Im Steinbruch der Begriffe

Erst kürzlich hat der Hamburger Meiner-Verlag seine Enzyklopädie Philosophie eindrucksvoll generalüberholt. Nun zieht auch der Freiburger Alber-Verlag, wie Meiner seit Jahrzehnten Synonym für exquisite Fachliteratur, nach. Lange schon hatte man die Neubearbeitung des Handbuchs philosophischer Grundbegriffe von Hermann Krings (†), Hans-Michael Baumgartner (†) und Christoph Wild aus den 1970er Jahren angekündigt. Nun ist der Nachfolger jener schlanken grüngrauen Taschenbuchbände aus dem Kösel-Verlag, die bis heute zahllose Studierstuben schmücken, endlich erschienen: blau, dickleibig, dreibändig, mit behutsam aktualisiertem Konzept und gehaltvollen Beiträgen.

Erneut versammeln die Herausgeber – Petra Kolmer aus Bonn und Armin Wildfeuer von der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen – Grundbegriffe, die "anerkanntermaßen zum Grundvokabular der (aktuellen) philosophischen Terminologie gehören". Wieder geht es nicht um letztgültige Definitionen. Schon die Editoren des alten Handbuchs wussten, dass Begriffe, obgleich diskursiv vermittelt, immer auch "von verschiedenen philosophischen Temperamenten" geprägt werden. Das Neue Handbuch offeriert in der Tradition seines Vorläufers daher kein klassisches Lexikonwissen, sondern "will selbst Philosophie bieten", freilich ohne dabei nahtlos an die "rationalistische Orientierung" des alten Handbuchs anzuknüpfen.

Für die Neu-Herausgeber hängt jedes Philosophieren von lebensweltlichen Voraussetzungen ab (denen auch das alte philosophische Staunen, thaumazein , entspringt), von grundlegenden Intuitionen, Leitüberzeugungen und Gedankenmotiven, kurz: vom so genannten Vorverständnis. Auf Grundlage dieser Prämisse – der Einsicht, dass philosophische Reflexion nicht ausschließlich im Medium reiner diskursiver Vernunft zirkuliert – will das Neue Handbuch "Sprachausdrücke" kritisch klären, das heißt im Wittgensteinschen Sinn bestimmen, wie sie gebraucht werden oder gebraucht werden sollten. Neben die "notwendigen Momente" des Begriffs, nach denen das Vorläuferunternehmen primär suchte, treten in der Neuausgabe dessen "Sinnbilder". So sind die 215 neu verfassten Einträge stärker sprachphilosophisch und hermeneutisch ausgerichtet. Man kann, obwohl die Herausgeber sich dem Kantischen Projekt einer Kritik der reinen Vernunft verpflichtet fühlen, auch von einem postnietzscheanischen, vom linguistic turn wie vom Existenzialismus gleichermaßen imprägnierten Nachschlagewerk sprechen – der Verzicht auf "Eindeutigkeitsintentionen" ist Programm und die integrierten Temperamente, Perspektiven und Methoden sind so zahlreich wie die Artikel selbst.

Tatsächlich finden sich darunter 'klassisch' aufgebaute Texte im nüchternen, bisweilen ermüdenden Lexikonstil ebenso wie glänzende Abhandlungen namhafter Autorinnen und Autoren. Der Konzentration auf Grundbegriffe und den weiteren programmatischen Umständen ist manche Auslassung geschuldet. Aber das ist, zumal für ein Handbuch, kein Nachteil. Will man beispielsweise etwas über Urteilskraft erfahren (für die Herausgeber zu Recht kein Grundbegriff), muss man in unterschiedlichen Artikeln – zum Beispiel zu 'Aufklärung' und 'Urteil' von Rainer Enskat bzw. Christian Helmut Wenzel – suchen. Mit anderen Worten: Man sollte selbst bereits philosophische Intuition und mehr oder weniger Vorwissen mitbringen, um im Steinbruch der philosophischen Grundbegriffe erfolgreich zu navigieren. Unter dieser Voraussetzung wird das inspirierende und außerdem unschlagbar preiswerte Neue Handbuch philosophischer Grundbegriffe seinem Vorgänger rasch den angestammten Regalplatz streitig machen.

Petra Kolmer/Armin G. Wildfeuer (2011): Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe. 3 Bände. Freiburg, 2728 S., 120 Euro.

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