sciencegarden Blog
Selbstbehauptung durch Selbstauflösung?
Professor Otto Depenheuer, oftmals als juristischer Vordenker von Innenminister Schäuble bezeichnet, hat mit seiner Schrift über "Die Selbstbehauptung des Rechtsstaats" eine lebhafte und kontroverse Diskussion ausgelöst.
Für Depenheuer bedeutet die Bedrohung des demokratischen Rechtsstaats durch den internationalen Terrorismus den Eintritt des "Ernstfalls": "Der Terror ist die totale Infragestellung der eigenen politischen Existenzform, der Terrorist daher staatstheoretisch Feind." Diesen Feind gelte es nicht nur durch die Schaffung entsprechender sicherheitsrechtlicher Grundlagen zu bekämpfen. Vielmehr müsse im Kampf gegen den Terror auch den Bürgern Opfer zugemutet werden: "In der Situation elementarer Bedrohung des Gemeinwesens wird die solidarische Struktur des staatlichen Gemeinwesens offenbar und kann das Bürgeropfer verlangt werden." Das gelte etwa, wenn die Bedrohung nur durch den Abschuss eines Flugzeugs beseitigt werden könne.
Wie eigentlich der Rechtsstaat gerade durch die Abschaffung seiner grundlegenden Prinzipien gerettet werden soll, ist auch nach intensiver Depenheuer-Lektüre nicht nachvollziehbar. Wer mag, kann ihn bald selbst fragen: Auf einer Vortragsveranstaltung am 4. März im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Wirtschaft als Wissenschaft
Wer bisher dachte, Wirtschaftswissenschaft sei nichts als eine geschickte Rechtfertigung neoliberaler Glaubenssätze, kann sich nun auf erhellende Weise eines Besseren belehren lassen: "Freakonomics", die weltweit erfolgreiche Buch-Koproduktion eines Journalisten der New York Times und eines gefeierten jungen Ökomomen, zeigt die Wissenschaft von Geld und Macht von ihrer besten Seite. Steven D. Levitt, der Wirtschaftswissenschaftler, hat den Scheuklappen seiner Zunft den Kampf angesagt: "Ökonomie ist eine Wissenschaft mit idealen Werkzeugen, um gute Antworten zu gewinnen, aber mit einem ernsthaften Mangel an guten Fragen.""Ich weiß nicht viel in Wirtschaftssachen und bin auch nicht gut in Mathe." - S. 196) auch eine Lektion in Zahlengläubigkeit und statistischen Methoden. Alles in allem eine kurzweilige Lektüre für alle, die sich noch nie an die Wirtschaftswissenschaften herangetraut haben. Und womöglich auch für diejenigen, die damit schon lange per Du sind!
(S.196) Diese guten Fragen stellt Levitt an unser aller vorgefertigte Meinungen zu Themen von der Stammtischparole bis zur sozialwissenschaftlichen Hypothese. Indem er das Beste aufbietet, was die Ökonomie zu bieten hat, entlarvt er mit der Nonchalance des genialen Traumtänzers einige große gesellschaftlich-politische Glaubenssätze. (Zum Beispiel sprechen die Zahlen nicht für einen Einfluss innovativer polizeilicher Konzepte für den Kriminalitätsrückgang in den USA.) Dabei kehrt er das Beste und Ehrwürdigste heraus, was seine - und jede - Wissenschaft zu bieten hat: eine stringente, vom konkreten Anschauungsobjekt unbeeindruckte methodische Vorgehensweise. Nicht zuletzt lehrt Levitt mit fast schon zu sympathischem Understatement (Zitat: “Ich weiß nicht viel in Wirtschaftssachen und bin auch nicht gut in Mathe.” - S. 196) auch eine Lektion in Zahlengläubigkeit und statistischen Methoden.
Alles in allem eine kurzweilige Lektüre für alle, die sich noch nie an die Wirtschaftswissenschaften herangetraut haben. Und womöglich auch für diejenigen, die damit schon lange per Du sind!
Netz mit doppeltem Boden
Dass das Internet bisweilen arge Blüten treibt, ist hinlänglich bekannt. Dass man nicht allem trauen sollte, was man im Browserfenster liest, auch. Das gilt für Nachrichten ebenso wie freie Enzyklopädien à la Wikipedia (siehe sg-Artikel Wer nicht surft, bleibt dumm?). Doch wie man die größten Fallen sicher umsurfen kann, dürfte den wenigsten Durchschnittsusern bekannt sein, darunter leider auch viele angehende und gestandene Wissenschaftler, die mit dem neuen Medium, nun ja, eher "unbefangen" umgehen. Wer seine Sicherheit im Netz aufbessern will, kann bei ZEIT-Autor Albrecht Ude die wichtigsten doppelten Böden für ungetrübtes Netzvergnügen beziehen. Und im Gegensatz zur Printausgabe seines Artikels funktionieren im Web auch die Links.
Mathematik für Jedermann
2008 ist das Jahr der Mathematik. In wie weit die in den kommenden Monaten beginnenden Projekte von Dauer sind, muss die Zeit zeigen. Bereits seit 1967 gibt es das Projekt Wurzel-Zeitschrift für Mathematik: eine mathematische Zeitung für alle, die mathematische Aufgaben lösen oder veröffentlichen wollen, die Interessantes aus der Geschichte der Mathematik, kluge Beweise oder das neueste zu den Mathematik-Olympiaden lesen möchten. Die Texte richten sich an den durchschnittlich gebildeten Mathematikinterssierten - es handelt sich also in keinem Fall um eine Fachzeitschrift!
Die Wurzel wird von dem Verein Wurzel-Verein zur Förderung der Mathematik an Schulen und Universitäten e.V. herausgegeben und wesentlich von Studierenden der Friedrich-Schiller-Universität Jena ehrenamtlich betreut. Auf den Webseiten des Vereins www.wurzel.org kann ein Probeheft herunter geladen werden.
Erledigt
Die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge hat nicht nur international anerkannte und renommierte Hochschulabschlüsse wie den des Diplomingenieurs ruiniert, zu einer dramatischen Reduzierung der Auslandssemester sowie zur Verschulung des Studiums geführt. Nach einer neuen Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) führt der "Bachelor" in Zusammenwirkung mit den mittlerweile in den meisten Bundesländern erhobenen Studiengebühren auch zu hohen Studienabbrecherquoten in den Ingenieurswissenschaften. Also dort, wo es gerade an Nachwuchs mangelt. Man muss keine humboldtschen Ideale aus dem Leichenkeller holen, um einzusehen, dass der "Bachelor" keines seiner hochgesteckten Ziele erreicht hat. Waltete hochschulpolitische Vernunft, hätte er sich damit selbst erledigt.
Moloche kosten mehr
Wer Moloche wie Bogotá oder erst recht Caracas kennt (im Vergleich zu chinesischen oder indischen Metropolen überschaubare Dörfer), weiß die europäische Stadtkultur zu schätzen: Der Bäcker ist um die Ecke, die Universität mit der Tram zu erreichen, abends radelt man zum Kino. Doch nicht alle teilen dieses Ideal. Das Eigenheim auf der grünen Wiese führt auch in unserer Heimat weiterhin dazu, dass im Umland der Städte Neubauten wie Krebsgeschwüre um sich wuchern. Rund 113 Hektar fallen dem Landschaftsverschleiß durch Siedlungs- und Verkehrsflächen täglich zum Opfer - das ist mehr als ein großes Fußballfeld. Bodenversiegelung, Landschaftszerstörung und Zunahme des Verkehrs sind nicht nur für die Umwelt katastrophal. Paradoxerweise schadet es auch denjenigen, die sich vom Ausverkauf ihres Grundbesitzes mehr Geld im Säckel versprechen: den Gemeinden. Falsch gerechnet: Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik belegt anhand verschiedener Fallbeispiele, dass beim Wohnungsbau in Wachstumsregionen am Rande größerer Städte die gesamten Folgekosten für die innere und äußere Erschließung sowie die soziale Infrastruktur höher sein dürften als die zusätzlichen Einnahmen. Die Studie schlägt daher vor: "Kommunen sollten sich auf die Innenentwicklung konzentrieren. Das kann Kosten sparen." Und wir fügen hinzu: Es steigert auch die Lebensqualität!
sciencegarden-Schreibwettbewerb: Die Stadt in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft
Dissertationspreis für Artenschutz
Wie bereits im Jahr 2005, verleiht die UNEP/CMS auch im Jahr 2008 einen Preis für Dissertationen, die sich mit dem Schutz wandernder Tierarten befassen. Der Preis beträgt 10.000 Euro und dient der Förderung der wissenschaftlichen Forschung und des Schutzes wandernder Tierarten gemäß der Abkommensdefinition. Anmeldungsfrist ist der 31. Mai 2008. Die Arbeit soll originell sein und neue Daten bzw. Einsichten über Biologie und Ökologie wandernder Tierarten oder neue Erkenntnisse externer Faktoren erbringen, die das Migrationsverhalten der Tiere beeinflussen. Die Ergebnisse der Forschung sollen für Schutzmaßnahmen der betroffenen Arten anwendbar sein. Zugelassen sind alle seit der letzen Conference of Parts (November 2005) vor einer akkreditierten akademischen Institution erfolgreich abgeschlossenen Dissertationen.
Juristen zu Schlossern!
In der Süddeutschen Zeitung plädiert Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, derzeit Ordinarius für Politische Theorie und Philosophie an der LMU München, für eine Aufwertung uns Ausweitung der Lehrberufe. In Deutschland fehlten nämlich keine Juristen, Architekten oder Medienwissenschaftler, sondern: Schlosser! Ein origineller Zwischenruf. Immerhin haben sich Deutschlands Bildungspolitiker gemeinsam in den Kopf gesetzt, unsere im europäischen Mittelfeld dümpelnde Akademikerquote zukünftig auf bis zu 50 Prozent hochzuschrauben - mit Hilfe des neuen Bachelor- und Master-Systems. Doch eben das, so Nida-Rümelins düstere Prognose, bewirke à la longue eine Dequalifizierung der höheren Bildungsabschlüsse und - in Kombination mit der krassen Unterfinanzierung der Hochschulen - einen neuen Bildungsnotstand. Aber nicht nur das: Einer "unheiligen Allianz aus Marktwirtschafts-Ideologie und Bildungsfeindschaft" sei darüber hinaus auch die Abwertung der Meister- und Gesellenprüfung geschuldet. Dabei böte gerade das Handwerk solide volkswirtschaftliche und individuelle Alternativen zu Studium und anschließender Prekarität, erst recht, wenn wir die Lehrberufe, wie Nida-Rümelin vorschlägt, mit wissenschaftlichen Bildungsinhalten anreichern und kräftig ausweiten würden. Eine Lanze für den "craftsman" bricht auch der amerikanische Star-Soziologe Richard Sennett, der in Deutschland vor allem durch seine Bücher über die Tyrannei der Intimität und den flexiblen Menschen bekannt ist. Nun hat der Muster-Schüler Hannah Arendts eine apologetische Hymne des Handwerks verfasst, in der er die Vorzüge des Herstellens preist. Unabhängig davon, dass Sennett in seinem jüngsten Druckwerk weit übers Ziel hinausgeschossen ist (und die Einsichten seiner akademischen Lehrerin stellenweise unterbietet), kündigen beide Hochschullehrer, Nida-Rümelin wie Sennett, eine zumindest rhetorische Aufwertung des Handwerks an. Den Hochschulen wird das alles wenig nutzen. Vielleicht sollte man sie konsequenterweise gleich ganz zu Höheren Berufsschulen umbauen. Dann muss man sich in Zukunft als arbeitsloser Philosoph nicht mehr von seinem Schlosser verspotten lassen. Stattdessen streitet man mit ihm über die Platon-Kritik von Aristoteles - und solange er sein Handwerk versteht, soll mir das eigentlich nur recht sein.
sciencegarden startet Schreibwettbewerb für junge Talente!
Seit dem 1. Februar läuft der sciencegarden-Schreibwettbewerb für junge Talente. Die Redaktion ruft junge NachwuchswissenschaftlerInnen und -journalistInnen auf, spannende Reportagen und Berichte zum Thema "Die Stadt in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft" bis Ende April 2008 einzureichen. Neben einer Veröffentlichung auf sciencegarden werden die besten Beiträge mit Buchpreisen ausgezeichnet. Alle Informationen zum Wettbewerb und zu den Teilnahmebedingungen gibt es hier.
sciencegarden im Februar/März
Die neue Ausgabe von sciencegarden.de ist online!
Wir berichten unter anderem über den studentischen Arbeitsplatz Nr. 1, die Kneipe, und von einer Tagung über Emotion und Wissenschaft. Lesen Sie dazu auch den Mannheimer Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch im Interview. Er meint: "Die Uni muss sexistisch sein."
Darüber hinaus haben wir zwei Buchbesprechungen im Angebot - zum neu aufgelegten Klassiker "Uni-Angst und Uni-Bluff" von Wolf Wagner und einem PR-Produkt aus dem Hause der INSM.
Unser Hintergrundbeitrag beschäftigt sich ausführlich mit möglichen Quellen und Ansatzpunkten für einen echten muslimisch-christlichen Dialog.
Die Redaktion wünscht anregende Lektüre!