Besorgniserregend
Besorgniserregend findet Hans-Werner Rückert, Diplom-Psychologe und Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung der FU Berlin, eine aktuelle Erhebung zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen des Robert-Koch-Instituts. Fazit: Immer mehr junge Menschen werden aufgrund psychischer Erkrankungen behandelt - auch während ihrer Studienzeit.
Wegen mangelnder Verpflichtungen auf der einen, fehlender Strukturen und ausbleibender Unterstützung z.B. durch Professoren auf der anderen Seite kann gerade die "Lebensphase Studium" eine erhebliche Belastung für die Seele bedeuten, weiß Rückert. Zugenommen haben in den letzten Jahren neben Prüfungsängsten und Aufmerksamkeits-Defizit-Syndromen daher vor allem Depressionen, aber auch schwere Persönlichkeitsstörungen wie das Borderline-Syndrom. Rückert zufolge sind neben Zeitstress und Hektik (zu) hohe fachliche Anforderungen, die Ballung von Prüfungen, der fehlende Praxisbezug des Studiums und die unsicheren Berufsperspektiven der Bachelor-Abschlüsse dafür verantwortlich. Als belastend empfinden Studierende zudem die fehlenden gedanklichen Freiräume in verschulten Studiengängen, die auf "Employability" statt Persönlichkeitsbildung ausgerichtet sind.
Pikantes Detail: Durch die Einführung des neuen Studiensystems hat sich laut Rückert die Nachfrage in den Psychologischen Beratungsstellen der Hochschulen um ca. 20 Prozent erhöht! "Bologna" ist also nicht nur gescheitert, es macht zu allem Überfluss auch noch krank.

Kommentare
Relativ
Ich rede ja ungern die Probleme anderer Menschen klein, und schon gar nicht möchte ich das Bologna-System in Schutz nehmen. Dass allerdings Studierende durch Bologna im engeren Sinne des Wortes krank werden, erscheint mir dennoch höchst fragwürdig. Erstens, weil in unserer Gesellschaft ganz allgemein die Sensibiltät für das psychische Wohlbefinden wächst. Auch in der Allgemeinbevölkerung konsultieren mehr Menschen Ärzte und Beratungsstellen wegen seelischer Probleme als noch vor einigen Jahren. Dies ist zwar äußerst positiv für die Betroffenen, sagt aber rein gar nichts über deren gestiegenen Anteil an der Grundgesamtheit aus.
Darüber hinaus sollte man sich aber auch fragen, WEN die Verlockung von einem nur dreijährigen Studium an die Hochschulen lockt. Sind das womöglich verstärkt auch diejenigen, die sich vorher - in richtiger Einschätzung ihrer Belastungsfähigeit - von 4 oder mehr Jahren Studium abschrecken ließen? Wenn ja, ist zumindest dieser Teil der Studierenden nicht krank. Er hat nur eine Fehlentscheidung getroffen, und braucht eher eine Berufs- denn eine psychologische Beratung.
Die Bologna-Studiengänge machen den sinnvollen Erwerb wirklichen Wissens sicherlich schwierig bis teilweise unmöglich. Dass sie den durchschnittlichen Studierenden so, wie "Durchschnitt" vor Bologna definiert war, mit ihren Klein-klein-Prüfungen allerdings bis an die Grenze der Belastbarkeit bringen, möchte ich aber zumindest hinterfragt wissen.