Akademischer Kapitalismus
In einem Radiogespräch mit dem Gründer des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Hellmut Becker, sagte der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno vor über 40 Jahren einmal Folgendes:
„Also ich bin völlig der Ansicht, daß der Wettbewerb ein im Grunde einer humanen Erziehung entgegengesetztes Prinzip ist. Ich glaube im übrigen auch, daß ein Unterricht, der sich in humanen Formen abspielt, keineswegs darauf hinausläuft, den Wettbewerbsinstinkt zu kräftigen.“
Und weiter: „Ich kann mich nicht erinnern, daß in meiner eigenen Entwicklung [...] der sogenannte agonale Trieb jene entscheidende Rolle gespielt hat, die ihm zugemutet wird. Das ist im Schulfall eines jener Mythologeme, von denen unser Erziehungssystem nach wie vor voll ist.“
Der Dialog zwischen Becker und Adorno trägt den deftigen Titel "Erziehung zur Entbarbarisierung". Übertragen auf den gegenwärtigen Zustand unserer bolognesierten Elite-Universitäten ist dieses Pathos auch heute noch angebracht. Wir haben die Wahl: zwischen der Barbarei eines ellenbogenbewehrten "akademischen Kapitalismus" (Richard Münch) oder dem Kampf um freie und pluralistische Universitäten, die diesen Namen auch verdienen. "Bologna" ist gescheitert. Machen wir es schleunigst wieder rückgängig!

Kommentare
Ewige Wiederkehr
Anti-Bologna-Magazin?
Lieber "Schmidi",
Wir haben - und wir legen Wert auf diese Feststellung - fast alle eine akademische Ausbildung nach "alten" Maßstäben (Magister/Diplom) genossen. Dafür sind wir auch äußerst dankbar, obwohl "genießen" sicher nicht immer auf alle Aspekte des Studiums zutraf! Doch nach "Bologna" kommen eben gerade nicht mehr junge Menschen in den Genuss eines Studiums (die Abbrecherquoten in manchen Fächern haben zugenommen, erste Untersuchungen belegen: die Studierendenzahlen gehen zurück), können gerade nicht mehr junge Menschen ins Auslang gehen (das straffe Bologna-Programm bestraft vielmehr diejenigen, die ein Auslandssemester einlegen möchten), können sich Menschen aus finanziell engeren Verhältnissen oft kein Studium mehr leisten, da sie keine Zeit haben, neben dem Studium zu jobben. Dazu kommen noch die Studiengebühren... Gerade Arbeiterkinder schreckt das zunehmend ab. Ein Fortschritt?
Deutschland wird mit dieser "Reform", die tatsächlich nichts anderes ist als die Kolonisierung der Universität durch die Wirtschaft (das "Bologna"-Papier geht auf Forderungen von europäischen Top-Unternehmen zurück), ein blaues Wunder erleben. Unsere Hochschulen sind seit Jahren chronisch unterfinanziert (und damit meine ich nicht, dass es den Studierenden an Polstersesseln oder klimatisierten Räumen fehlt), jetzt verschärft man auch noch die Studienbedingungen. Und mit "Bologna" sollen die Studierendenzahlen steigen? Das scheint mir in der Tat mindestens "an den Haaren herbeigezogen".
Erlauben Sie mir noch eine Randbemerkung zum Thema "auf Kosten Vieler 'genießen'"? Auch Sie haben eine Schule besucht und vermutlich eine Ausbildung oder ein Studium absolviert und damit von Steuermitteln profitiert, die von anderen aufgebracht wurden. So werden auch wir womöglich einmal die Ausbildung Ihrer Kinder oder Enkel indirekt mitfinanzieren. Und darüber hinaus sollte eine Universitätsausbildung zu kritischem Denken befähigen. Wo kämen wir hin, wenn wir immer dort, wo wir etwas 'genießen' dürfen, nur noch über die Missstände schwiegen?
"Bologna" allerdings, und jetzt wird es doch noch polemisch, hätte genau das ganz gerne: wirtschaftstaugliche, "flexible" und unkritische Geister.
Mit freundlichen Grüßen,
Christian Dries