Greuel im Schullandheim
"Die Schule hat eine immanente Tendenz, sich als Sphäre eigenen Lebens und mit eigener Gesetzlichkeit zu etablieren. Schwer zu entscheiden, wie weit das notwendig ist, damit sie ihre Aufgabe erfüllt; sicherlich ist es nicht nur Ideologie. (...) Jedenfalls hat, weil nun einmal die Schulleute nicht sich hineinreden lassen wollen, die Abgeschlossenheit der Schule immer auch die Tendenz, sich zu verhärten, zumal gegen Kritik. Tucholsky gab dafür das Beispiel jener bösartigen Landschulheimvorsteherin, die irgendwelche Greuel, die sie gegen ihre Zöglinge begangen hat, gegenüber dem freundlichen Liebespaar, das dagegen protestiert, mit der Erklärung rechtfertigt: "So wird das hier gemacht." Ich möchte nicht wissen, wieviel "So wird das hier gemacht" die Praxis des Schullebens nach wie vor beherrscht. Diese Haltung wird tradiert. Begreiflich wäre zu machen, das Schule kein Selbstzweck, dass ihre Geschlossenheit eine Not und nicht die etwa von Gustav Wynekens törichte Formel von der Jugendkultur als einer eigenen Kultur, sie gemacht hat, die ja heute in der Ideologie von der Jugend als Subkultur eigene Urstände feiert."
Theodor W. Adorno: Tabus über dem Lehrberuf. (1965). In: Ders. Gesammelte Schriften 10.2. Suhrkamp, Frankfurt/Main: 1997, S. 670 f.