Thomas Manns Tagebuch lesen (Nr. 7)
3. August 2010 - 12:20 – Frank Berzbach |
Donnerstag den 12.VII.34
"Auch die Verhunzung der 'Anständigkeit'. (...) Goebbels, der erklärt, die Regierung habe das Volk über die Ereignisse des 30. Juni mit beispielloser Offenheit und Redlichkeit aufgeklärt. Die Anständigkeits-, Schlichtheits-, Tugend-Propaganda für die kleinen Leute. Man wirft ihnen die Homosexualität als moralischen Köder hin -- als ob sie nicht wesentlich zur Bewegung, zum Kriegertum, ja zum Deutschtum gehörte. Eine besondere Niedrigkeit."
Thomas Mann: Tagebuch 1934. S.Fischer, Frankfurt/Main: 1978
Ende der 1970er Jahre wird Klaus Theweleit mit seiner Untersuchung zu den "Männerphantasien" berühmt. Die mag umstritten sein und heute zeigt die Täterforschung sicher ein differenzierteres und empirisch belastareres Bild. Aber wie immer bei der Psychoanalyse: sie entwickelt eine Deutungskraft, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Vielleicht sollte man daher allein aus intuitiven Gründen Freud nie ganz ad acta legen. Theweleit zeigt an den Schriften der Krieger, Soldaten und Generäle unter anderem, wie erotisch Männer-, Schäferhund- und Pferdekörper geschildert werden. Ende der 1970er Jahre erscheint auch Thomas Manns Tagebuch und lässt wenig Zweifel daran, dass der Autor schwul war. Aber was geht aus einer unterdrückten sexuellen Orientierung hervor? Thomas Mann sieht früh und klar die verkappte Homosexualität faschistischer Männerbünde. Aber was ist mit ihm selbst? Mit seinem ungelebten Leben? Freud beschrieb zwei Triebe und die Wege der Sublimierug: Mann verwandelt sein ungelebtes Leben in hochkulturelle Textbeiträge, die mit Unglück erkauft sind. Sonst bleibt nur der fatale Mechanismus der Projektion. Der soldatische Körper verzichtet ebenfalls auf das Ausleben männlicher Erotik, und sublimiert dies mit einem Körperpanzer, mit Hass und Gewalt gegen Frauen. Die Unterdrückung wird bedroht, wenn die schönen Frauen (oder die Knaben) ins Bild laufen. Clawdia Chauchat vom Russentisch, die die Tür so laut schlägt, verfolgt den Helden des Zauberbergs. Währen die Krieger mit ihren Untaten doch fähig gewesen, zu schreiben, wahrhaft zu lesen oder zu malen! Wieviel Leid wäre erspart geblieben. Die schreibenden "Wolllüstlinge des Krieges", so Mann über Ernst Jünger, mussten selten Hand an legen, um ihr Glück zu finden. Lieber Tagebuch oder Romane schreiben. Das ist nicht viel, aber schon ein Kulturbeitrag. Ist der Weg versperrt, so bleibt die männliche Barbarei. Kultur hingegen ist gedacht als Barbareiverhinderungssystem.
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