Graswurzelphilosophie
(In der Rue Bouquière in Bordeaux, Sommer 2008)
An der deutschen Universität ein Mauerblümchen, in weiten Teilen der Gesellschaft populär: die Philosophie. Während die einen auf Fachkongressen über das Leib-Seele-Problem in der Aristotelischen Naturphilosophie streiten, lesen andere leicht Verdaulich-Allzuverdauliches vom Schlage des Philo-Bestsellers "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?".
Zwar ist unklar, ob der unerwartete Erfolg des Buches mehr Elke Heidenreichs Lese-Empfehlung geschuldet ist, als seinem nicht gerade inspirierenden Inhalt. Aber die Tendenz zur U-Philosophie (im Gegensatz zur universitären E-Philosophie) ist kaum zu übersehen. Die kommende Buchmesse in Frankfurt wird das nur bestätigen.
Wirklich erfreulich ist hingegen etwas anderes:
Auf der bunten Philosophie-Wiese vor der Alma mater erblüht seit geraumer Zeit in unseren Landen ein zartes, aber ansehnliches Pflänzchen: die Idee der philosophischen Praxis. Erdacht hat sie Gerd B. Achenbach, der in Bergisch Gladbach auch eine Ausbildungsstätte für angehende Praktiker betreibt. In seiner Folge eröffnen immer mehr Absolventen des brotlosen Faches Dependancen der Lebensweisheit von Hamburg bis Zürich und anderswo (siehe Foto).
Sicher, auch unter den Praxisphilosophen mag es ein paar schwarze Schaafe geben, die ihre "Kunden" mit geistloser Instantnahrung vergiften. Doch nicht vermessen ist die Hoffnung, die vielen guten Denkstuben mögen es schaffen, der Gesellschaft - sozusagen von unten und in gemeinsamer Anstrengung mit ihren Klienten - zu vermitteln, warum wir ohne Philosophieren schwerlich leben können und warum es sich lohnt, das Denken zu lernen. Das wäre nicht zuletzt auch der akademischen Philosophie selbst zu wünschen, der die Studierenden mehr und mehr abhanden kommen.

Kommentare
Unterstützen die
Philosophie auf Rezept?
Hallo Pat! Meines Wissens nicht. Wobei philosophische Praktiker grundsätzlich viel Wert auf den Unterschied ihrer Arbeit zu derjenigen der Psychotherapeuten legen. Ein Philosoph "behandelt" demnach keine Krankheiten, sondern versteht sich als Denkhilfe und geistigen Wegbegleiter.
Viele Praktiker haben z.B. hochbegabte Kinder als "Kunden", die unter fachlicher Anleitung Kant lesen, oder Manager, die mit Aristoteles über "gutes Leben" nachsinnen wollen, weil sie es Jahre lang verpasst haben.
Das rezeptpflichtig oder -fähig zu machen, fände ich persönlich unangemessen - auch weil Philosophie dadurch stark über ihren Nutzwert definiert würde und das - gesellschaftlich sicher höchst notwendige - Innehalten und Nachdenken mit Attributen wie "Störung" oder "behandlungsbedürftig" in Verbindung käme. Dabei ginge es doch darum zu vermitteln, dass das Gegenteil - zu wenig Nachdenken - der pathologische Zustand ist.
Wenn die Welt nicht zum Philosophen kommt...