Gesund leben!
"2. Du musst dich stets sauber halten und Deinen Körper pflegen und üben. (...)
3. Pflege Deine Zähne. (...)
4. Iss reichlich rohes Obst, rohe Salate und Gemüse, nachdem Du sie gründlich mit sauberem Wasser gereinigt hat. Im Obst sind wertvolle Nährstoffe enthalten, die beim Kochen verloren gehen.
5. Trink flüssiges Obst. Lass den Kaffee den Kaffeetanten. Du hast ihn nicht nötig.
6. Meide Alkohol und Nikotin, sie sind Gifte und hemmen Dein Wachstum und Deine Arbeitskraft.
7. Treibe Leibesübungen! Sie machen Dich gesund und widerstandsfähig.
8. Du musst jede Nacht mindestens neun Stunden schlafen.
9. Übe dich in der Ersten Hilfe bei Unglückfällen. (...)
10. Über all Deinem Handeln steht das Wort: Du hast die Pflicht gesund zu sein"
Diese Gebotsliste klingt nicht wie direkt from hell, sie ist es aber. Es sind die von Baldur von Schirach 1939 herausgegebenen "10 Gebote" für die Hitler Jugend. Das erste entlarvt die Herkunft: "Dein Körper gehört Deiner Nation, denn ihr verdankst Du Dein Dasein. Du bist für Deinen Körper verantwortlich". Heute müsste man ersetzen: "Dein Körper gehört dem Diskurs". Aber was ist mit den restlichen neun Geboten? Geben sie -- historisch -- zu denken? Was stimmt da nicht?
(Zitiert nach: Hermann Giesecke: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung. 2. Aufl., Weinheim/München 1999, S. 184 f.)
Kommentare
Ist das wieder ein typischer
Ist das wieder ein typischer Fall eines Argumentum ad hominem? Die Nazis hatten es, also muss etwas daran falsch sein?
Abgesehen davon...
... dass der vorliegende Fall kein Argumentum ad hominem ist, und schon gar kein typisches, sondern ein Zitat, verbunden mit einer (rhetorischen) Frage, kann man ob der ganzen Sache durchaus ins Grübeln geraten.
Unter welchem Motto steht denn die sich mehr und mehr durchsetzende Gesundheits(bio)politik der so genannten entwickelten Länder - wenn nicht: "Du hast die Pflicht gesund zu sein"?!
Wie friedfertig klingen da die alten Römer: Orandum est, ut sit mens sana in coprore sano - es sei, nicht: es muss oder nur wenn, dann.
Die Nazis haben übrigens eben diesen Satz des Dichters Juvenal - verkürzt - als Motto ihrer Volks-Körperertüchtigung gewählt ("Nur in einem gesunden Körper..."). Und das hat sich erstaunlich hartnäckig gehalten. Oder feiert es gar schon wieder fröhliche Urständ?
Die derzeitige
Die derzeitige Gesundheitspolitik mit ihren unschönen Auswüchsen (Rauchverbote et al.) hat wohl weniger damit zu tun, dass das "Volk" "kampffähig" und "rein" (oder whatever) gehalten werden soll aus ideologischen Gründen, sondern darum, dass ein soziales Gesundheitsversicherungssystem nicht finanzierbar ist, wenn nicht ein grosser Teil der Bevölkerung "gesund" lebt. Die Alternative zum Gesundheitszwang wäre eine Krankenversicherung nach dem Motto "hart aber gerecht", und das ist in unserer Gesellschaft nicht mehrheitsfähig.
Ideologie
Wenn ich Frank richtig verstanden habe, zielte der Vergleich auf eine andere Ebene. Die offizielle Begründung für "Gesundheit" wechselt, die Absicht aber ist nicht bzw. nicht allein (oder am allerwenigsten?) "Gesundheit". Schön wäre es, wenn es "nur" um das Gesundheitssystem und unser Wohlergehen ginge (abgesehen davon, dass man da schon hellhörig werden kann, wenn Regierungen vorschreiben, wie man leben soll).
Wäre dem so, dann müsste man doch gerade das Rauchen subventionieren. Es gibt m.W. keine(n) Gesundheitsminister(in), der/die das nicht unter der Hand auch zugibt.
Es scheint einen starken
Es scheint einen starken Durchgriff der Gesellschaft direkt auf die Körper zu geben, auf Körperpolitik. Und dies fast unabhängig vom politischen System: sonst könnten nicht neun der Regeln noch immer Gültigkeit beanspruchen. Der Zeitgeist heute ist sicher von Optimierung auf Leistung getrieben, und die ästhetische Logik schleift die Körperoberflächen glatt. Argumente sind nicht mehr nötig, die Medien umstellen uns mit Bildern, an denen wir uns unbewusst orientieren. Es geht also um Ästhetisierungsprozesse. (Und auch die Nazis setzten sehr stark auf Ästhetik, sie versuchten "Stylisch" zu sein -- schwarze Uniformen, Fackelzüge, Architektur ... Die Körper kommen mit der Moderne ins Spiel; aus dieser weiteren historischen Perspektive ist der Unterschied der 20. Jhd.-Diktaturen zu den 20. Jhd.-Demokratien gar nicht sehr groß.
Leider versteh ich immer
Leider versteh ich immer noch nicht ganz, worauf der Beitrag und die bis jetzt geposteten Antworten hinaus wollen. Vielleicht könnt Ihr/Du Frank das mal etwas präziser herausarbeiten?! Sicherlich gibt es einen Diskurs "Gesundheit", der unsere Haltung zum Körper beeinflusst. Sicherlich gibt es im Moment eine Gesundheits-/Öko-/Bio-/Fitwelle, die einerseits von individuell gewachsenem Ökobewusstsein, andererseits von einer umfassenden Vermarktungsmaschinerie getrieben wird.
Diesen Diskurs "Körper/Gesundheit" gibt es wohl schon länger. Doch auch was angeblich gesund sein soll, ändert sich ständig. Von esst euch fett bis hungert euch schlank. Esst Fleisch, Fett, Milch, Eier in rauhen Mengen bis ernährt euch vegan.
Also, es gibt diesen Diskurs, es gab einen ähnlichen klingenden Regelkatalog bei der Hitlerjugend. Gut. Und dann?
Übrigens, mir als Vegetarier wird immer mal wieder erzählt, dass auch Hitler Vegetarier war. Hm. Na und?
Es läuft nicht hinaus
Es läuft auf nichts hinaus. Ich finde Gleichheiten bei Regimewechsel als Eigenwert interessant, bedenkenswert, die blinde Zustimmung irritierend. Ich will gar keine These vertreten -- ich bin ja für Bio, für Rauchverbot, auch Vegetarier. Scheinbar kann alles, wenn es gesellschaftliche wichtige Funktionen hat, verschieden begründet werden, bis es auf Akzeptanz stößt. Es ist doch spannend, dass die HJ die Einübung zum Krieg im Sinn hatte; der heutige Gesundheitswahn steht in Bezug zu den Leistungsanforderungen des globalen Wirtschaftens. Um diese Flexibilitätszumutungen zu erfüllen, muss man schon ziemlich dehnbar sein, muss Ausdauer haben und darf nur im richtigen Moment zum Alkohol greifen. Ich finde es aber unbehaglich, dass diese Körperformungen langsam zu Tugendkatalogen werden, der Diskursdruck nimmt zu. Wer Übergewicht hat, der muss sich bald moralisch rechtfertigen, es wird in einer Tugend übersetzt "gesund" zu sein. Das stört mich, es ist Privatsache.