Parallelen (II)
In ihrer dickleibigen Studie über das Verhältnis zwischen der jüdischen Denkerin Hannah Arendt und dem vielleicht deutschesten aller Philosophen, Martin Heidegger, beschreibt Antonia Grunenberg an einer Stelle, wie sich die Studienbedingungen unter den Nationalsozialisten - in Freiburg mit ausdrücklicher Zustimmung des Kurzzeitrektors Heidegger - wandelten:
"Das Studium war [...] verschult worden und, neben den schon immer üblichen Unterteilungen in Vorlesung, Übung, Pro- beziehungsweise Oberseminar, in Unter-, Mittel- und Oberstufe aufgeteilt worden. Mehrfach mussten die Studenten während ihres Studiums in Arbeits- und Wehrsportlager gehen [...]." (S. 192; A. G.: "Hannah Arendt und Martin Heidegger")
Ein böser Schelm, wer – politisch unkorrekt – Parallelen zu Credit Points, (unbezahlten) Praktika und Softskill-Trainings zieht und bei der europaweit organisierten Erziehung zur Müdigkeit und zum Konformismus an "Bologna" 2008 denkt statt an Berlin 1933...?
Der Vergleich mag anstößig klingen. Er ist es nicht. Oder will man "Bologna", dessen Kernelemente ausschließlich auf Unternehmerinteressen zugeschnitten sind, tatsächlich als modernisierte Fassung humanistischer (Persönlichkeits-)Bildung begreifen - Humboldt reloaded sozusagen?
"Bologna" hat so gut wie alle seine Ziele verfehlt, und gerade die (deutsche) Wirtschaft, für die man das alles angerichtet hat, fremdelt mit dem neuen Bachelor!
Fehlt jetzt eigentlich nur noch die Einführung von Pflichtsport ab dem 2. Semester. Von wegen gesunder Körper in einem gesunden Geist und so...

Kommentare
Zu Risiken und Nebenwirkungen...
Dass das verschulte Bologna-System alles andere ist, als "Humboldt reloaded", musste jedem beim Anblick der überfüllten Studienpläne und kleingehackten Wissenshäppchen beim ersten Anblick klar sein. Mögen sich auch die Studienbedingungen - von niedrigem Ausgangsniveau, marginal und in unwichtigen Details - verbessert haben; für das Studiensystem an sich gilt dies mit Sicherheit nicht. Statt Bildungschancen gibt es ein schnelles Schmalspurstudium. Und das Debakel, das jetzt offen zu Tage tritt, wird von den Verantwortlichen unter "Nebenwirkungen einer an sich guten Sache" abgeheftet. Einen entscheidenden Unterschied zu Berlin '33 gibt es dann also doch: "die da oben" wissen nicht, was sie tun, und kaum, was sie damit bezwecken!
BA
Gestern saß ich in der mühseeligen, zeitraubenden Besprechung zur Akkreditierung: alles, was sinnvoll ist, wird umgerechnet, irgendwann ist es ein Modul, dann stimmen die Punkte nicht, dann spielt man Sodoku, bis alles "aus ästhetischen Gründen" passt. Einer amerikanischen Dozentin platzte dann der Kragen: Sie hatte mehrfach in den USA die Hochschule gewechselt, nur ihre Leistungen wurden nie anerkannt -- trotz Creditpoints. Warum wir deutschen das eigentlich übernommen hätten, es klappe in USA gar nicht? Also könne es auch hier nicht klappen! Betretenes Schweigen unter den Einheimischen. Zumindest schafft es die BA/MA Reform, dass zum ersten Mal seit wahrscheinlich 2000 Jahren Juristen, Mediziner, Philosphen, Kunstakademien und Ingenieure plötzlich EINER Meinung sind: Ablehnung dieser "Reform". Die Kunstakademien führen die Diplome wieder ein. Warum auch nicht? Weiterhin kann man selbst in Köln von der Fachhochschule an die Universität innerhalb des gleichen Faches (!) nicht verlustfrei wechseln. Das war vorher so, es ist auch jetzt so. Wenn es innerhalb einer Stadt nicht geht, wie soll es international gehen? (Abgesehen davon, dass die Zahl der Auslandssemester in den Keller fällt, dafür hat ein BA-Student keine Zeit mehr ...)
Als eine Absolventin des
Als eine Absolventin des ersten BA-Durchlaufs der Geisteswissenschaften einer Universität in Berlin kann ich dem Vergleich vor allem in einer Hinsicht nur zustimmen. Es sollen sich angeblich ja auch positive Errungenschaften aus der Umstellung ergeben haben, die sich mir leider nie offenbarten, aber die Einrichtung eines "Faches" mit dem schönen Namen "Allgemeine Berufsvorbereitung", welches den Arbeitsumfang eines ganzen Nebenfaches hat (für Kenner: 30LP), dabei Großteile der Veranstaltungen nur ganztägig am Wochenende stattfinden lässt und mit großartigen Themen wie Streitkultur oder Kreatives Irgendwas (oder - wie brainstorme ich richtig)aufwartet, lässt mich 1. schaudern und 2. dem Vergleich unumwunden beipflichten. Wie haben sich bloß die Generationen Diplom- und Magisterabsolventen im Berufsleben ohne diese Schule zurechtfinden können?
Credits statt Soft-Skills
@Zettelklotz:
Ich "befürchte" schon fast, dass wir Magisterabsolventen es wegen der mangelnden Struktur und Berufsvorbereitung geschafft haben. Denn was bringt es mir, wenn ich in einem Seminar mir 30 Leuten (+?) lerne, meine Nische zu finden? - Genau, die ist dann schon besetzt.