entgegensteht“. An weniger drastischen Beispielen zeigte Kast, dass es auch im Alltag nützlich sein kann, das Denken einmal abzuschalten. So wählten Versuchspersonen, mit einer Unmenge an Informationen über verschiedene Autos überschüttet, die jeweils beste Alternative, wenn sie vor der eigentlichen Entscheidung abgelenkt wurden – und zwar je länger, desto besser. „Unbewusstes Nachdenken“ sei also möglich, fasste er die Erkenntnisse seiner Recherchen und seines Selbstversuchs zusammen, und gab freimütig zu, auch über das Material seiner journalistischen Recherchen „nach Möglichkeit gern eine Nacht zu schlafen“.

„Ein Gefühl für Wissenschaft entwickeln“

Der überspitzten These von Kast, dass der Verstand das Denken behindere, wollten die anderen Vortragenden bei der anschließenden Podiumsdiskussion nicht ganz folgen. Beutelspacher setzte dem entgegen, das Vergessen von Details, also die Abstraktionsfähigkeit sei wesentlich für die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnis. Hörisch seinserseits plädierte dafür, der Wissenschaft gerade ob ihrer idealtypischen Nüchernheit mit Leidenschaft zu begegnen. Auf die Frage, ob Emotionalisierung von Wissenschaft es erleichtert, diese einem breiten Publikum näher zu bringen, antwortete Beutelspacher mit einem ebenso klaren wie realistischen „Ja“: Den meisten Menschen ginge es nicht um tiefere Erkenntnis; viele wollten „ein Stück weit mit Wissenschaft leben“ und „ein Gefühl für Wissenschaft entwickeln“. Auch in der alten Streitfrage, ob Natur- oder Geisteswissenschaftler die besseren Kommunikatoren seien, scheint Emotionalisierung eine salomonische Lösung zu bieten: Die Begeisterung für wissenschaftliche Tatsachen ließe sich häufig durch Menschen, also die Wissenschaftler hinter dem Forschungsprojekt, transportieren, berichtete Kast aus der wissenschaftsjournalistischen Praxis. Beutelspacher pflichtete ihm bei und fügte, wohl mit Blick auf Berührungsängste der eigenen Zunft, hinzu: „Menschen interessieren sich für ganz normale Wissenschaftler. Man muss nicht bei jedem Medienkontakt versuchen, ausschließlich kluge Dinge zu sagen!“

Beitrag von Christiane Zehrer
Bildquellen: Dennis Börsch, Hannoversche Allgemeine Zeitung (Podium, J. Hörisch)

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Zur Person

Christiane Zehrer ist Redakteurin dieses Magazins.

Literatur

  • Bas Kast (2007): Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft. Frankfurt.
  • Jochen Hörisch (2006): Die ungeliebte Universität. Rettet die Alma mater. München.
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